Der Staat rüstet auf. Diesmal geht es aber nicht um die Abwehr von Flüchtlingen an den Außengrenzen der EU. Es geht um neue IT-Verfahren zur engmaschigen und effizienten Überwachung von Migrantinnen und Migranten.
von Kurt Bunke
Zuverlässig, aktuell, interoperabel: Datenmanagement im Asylverfahren in Deutschland
So heißt der Titel einer Studie zum IT-gestützten Asylverfahren von Janne Grote, die das BAMF im Juli 2021 veröffentlicht hat. Sie legt in dankenswerter Weise offen, welche Schritte im Asylverfahren inzwischen von IT-Verfahren gestützt werden, welche Behörden zugreifen und schreiben dürfen, wie unterschiedliche Verfahren miteinander verknüpft sind und welche Digitalisierungsschritte noch anstehen. Sogar die Informationsrechte der Betroffenen werden behandelt. Kurz gesagt, die Broschüre ist Pflichtlektüre für alle, die selbst geflüchtet sind oder sich in politischen, juristischen und humanitären Zusammenhängen mit Flucht und Asyl befassen.
Der Staat rüstet technisch auf. Es geht diesmal aber nicht um Maßnahmen zur Abschreckung von Flüchtlingen an den Außengrenzen der EU. Es geht um engmaschige und flächendeckende Überwachung. Alle datenschutzrechtlichen Bedenken, die in der Debatte um die Erweiterung des Ausländerzentralregisters (AZR) formuliert worden sind, werden durch die Studie eher noch verstärkt. Es bleiben kaum noch Persönlichkeitsmerkmale von Asylbewerberinnen und -bewerbern übrig, die nicht elektronisch erfasst und gespeichert werden. Betroffene sollten von ihren Informationsrechten unbedingt Gebrauch machen.
Auf jeden Fall verdient die „Ausländerdatei A“ regelmäßige Beachtung, die von den örtlichen Ausländerbehörden geführt wird. Aber auch das AZR selbst und andere in der Studie erwähnte Datenbanken und Dateien sollten befragt werden, wenn es z. B. um die Klärung einer Identität, einen Asylfolgeantrag oder einen Familiennachzug geht.
Nur am Rande werden IT-Systeme der Polizei behandelt, in denen ebenfalls Daten von Geflüchteten gespeichert sein können. In Hessen sind das vor allem das Polizei-Auskunftssystem POLAS-HE, geführt vom Hessischen Landeskriminalamt, und das VorgangsDokumentationssystem ComVor, für das die regionalen Polizeipräsidien zuständig sind. Einträge in diese Systeme können bei jedem Polizeikontakt passieren. Nach hessischen Erfahrungen gibt es bei personenbezogenen Einträgen vielfältige Fehlerquellen, die sich zum Nachteil von Geflüchteten auswirken können. Auch Personenverwechslungen konnten schon nachgewiesen werden. Gerade in komplizierten Lebenssituationen sollten auch diese Informationsquellen überprüft werden.
Die Verantwortung für Ausländer- und Asylverwaltung ist in Deutschland auf Bund, Länder und Kommunen verteilt. Alle drei Verwaltungsebenen sammeln und speichern derzeit Daten in unterschiedlichen Systemen. Künftig soll es eine zentrale Verantwortlichkeit auf Bundesebene geben. Dort, nämlich beim BAMF, werden die Daten aller Register gepflegt. Allerdings muss eine solche Zentralisierung um schnelle Kooperationsmöglichkeiten der unterschiedlichen Ebenen ergänzt werden. Dresden und Sachsen sollen als Modell dienen. Dort wird schneller und effizienter Informationsaustausch auf der Basis von Blockchain erprobt. Diese Technik ist aus der Produktion von Bitcoin bekannt und erfordert einen hohen Rechneraufwand. Informationen über Asylsuchende kann man sich dabei als Blöcke vorstellen. Zugriffsberechtigte Stellen können einen solchen Block lesen und einen neuen Sachstand als weiteren Block hinzufügen. Die einzelnen Blöcke werden zu einer Kette (chain) verknüpft. Am Ende werden dann der aktuelle Sachstand, die Fallhistorie und die beteiligten Akteure sichtbar. Die Ausweitung des Modells auf europäische Ebene ist bereits angedacht.
Mit keinem Wort wird in der Studie die „Elektronische Ausländerakte“ erwähnt, das Lieblingsprojekt des hessischen Innenministers Peter Beuth. Es soll auch dem schnellen Datenaustausch zwischen verschiedenen Behörden dienen. Bisher ist es wohl über das bloße Einscannen der manuell geführten „Ausländerakten“ nicht hinausgekommen. In bundesweiten strategischen Überlegungen scheint es keine Rolle zu spielen. Wer das Chaos hessischer Ausländerakten kennt, wird auch Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer darauf basierenden Behörden übergreifenden Kommunikation entwickeln. Mit IT-Unterstützung kann man nur Informationen austauschen, die vorher nach gleichen Kriterien erfasst und geordnet worden sind. Davon kann bei den Ausländerakten nicht die Rede sein.
Was muss jetzt geschehen?
- Das BAMF hat seine IT-Strategie offengelegt. Diese muss jetzt zivilgesellschaftlich diskutiert werden. Dabei geht es um Datenschutz, informationelle Selbstbestimmung und letztlich um grundlegende Freiheitsrechte.
- Klassische Ausländerakten dürfen nicht länger als alleinige staatliche Informationsquelle über Betroffene betrachtet werden. Das Instrument der Akteneinsicht bleibt wichtig, muss aber um Abfrage digitaler Informationsquellen ergänzt werden. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) liefert die Rechtsgrundlage.
- Grundsätzlich sollte künftig Auskunft über den Inhalt der „Ausländerdatei A“ eingeholt werden. Sie wird von den örtlichen Ausländerbehörden geführt.
- Auch die Einholung einer Auskunft über den Inhalt des AZR sollte künftig Standard werden.
- Alle Migrantinnen und Migranten, die jemals Kontakt mit der Polizei hatten, sollten Auskunft über gespeicherte Daten verlangen. In Hessen funktioniert das über das Auskunftssystem POLAS-HE beim Landeskriminalamt und das Vorgangssystem ComVor bei den jeweiligen regionalen Polizeipräsidien.
Diese Tipps können nur als erste Vorschläge verstanden werden. Betroffene, Anwältinnen und Anwälte, Politiker:innen, Flüchtlingsräte, örtliche Flüchtlingsinitiativen, Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen müssen schnell an einen Tisch. Wir brauchen eine gründliche Analyse des staatlichen Datenmanagements im Asylverfahren und – daraus resultierend – neue Strategien für den Umgang damit. Der Staat hat vorgelegt, die Zivilgesellschaft muss nachziehen. Sonst bleiben grundlegende Menschenrechte auf der Strecke.
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