Der AK Asyl Göttingen dokumentiert und unterstützt einen offenen Brief von Geflüchteten aus dem Sudan, die sich zu der Gruppe „Freiheit für neuen Sudan“ zusammengeschlossen haben. Der Brief wurde u.a. geschickt an:
Der Brief geht unter anderem an:
die Bürger*innen der Stadt Göttingen und des Landkreises Göttingen,
das Verwaltungsgericht Göttingen,
die Ausländerbehörden der Stadt Göttingen und des Landkreises Göttingen,
den Rat der Stadt Göttingen und den Göttinger Kreistag,
das niedersächsische Innenministerium,
den niedersächsischen Landtag und
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Der offene Brief macht eindrücklich klar, unter welchem Druck die Geflüchteten aus dem Sudan – wie auch etliche Geflüchtete aus anderen Ländern – stehen, dies jetzt noch mehr, weil vermeintlich die Situation im Sudan sicher und stabil wäre. Deshalb hat das niedersächsische Innenministerium seit dem 03.02.2020 Abschiebungen in den Sudan wieder uneingeschränkt zugelassen.
Dass dies aber keineswegs der Fall ist und es in einigen Regionen, namentlich in Darfur immer noch zu gewalttätigen Übergriffen kommt, lässt sich aber allein schon aus der Medienberichterstattung und Berichten von NGOs entnehmen, auf die auch die Verfasser:innen des offene Briefes verweisen (siehe umfangreiche Dokumentenzusammenstellung mit links am Ende des offenen Briefes).
Seit Abschiebungen in den Sudan wieder unbeschränkt zugelassen sind, erlebt auch der Flüchtlingsrat regelmäßig, wie Ausländerbehörden ausreisepflichtige Sudanes:innen bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung verstärkt unter Druck setzten und dabei z.T. Mitwirkungshandlungen verlangen, die aus Sicht des Flüchtlingsrates sinnlos oder nicht zumutbar sind. Kommen die sudanesischen Geflüchteten den geforderten Mitwirkungshandlungen nicht nach, werden nicht selten Beschäftigungsverbote verhängt und Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldungen nicht erteilt.
"Göttingen, 30. Oktober 2020 Liebe Bürger*innen! Sehr geehrte Damen und Herren und *! Wir sind Flüchtlinge aus Sudan, die zwischen 4 und 6 Jahren hier in Göttingen und Umgebung leben. Es ist uns gelungen, dem diktatorischen Regime in Sudan zu entkommen. Wir haben dann die militarisierten Grenzen des zunehmend abgeschotteten Europa überwunden, um hier ein Leben in Würde führen zu können.Wir danken den Bürger*innen hierzulande herzlich, die immer noch das Asylrecht als universelles Menschenrecht schützen und versuchen, es zu verteidigen! Wir wenden uns an Sie mit dringenden Bitten. Diese beziehen sich auf schwerwiegende Probleme, welche die Qualität unseres Lebens hier massiv beeinträchtigen. Es geht um auf uns ununterbrochen ausgeübten Druck, der uns das Leben schwer macht, uns an der Zukunft zweifeln lässt. 1. Viele von uns haben seit Jahren in unterschiedlichen Flüchtlingsunterkünften gelebt. Dabei mussten wir manchmal lange Zeit ein Zimmer mit drei bis sechs Personen teilen und müssen dies teilweise noch immer. Für uns waren/sind fast alle diese Unterkünfte Orte von Entmündigung und Fremdbestimmung - egal mit welch schönen Worten die zuständigen Behörden und Unterkunftsbetreiber diese als "gutes und angemessenes Wohnen" darzustellen versuchen. Das Leben in diesen Unterkünften führt zwangsläufig zu Konflikten untereinander durch die beengten Räumlichkeiten und die fehlende Privatsphäre. Die ständige Kontrolle durch Sicherheitspersonal und die Verwaltung lässt uns keine Möglichkeit, frei zu entscheiden wie wir unser Leben führen. Aber auch wenn wir dann mit Genehmigung der Sozialbehörden eine private Wohnung mieten dürften, ist die Wohnungssuche mit Duldungsstatus extrem schwierig. Die meisten Vermieter*innen lehnen uns ab. 2. Viele