Etwa zehntausend Schutzsuchende stecken derzeit unter widrigsten Bedingungen in Bosnien fest. Im Land ist die humanitäre Lage für Geflüchtete katastrophal. Es mangelt an der nötigen Versorgung der Menschen ebenso wie an jedweder Perspektive. 3.000 Menschen leben nicht einmal in Camps, sondern unter freiem Himmel. Und die EU weigert sich, Verantwortung zu übernehmen.
Seit Anfang 2018 führt die Fluchtroute gen Westeuropa durch Bosnien, immer wieder spitzte sich die humanitäre Situation für die Geflüchteten in dem überforderten Land dramatisch zu. Seit Tagen eskaliert die Lage erneut, wie Marion Kraske von der Heinrich Böll-Stiftung Sarajevo analysiert. Die Politik in Bosnien gegenüber Geflüchteten wird immer härter. Am 30. September räumten die Behörden gewaltsam das IOM-Camp Bira. Die Menschen landeten auf der Straße. Denn das Camp Lipa, in das die Menschen gebracht werden sollten, war bereits überfüllt und ohnehin völlig ungeeignet zur Unterbringung und Versorgung von Schutzsuchenden. In der Folge kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Schutzsuchenden, bei denen zwei Menschen starben und viele weitere verletzt wurden.
„Das Chaos wurde bewusst herbei geführt, so scheint es, um den Migranten zu demonstrieren: Ihr seid in Bosnien nicht erwünscht. „Traurig, inhuman und unnötig“, kommentierte der IOM-Vertreter in Bosnien, Peter van Der Auweraert das Vorgehen der Behörden. So sehe der Beginn eine humanitären Krise aus.
In den Wäldern Velika Kladusas hausen Hunderte Flüchtlinge in selbst gebauten Notbehelfen aus Plastikplanen, es mangelt ihnen an Essen, an Decken, an allem. Ob sie hier den Winter überleben werden ist nicht gesichert. Ihre desolate Lage ist kein Thema.“
Marion Kraske, Flüchtlingskrise in Bosnien: Politikversagen, Gewalt und Hass, in: Heinrich Böll-Stiftung Sarajevo vom 6. Oktober 2020
Die EU protestierte scharf gegen das Vorgehen der bosnischen Behörden. Doch solche Statements sind heuchlerisch. Denn die Verhärtung in Bosnien ist eine unmittelbare Folge der europäischen Politik: Die EU duckt sich weg, tut so, als hätte sie mit den Geflüchteten auf der Balkanroute nichts zu tun, und schiebt die Verantwortung für die Schutzsuchenden auf das überforderte, dysfunktionale Bosnien ab.
Kroatien zwingt die Menschen in – vielfach dokumentierten – gewaltsamen, illegalen Pushbacks über die Grenze zurück nach Bosnien. Das Recht, einen Asylantrag zu stellen, wird ihnen verwehrt. Von der EU gibt es dagegen keinen Protest, sondern nur Lob für die kroatische „Grenzsicherung“.
„Kafil Kashr, a 48-year-old journalist who fled Indian-administered Kashmir, has tried and failed to cross into Croatia 14 times in a year-and-a-half. He’s currently resting before a new „game“.
„We came here to seek salvation. But we are kicked, we are beaten. They might as well kill us next time. We’re fed up,“ he says.“
‚They might as well kill us‘: Hundreds of migrants stuck in Bosnia, in: France 24 vom 3. Oktober 2020
Hinzu kommt, dass die allermeisten der Menschen, die auf der Balkanroute festsitzen, zuvor im EU-Land Griechenland registriert waren, dort aber in katastrophalen Camps oder direkt auf der Straße landeten. So trug auch die fehlende Versorgung in dem EU-Land mit dazu bei, dass Schutzsuchende Griechenland verließen und dann in Bosnien strandeten.
In Bosnien sind derzeit etwa 7.000 Schutzsuchende in überfüllten, zumeist völlig unzureichenden IOM-Camps untergebracht. Etwa 3.000 Menschen haben nicht einmal das – sie müssen unter freiem Himmel, in Ruinen oder in selbstgebauten Notbehelfen schlafen. Eine Versorgung durch bosnische Behörden oder IOM gibt es für sie nicht. Und schon jetzt sind die Nächte im Norden Bosniens bitterkalt.
Lösungen?
Was soll aus den in Bosnien gestrandeten Menschen werden, denen der Weg in die EU versperrt ist? Ein funktionierendes Asylsystem existiert in Bosnien nicht. Aufnahmeprogramme, etwa Resettlement organisiert von UNHCR, gibt es nicht. Und während die EU aus griechischen Camps wie Moria auf Druck der Zivilbevölkerung wenigstens einige Menschen aufnimmt, ignoriert sie die humanitäre Katastrophe in Bosnien. Den Menschen – viele mit Angehörigen in Deutschland oder anderen EU-Staaten – sind so gezwungen, tausende Euro für Schlepper zu bezahlen, die sie – so die Hoffnung – in die EU bringen. Die wenigsten können das bezahlen, für Familien mit mehreren Kindern ist es unerschwinglich.
Was also bleibt den Menschen? Ein Lagerleben in Bosnien ohne Ende, finanziert von der EU? Der Ausweg: Die EU übernimmt Verantwortung. Die Zahl der Menschen auf der Balkanroute ist überschaubar groß. Sie können problemlos aufgenommen werden und so zu ihrem Recht kommen.
Hintergrund
Medienberichte
Bosnien: Flüchtlingslage in Kanton Una-Sana verschlechtert, in: ORF vom 2. Oktober 2020
Bosnien: Migranten suchen in Wäldern nach Esse, in: euronews vom 28. Seütember 2020
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...