Türkei-Skandal weitet sich aus: Flüchtlingsrat beklagt „bewusstes Herunterspielen“

In Beantwortung einer Anfrage der Grünen hat die Bundesregierung am 21.08.2020 eingeräumt, dass die Zahl der Opfer des Türkei-Asylskandals viel höher ist, als von der Bundesregierung bislang zugegeben. Dabei geht es um die Beschlagnahmung von sensiblen Informationen aus Asylakten nach der Festnahme des türkischen Vertrauensanwalts der deutschen Botschaft, Yilmaz S., durch die türkischen Verfolgungsbehörden.

Rechtsanwalt Dündar Kelloglu vom Vorstand des Flüchtlingsrats beklagt:

„Wir müssen davon ausgehen, dass die Bundesregierung die Zahl der Betroffenen in der Vergangenheit bewusst heruntergespielt hat. Offenkundig sind tausende von Geflüchteten aus der Türkei betroffen. Etliche von ihnen sind weiterhin bedroht. Die Bundesregierung hat ihr Versprechen gebrochen, alle Fakten auf den Tisch zu legen und für den Schutz der Betroffenen und ihrer Familien zu sorgen, die durch das leichtfertige und verantwortungslose Handeln der Behörden in Gefahr geraten sind.“

Zunächst sprach die Bundesregierung von 47 Akten mit 83 betroffenen Personen, die der Anwalt bei seiner Festnahme bei sich getragen hätte. später von 59 Asylanfragen mit 113 Personen. Insgesamt, so die Bundesregierung damals in Vorspiegelung einer exakten Erfassung aller Betroffener, gehe es um 283 Fallakten betroffener Flüchtlinge. Am 24. Januar 2020 erklärte die Bundesregierung dann auf Anfrage der Linken, das BAMF habe unter Bezugnahme auf eine mögliche Bedrohung durch den türkischen Geheimdienst 448 möglicherweise gefährdete Personen informiert (BT-Drs. 19/16811, Frage 11).

Nun ist von „circa 900 Anfragen“ die Rede, welche dem Vertrauensanwalt der Deutschen Botschaft, Yilmaz S., „im Zeitraum von 2017 bis zu seiner Verhaftung im September 2019 von der Deutschen Botschaft Ankara zu Recherchezwecken im Rahmen von Amtshilfeersuchen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Verwaltungsgerichte übermittelt worden waren.“ (siehe auch: Bericht der Legal Tribune Online vom 03.09.2020). Am 16. September wird der Prozess gegen Yilmaz S. in Ankara fortgesetzt.

Den Zahlen der Bundesregierung zufolge sind von jeder Anfrage statistisch etwa zwei Personen betroffen. Aus der Anklageschrift gegen Yilmaz S. geht hervor, dass bei dem Anwalt digitales Material zu 2329 Personen gefunden wurde.

Die mangelnde öffentliche Aufklärung über den Umfang der Verfolgungsmaßnahmen in der Türkei hat auch Auswirkungen auf laufende Asylverfahren von Geflüchteten. Zwar führt das Auswärtige Amt keine Recherchen durch Vertrauensanwälte in der Türkei mehr durch. Das ganze Ausmaß der Verfolgung in der Türkei wird aber vom BAMF und einigen Verwaltungsgerichten weiterhin maßlos unterschätzt.

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