von uns arbeiten nach Ablehnung der Asylverfahren unter prekärsten Bedingungen, haben dabei kaum Rechte und Möglichkeiten zur Beschwerde am Arbeitsplatz. Krank werden dürfen wir nicht, denn sonst werden wir von unseren Arbeitgeber*innen sofort entlassen. Wir halten das alles stillschweigend durch, um immer wieder bei den Ausländerbehörden unsere Duldung verlängern zu können. Das heißt, wir verzichten auf unsere Rechte als Arbeiter*innen, auf Beschwerden bei der Arbeit und darauf, zur Ärzt*in zu gehen, weil wir permanent Angst haben, dass die Ausländerbehörde beim nächsten Mal die Duldung nicht verlängert. Viele Arbeitgeber*innen stellen uns nicht ein, weil wir keinen dauerhaften Aufenthaltstitel besitzen. Fallbeispiel: Eine Firma will Herrn O. endlich nach langer Zeit, die er bereits dort tätig ist, fest einstellen, aber dafür braucht er einen gültigen Aufenthaltstitel. Die Handlungsmöglichkeit liegt hier bei den Sozialbehörden und dem BAMF. Auch haben wir aufgrund unseren Duldungsstatus keinen Zugang zu Deutsch- und Integrationskursen. Hier fällt uns eine scheinbare Bevorzugung anderer Nationalitäten auf. Dies verursacht Leid, Neid und Spaltung. 3. Die meisten von uns sudanesischen Flüchtlingen haben negative Asylentscheidungen bekommen und verfügen nur über eine Duldung. Das lange Warten auf die Rückmeldung vom BAMF bezüglich der Entscheidung über Asyl verursacht großen psychischen Druck, und es kann manchmal mehrere Jahren dauern. Diese Zeit wird von uns als eine dunkle Zeit empfunden, weil man während dieser Zeit keine Ausbildung anfangen oder richtig arbeiten kann. Die Folge solcher Behördenentscheidungen ist für uns seelischer Schaden. Wir leben in ständiger Furcht, von der Polizei abgeholt und abgeschoben werden. Wir leiden an schrecklichen Erinnerungen an Abschiebungen anderer, die wir mit erleben mussten. Z.B. Um 2 Uhr nachts mit brutaler Gewalt durchgeführte Abschiebungen von anderen Geflüchteten aus "unseren" Unterkünften. Dies führt bei uns zu sehr hohem seelischem Druck, der in den meisten Fällen in andauernder psychischer Unruhe und Depression mündet. Dadurch sind einige von uns sehr krank geworden. Als einziger Ausweg aus dieser Situation erscheint manchen die Betäubung mit Alkohol, die zur Sucht führen kann. 4. Unsere Ängste haben sich praktisch vervielfacht, nachdem das Bundes-Innenministerium Anfang dieses Jahres kurz nach der Bildung einer neuen Übergangsregierung in Sudan diesen als sicheres Herkunftsland erklärt hat, um Flüchtlinge dorthin abzuschieben. Wir sind immer noch fassungslos über diese Abschiebeentscheidung. Für uns als sudanesische Flüchtlinge, die Tag für Tag die Ereignisse in Sudan verfolgen, wirkt diese Entscheidung wie pure Heuchelei. Denn die neue Übergangsregierung wird zu 80% bestimmt von islamistischen Milizen (Dschandschawid/Janjaweed), den Geheimdiensten des alte Regime und den Militärkräften. Kurz: all die Mächte, vor denen wir fliehen mussten, haben auch jetzt das Sagen in Sudan. Es sei nach Ansicht der deutschen Behörden zumutbar, dass Geflüchtete, die vor dem diktatorischen Regime in Sudan geflohen sind, zur Passbeschaffung zu sudanesischen Auslandsvertretungen geschickt werden. Viele von uns Geflüchteten haben jahrelang Verletzungen und Traumatisierungen durch Repression, Folter und Vergewaltigung in Sudan erlebt. Zwischen der alten und neuen Regierung änderte sich nichts Grundlegendes. Dass wir als Geflüchtete uns dem sudanesischen Regime unterstellen müssen, das für eben diese Verbrechen zum Teil direkt verantwortlich ist, empfinden wir als Verstoß gegen unsere Menschenwürde. Wir vertrauen der neuen sudanesischen Regierung kein Stück. Bei jedem Besuch bei der Botschaft werden unseren Namen