Verwaltungsgerichte in Niedersachsen erkennen auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse
Mehrfach haben niedersächsische Verwaltungsgerichte in den vergangenen Monaten entschieden, dass Abschiebungen von Sudanes:innen gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig sind, da vor dem Hintergrund der allgemeinen Lage im Sudan zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse festzustellen sind.
In den uns vorliegenden Urteilen der Verwaltungsgerichte VG Hannover (30.09.2020), VG Braunschweig (04.12.2020) und VG Osnabrück (11.12.2020) stellen die Gerichte fest, dass besondere humanitäre Gründe vorliegen, weil im Sudan eine unmenschliche Behandlung auf Grund eines sehr hohen Gefährdungspotenzials droht.
Eine Abschiebung wäre demnach ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), weshalb Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 5 AufenthG bestehen.
So stellt z.B. das VG Osnabrück in seinem Urteil vom 11.12.2020 fest, dass „besondere humanitäre Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, da sich die humanitäre Lage seit dem Regimewechsel im Sudan deutlich verschlechtert hat“.
Als Beleg greift das Gericht auf Erkenntnisse des Amtes der Vereinten Nationen zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) zurück. Danach sind 9,3 Millionen Menschen im Sudan als „people in need“ zu bezeichnen. Das Land stehe vor einem wirtschaftlichen Kollaps, wofür die Hauptursache in der generell große Armut und der Vertreibung zahlreicher Menschen aus Konfliktregionen zu suchen sei. Laut UNICEF sei 60% der Bevölkerung von extremer Armut betroffen, in manchen Landesteilen wie Dafur wären dies sogar bis 90%. Das VG Osnabrück verweist darauf, dass die UN-Organisation die Versorgungslage in weiten Teilen des Landes als kritisch bewerten. Die Corona-Pandemie verschärfe die Situation zusätzlich.
Seit dem 31.01.2021 weist die Bundesregierung den Sudan als Hochinzidenzgebiet für Infektionen mit dem SARS-Cov-2-Virus aus (siehe Webseite des RKI). Das dürfte die o.g. Argumentation des VG Osnabrück noch bestärken.
Asylfolgeantrag stellen:
Der Flüchtlingsrat empfiehlt daher allen ausreisepflichtigen Sudanes:innen zu prüfen, ob sie einen Asylfolgeantrag beim BAMF stellen und sich dabei auf die Entscheidungen der niedersächsischen Verwaltungsgerichte beziehen. Dabei ist es sinnvoll, die individuelle Bedrohungslage zu schildern.
Die Asylfolgeanträge können auf Grund der Corona-Pandemie bis zum 07.03.2021 schriftlich bei den Außenstellen des Bundesamtes gestellt werden (siehe Infos dazu u.a. hier). Danach ist der Asylfolgeantrag wieder persönlich bei der BAMF-Außenstelle zu stellen (so, wie das gesetzlich vorgesehen ist). Ausreisepflichtige Sudanes:innen sollten sich ggf. bei Ihren Anwält:innen oder bei Beratungsstellen informieren und bei der Antragstellung unterstützen lassen.
Seit dem Erlass des niedersächsischen Innenministeriums vom 03.02.2020 beobachten wir, dass Sudanes:innen durch Ausländerbehörden stärker unter Druck gesetzt werden, einen Pass oder Passersatz vorzulegen oder ihre Identität auf andere Weise zu belegen. Vielen Sudanes:innen ist dies jedoch nicht ohne weiteres möglich, manche Forderungen seitens einiger Ausländerbehörden zur Mitwirkung scheinen unzumutbar oder schlicht nicht erfüllbar. In der Folge verhängen Ausländerbehörde trotzdem mitunter Beschäftigungsverbote, sodass wiederum Aufenthaltsperspektiven über Ausbildungsduldungen oder Beschäftigungsduldungen verbaut werden.
Vor diesem Hintergrund gewinnen die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte noch stärker an Bedeutung.
Wenn es lediglich um Abschiebungsverbote geht ist eigentlich der isolierte Wiederaufgreifensantrag die richtige Antragsart, da bei der Konstellation ja eben keine neuen Gründe im Sinne der §§ 3 und 4 AsylG geltend gemacht werden.
Aber den isolierten Wiederaufgreifensantrag stellt quasi niemand, weil er keine aufschiebende Wirkung hat und eigentlich immer ein Eilantrag nach §123 VgGO zusätzlich gestellt werden müsste. Also ist es für die Leute tatsächlich angenehmer den eigentlich falschen Antrag zu stellen.