Flüchtlingsrat warnt Geflüchtete vor der Unterzeichnung von „Abtretungserklärungen“ der Kommunen
Aus verschiedenen Teilen Niedersachsens wurde uns bekannt, dass Bewohnende von Flüchtlingsunterkünften durch die Kommunen aufgefordert werden, sog. Abtretungserklärungen zu unterzeichnen. Mit diesen Abtretungserklärungen lassen sich die Kommunen „alle bestehenden und künftigen Einkommensansprüche“ der Bewohnenden – bspw. gegenüber Ihrem Arbeitgeber, der Agentur für Arbeit bzw. dem Jobcenter, der Krankenkasse oder der Rentenversicherung – übertragen, um – vermeintliche – Gebührenschulden für die Unterbringung „unter Ausschaltung der Pfändungsfreigrenze“ direkt von den benannten Stellen einfordern zu können, und zwar auch dann, „wenn dadurch Pfändungsfreigrenzen unterschritten werden.“
Sofern Bewohnende die „Abtretungserklärungen“ unterzeichnen, kann die Kommune unmittelbar z.B. auf ihr Erwerbseinkommen, das Arbeitslosengeld oder (selbst auch erst in ferner Zukunft) auf ihre Rente zugreifen. Der Zugriff kann sogar dann erfolgen, wenn die Betroffenen klagen und bestreiten, der Kommune (noch) Unterbringungsgebühren zu schulden. Nach Unterschreiben der Abtretungserklärungen ist es den Kommunen möglich, auf sämtliche Gelder der Bewohnenden zuzugreifen, ohne ihnen auch nur einen Cent zum (Über)Leben belassen zu müssen. Die Kommunen rechtfertigen ihr Vorgehen damit, dass die Betroffenen eine „wirtschaftliche Gegenleistung erhalten.“
Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent des Flüchtlingsrat Niedersachsens:
„Die Argumentation der Kommunen ist zynisch: Die betroffenen Geflüchteten haben bestenfalls noch ein Dach über dem Kopf, aber kein Geld, um sich zu ernähren oder gar am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Der Zweck der Pfändungsfreigrenze, gewisses Einkommen vor dem Zugriff etwaiger Gläubiger zu schützen, wird damit ausgehöhlt.“
Die Stadt Hannover versteckt in den „Abtretungserklärungen“ den Zusatz, dass die Gebühren der Unterbringung „dem Grunde und der Höhe nach anerkannt“ werden. Dabei weiß die Landeshauptstadt, dass die Gebühren hinsichtlich ihrer Höhe heftig umstritten sind. Mit der „Abtretungserklärung“ will die Landeshauptstadt – so wohl die Überlegung – jegliche Rechtsmittel gegen die Gebührenforderungen ausschließen und sich scheinbar vorsorglich gegen weitere Klagen wappnen. Besonders erschreckend ist auch, dass Sozialarbeiter:innen dem Flüchtlingsrat aus unterschiedlichen Unterkünften der Stadt berichtet haben, dass das Wohnungsamt bzw. die Einrichtungsleitung sie aktiv dazu aufgefordert habe, die Unterschriften von den Bewohnenden einzuholen. Ihnen sei dabei jedoch lediglich mitgeteilt wurden, dass die „Abtretungserklärung“ dazu dienten, die Unterkunftskosten bspw. für den Fall des Jobverlustes abzudecken. Über die tatsächliche Tragweite der Belehrung seien auch sie nicht aufgeklärt worden.
Die Stadt Nordhorn bringt es gar fertig, Bewohnende von Gemeinschaftsunterkünften unterschreiben zu lassen, „dass alle Gegenstände, die nach meinem Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft / nachdem ich die Gemeinschaftsunterkunft aus welchem Grund auch immer verlassen habe noch in der Unterkunft vorhanden sind, Abfall darstellen, der auf meine Kosten entsorgt werden kann“. Asylsuchende haben bekanntlich nicht das Recht, ihren Aufenthaltsort selbst zu bestimmen. Geflüchtete, die möglicherweise gegen ihren Willen umquartiert oder abgeschoben werden, sollen auf ihr zurückgelassenes Eigentum nicht nur keinen Anspruch mehr haben, sondern sogar für die Entsorgung zahlen. Aus unserer Sicht ist das eine Form von kalter Enteignung.
Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent des Flüchtlingsrats Niedersachsen, warnt:
„Derartige Abtretungserklärungen sind rechtswidrig. Wir empfehlen ausdrücklich, solche Abtretungserklärungen nicht zu unterzeichnen, dazu besteht keinerlei gesetzliche Verpflichtung. Wir fordern die Kommunen auf, Geflüchteten ab sofort keine „Abtretungserklärungen“ zur Unterzeichnung mehr vorzulegen.“
Der Flüchtlingsrat kritisiert, dass den betroffenen Geflüchteten die weit reichenden „Abtretungserklärungen“ ohne eine Erläuterung und ohne Übersetzung vorgelegt werden. Vielmehr nutzen die Kommunen die Zwangs- und Notsituation der Betroffenen aus: Geflüchtete können nicht frei entschieden, wo sie wohnen, teils weil sie behördlich verpflichtet werden, in einer bestimmten Unterkunft zu leben, teils weil sie aufgrund von Wohnungsknappheit und Diskriminierung keine neue Bleibe finden.
Personen, die bereits eine solche Abtretungserklärung unterzeichnet haben, werden gebeten, sich an die Geschäftsstelle des Flüchtlingsrats zu wenden.
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...