durch den sudanesischen Sicherheitsapparat überprüft. Alle unsere persönlichen Angaben werden in Datenbanken über Oppositionelle, ihre Angehörigen und ihr Eigentum in Sudan gespeichert. Viele von uns haben gute Gründe, dem neuen sudanesischen Regime nicht mitzuteilen, wo wir uns aufhalten - auch aus Sorge um in Sudan verbliebene Familienangehörige. Diesen Zwang zur Passbeschaffung finden wir politisch falsch und moralisch verwerflich. Denn er hilft auch ein Unrechtsregime zu legitimieren und verletzt unsere Würde. Wir möchten, dass Sie unsere Anliegen wie wir sie oben geschildert haben, bitte ernst nehmen! Wir wollen nicht mehr am den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Diese systematische Ausgrenzung missachtet das grundlegende Recht auf menschenwürdiges Leben. Behandeln Sie alle Geflüchteten mit Chancengleichheit, Gleichberechtigung unabhängig von ihrer Nationalität! Wir fordern eine sofortigen Stopp aller Abschiebungen in den Sudan und die Rücknahme der Einstufung des Sudan als angeblich "sicheres Herkunftsland“! Mit freundlichen Grüßen Gruppe "Freiheit für neuen Sudan" Kontakt Email: sudanfriedens@gmail.com Info: Kontinuitäten zwischen alter und neuer Regierung in Sudan: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/sudan-sudan-2019(Stand Anfang 2020) https://www.amnesty.ch/de/laender/afrika/sudan/dok/2020/sicherheitskraefte-fuer-tod-von-protestierenden-zur-verantwortung-ziehen(09.03.2020) https://medium.com/@sudanuprising/stellungnahme-bez%C3%BCglich-wiederaufnahme-der-bilateralen-zusammenarbeit-mit-dem-sudan-590cac9224bc(25.04.2020) https://taz.de/Sudankonferenz-in-Berlin/!5691184/ (25.06.2020) https://www.omct.org/files/2020/07/25966/briefing_paper_on_torture_in_sudan.pdf(25.07.2020) https://www.labournet.de/internationales/sudan/sudan-politik/friedensabkommen-im-sudan-ohne-die-aufloesung-der-milizen-ohne-kritik-am-wirtschaftlichen-einfluss-der-armee/(02.09.2020) http://www.sudanuprising.com/endjanjaweed.html (Oktober 2020) Weiterbestehende Fragilität der Vereinbarungen (beispielhaft): https://www.dw.com/de/sudan-entsendet-truppen-nach-darfur/a-54339476(27.07.2020) https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/sudan-keshas-erbe(04.09.2020) https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/eight-people-killed-in-demonstrations-in-eastern-sudan(16.10.2020) https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/civil-society-orgs-warn-sudan-govt-against-implementing-peace-agreement(17.10.2020) https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/four-killed-in-port-sudan(19.10.2020) https://theconversation.com/peace-in-sudan-patience-is-required-for-the-long-road-ahead-148196(22.10.2020) https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/attack-on-south-darfur-village-leaves-12-dead(23.10.2020) https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/protests-against-sudanese-security-forces-brutality(23.10.2020) https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/sudan-journalist-abducted-and-mistreated(26.10.2020) https://www.dabangasudan.org/enall-news/article/protestor-shot-at-demo-dies-in-hospital(26.10.2020) Problematik der EU-Kooperation mit afrikanischen Staaten zur Migrationsbekämpfung: https://www.amnesty.de/sites/default/files/2019-09/Positionspapier-Migrationskooperationen-EU-AFRIKA-2019.pdf(September 2019) https://www.cmi.no/publications/file/7174-irregular-migration-or-human-trafficking.pdf (März 2020) (spezifisch auf Sudan bezogen; Förderung der mörderischen RSF als Grenzschützer durch EU/Deutschland) Rahmenbedingungen im Sudan: https://reports.unocha.org/en/country/sudan/ (fortlaufend aktualisiert)"
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