Am 30. Juni 2021 haben Celler Behörden das schwerbehinderte 6-jährige Celler Mädchen Anastasija mit ihrer Mutter nach Serbien abgeschoben, obwohl das Jugendamt seit Jahren für die Gesundheitsfürsorge des Kindes verantwortlich ist. Die Abschiebung der alleinerziehenden Romni und Tochter haben Roma Center e.V., der AK Asyl und Migration Celle und der Flüchtlingsrat Niedersachsen in einer gemeinsamen Pressemitteilung kritisiert und die Rückholung der Familie gefordert.
Auch die Kompetenzstelle gegen Antiziganismus (KogA) der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten hat zu der Abschiebung Stellung genommen und findet deutliche Worte:
„Der aktuelle Fall in Celle beinhaltet das, was wir meinen, wenn wir von Antiziganismus als einem historisch hergestellten, sich in den Formen verändernden, gesellschaftlich etablierten Rassismus mit gewaltförmigen Praktiken sprechen.“
Stellungnahme der Kompetenzstelle gegen Antiziganismus vom 29. Juli 2021
Für die Kompetenzstelle gegen Antiziganismus ist das Vorgehen „in vielfältiger Weise unerträglich“:
„1. Es bestätigt die fehlende Sensibilität und das fehlende Bewusstsein für das Thema Antiziangismus.
2. Wir arbeiten seit Jahren zum Thema Antiziganismus und das mit bundesweiter Ausstrahlung. Nach einer Auftaktveranstaltung sind wir aktuell in der Anbahnung von Qualifizierungsmaßnahmen für Mitarbeiter:innen in Celler Behörden. Erst kürzlich waren wir im Rahmen der „Aktionswochen Vielfalt“ des Landkreises Celle mit Veranstaltungen aktiv. Diese Abschiebung in dieser Zeit und an diesem Ort empfinden wir als Affront und als ignorant.“
3. Erst kürzlich hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den Europäischen Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma verliehen bekommen. In ihrer Dankesrede sprach sie von der schwierigen, diskriminierenden Situation für Rom_nja in den Westbalkanländern. Die fehlende Gleichberechtigung und den Antiziganismus bezeichnete sie als „Schande für unser Land“. Sie betonte, dass wir alle Antiziganismus entgegenwirken müssen. Das „wir“ meint hier nicht nur individuelles oder privates Handeln, sondern antiziganismuskritisches Handeln von beruflichen Akteur:innen, Institutionen und Organisationen.
4. Es ist unmenschlich, wenn die 2015 in Celle geborene und schwer behinderte Romni nach Serbien abgeschoben wird. Ein Land, in dem Rom_nja in vielfältiger Hinsicht benachteiligt werden. Die Chancen für eine entsprechende medizinische Versorgung sowie eine angemessene Förderung der Entwicklung stehen für das sechsjährige Mädchen sehr schlecht.
5. Das Vorgehen der Celler Behörde ist auch ein Affront gegen den gerade veröffentlichten Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA), die damit einhergehende Diskussion im Bundestag und die gemeinsame Erklärung von Bundesinnenministers Horst Seehofer und dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose.“
Stellungnahme der Kompetenzstelle gegen Antiziganismus vom 29. Juli 2021
Diese Abschiebung hätte niemals stattfinden dürfen, erst recht nicht, wenn man sich mit dem Fall der alleinerziehenden Mutter und ihrer Tochter näher beschäftigt:
„Anastasia wurde 2015 in Celle geboren. Sie ist das Produkt einer Vergewaltigung, hat die Mutter einer ehrenamtlichen Betreuerin erzählt. Das zierliche und kränkliche Mädchen kam mit einer schweren Hörminderung, einer Mikrozephalie und Hüftdysplasie zur Welt. Aufgrund der Schwerhörigkeit ist auch ihr Spracherwerb gestört. Praktisch von Anfang an war das Jugendamt und später auch eine Familienhelferin der Caritas mit ihr befasst. Die Mutter ist Analphabetin, durfte als Romni nicht zur Schule gehen, ist darüber hinaus psychisch schwer belastet, vor massiven Gewalterfahrungen geflohen.
Abschiebung trotz Härtefallantrag, in: taz vom 21. Juli 2021
Wie auch der Flüchtlingsrat, das Roma-Center und der AK Asyl und Migration Celle fordert die Kompetenzstelle gegen Antiziganismus „die Rückkehr bzw. Rückholung der Familie sowie den sofortigen und vollständigen Abschiebestopp von Rom_nja. Wir appellieren an die Stadt Celle und das Land Niedersachsen, im konkreten Fall aktiv zu werden. “
Am selben Tag hatte der Landkreis Göttingen ein Roma-Ehepaar nach Serbien abgeschoben, das seit 30 Jahren in Deutschland gelebt hatte. Die taz berichtet über diese und weitere Abschiebungen von Romn:ja aus Niedersachsen:
„Dutzende weitere Fälle hat das Roma Center für den Antiziganismus-Bericht dokumentiert. Zusammen mit anderen Verbänden fordert es die Abschiebungen in die Balkanstaaten zu stoppen. Angesichts der brutalen Ausgrenzung und Diskriminierung könne da von „sicheren Herkunftsstaaten“ keine Rede sein – zumindest dann nicht, wenn man Rom:nja sei.“
Abschiebung trotz Härtefallantrag, in: taz vom 21. Juli 2021
Hintergrund
Medienberichte
Abschiebung trotz Härtefallantrag, in: taz vom 21. Juli 2021
Romni mit hörbehindertem Kind aus Celle abgeschoben, in: Celle heute vom 21. Juli 2021
Flüchtlingsrat kritisiert Abschiebung von 6-Jähriger nach Serbien, in: Neue Presse vom 19. Juli 2021
Nur Kritik / Öffentlichkeit herzustellen, reicht allein nicht aus!
Ohne staatliche Unterstützung sind Mutter und Kind seit fast 1 Jahr!
Glücklicherweise haben die im vorigen Jahr gesammelten Spendengelder bis jetzt gereicht, um Miet-Kaution, Strom und Medikamente zu bezahlen.
Was aber, wenn nun die damals gesammelten Spendengelder aufgebraucht sind???
Aber die Mutter hat den Lebensunterhalt mit ihrer Hände Hilfe-ARBEIT bezahlt – das Kind hat allerdings immer noch keine Möglichkeit für einen Schul- oder KiTa-Platz erhalten!!! und auch keinerlei Betreuung wegen der Schwerhörigkeit (100 % GdB!).
ggf. Rückfragen unter Tel.: 05141-2051663