„Nichts ist gut in Afghanistan“ – Deshalb: Alle Abschiebungen stoppen

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen protestiert gegen die Inhaftierung dreier Männer aus Afghanistan in Abschiebungshaft und fordert, alle Abschiebungen in das bürgerkriegsgebeutelte Land zu stoppen.

„Nichts ist gut in Afghanistan“ – diese mittlerweile elf Jahren alte Aussage der ehemaligen Bischöfin Margot Käßmann ist aktueller denn je. Dennoch halten die Innenminister:innen weiterhin verbissen daran fest, im Rahmen regelmäßiger Charterflüge Menschen in das bürgerkriegsgebeutelte Land abzuschieben, das die Bundeswehr letzte Woche endgültig verlassen hat.

Auch das Land Niedersachsen beteiligt sich an diesen Abschiebungen. In den letzten Tagen wurden mehrere Männer aus der Stadt Celle und den Landkreisen Leer und Osnabrück in der Abschiebungshaftanstalt Langenhagen inhaftiert, darunter ein schwer erkrankter Mann. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen protestiert in scharfer Form gegen die geplante Abschiebung der jungen Männer in ein Land, das nach dem geplanten Abzug der westlichen Truppen im Juli absehbar im Chaos versinken wird.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.:

„Selbst Zivilisten werden jetzt in Afghanistan zu den Waffen gerufen. Den jungen Männern droht nach der Rückkehr eine sofortige Zwangsrekrutierung auf einer der Seiten des sich ausdehnenden Bürgerkrieges.“

Auf Kritik stößt beim Flüchtlingsrat Niedersachsen auch die Rechtfertigung der geplanten Abschiebungen: Laut Erlass vom 21.07.2017 kommen für eine Abschiebung gegenwärtig nur Straftäter in Frage, die „schwere Straftaten wie z.B. Mord, Totschlag, räuberische Erpressung, nicht unerhebliche Betäubungsmitteldelikte oder Sexualstraftaten – begangen haben“. Zumindest einer der Betroffenen wurde nicht einmal verurteilt. Gegen ihn wurde lediglich als sog. Zuchtmittel nach dem Jugendstrafrecht ein zweiwöchiger Dauerarrest angeordnet. Andere Verfahren wurden mit einer „Verwarnung“ abgegolten oder eingestellt. Es stellt sich die Frage, was nach Auffassung des niedersächsischen Innenministers die Kriterien für eine „schwere Straftat“ sind.

Ein anderer der drei inhaftierten Männer ist schwer psychisch erkrankt. Nach einem Gerichtsverfahren wurde er verpflichtet, eine Psychotherapie durchzuführen und an einer Suchtberatung teilzunehmen.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.:

„Einen schwer psychisch erkrankten Mann jetzt nach Afghanistan abzuschieben, gefährdet sein Leben akut. Wir fordern eine sofortige Freilassung des Mannes aus der Abschiebungshaft und den Stopp der geplanten Abschiebung!“

Eine von der Diakonie Deutschland und Brot für die Welt kürzlich herausgegebene Studie der Afghanistan-Expertin Stahlmann beweist, dass abgeschobenen Afghanen unmittelbar Gefahr laufen verfolgt zu werden, zu verelenden, zu erkranken oder gar zu sterben. Das Verwaltungsgericht Hannover hat bereits von einem Jahr festgestellt hat, dass selbst junge, gesunde Männer aktuell keine Überlebenschance in Afghanistan haben und deshalb nicht abgeschoben werden dürfen. Diese Auffassung hat das Verwaltungsgericht Oldenburg am 29. April 2021 bestätigt. Auch zahlreiche Obergerichte anderer Bundesländer bewerten dies so, etwa das Oberverwaltungsgericht Bremen oder der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg.

Die allgemeine Lage in Afghanistan hat sich in den vergangenen Wochen weiter verschärft.

Die Taliban sind auf dem Vormarsch. Sie haben seit Anfang Juni 2021 landesweit etwa 50 von rund 400 Distriktzentren Afghanistans erobert. Der afghanische Nachrichtendienst Tolonews spricht sogar von 60 Bezirken, die seither in die Hände der Taliban gefallen sind oder aktuell umkämpft sind. Dazu gehören auch weite Gebiete im Norden Afghanistans, wo die Bundeswehr stationiert war. Einem US-Geheimdienstbericht zufolge droht bereits sechs Monate nach Abzug der US-Truppen ein Zusammenbruch der Regierung, wie das „Wall Street Journal“ am 23. Juni 2021 berichtete.

Vor dem Hintergrund der absehbaren weiteren Eskalation des Bürgerkriegs fordert der Flüchtlingsrat Niedersachsen die Aussetzung aller Abschiebungen nach Afghanistan.

Kontakt

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Muzaffer Öztürkyilmaz
Tel. 0176 387 367 33
moy@nds-fluerat.org, nds@nds-fluerat.org

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