Die deutsche Ratspräsidentschaft und die Pläne zur Auslagerung des europäischen Flüchtlingsschutzes
von: Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer
Heute, am 01.07.2020, übernimmt Deutschland für sechs Monate die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union. Während der Arbeitsschwerpunkt vor allem auf der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und ihrer wirtschaftlichen und sozialen Folgen liegen wird, soll auch die Neuordnung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) verhandelt werden. Die geplante Vorprüfung von Asylanträgen an den EU-Außengrenzen bedroht den Schutzanspruch traumatisierter Geflüchteter und ihren Zugang zu einem fairen Asyl- und Aufnahmeverfahren.
Bereits im Februar dieses Jahres hat das Bundesministerium des Innern (BMI) einen Vorschlag zur Reform des GEAS erarbeitet, der durch die Bundesregierung europaweit beworben und an die EU-Kommission weitergeleitet wurde. Nur die Kommission hat das Recht, dem Parlament und Ministerrat Gesetzentwürfe vorzulegen. Dementsprechend wird ihr Vorschlag zu einem neuen Asyl- und Migrationspakt mit Aufmerksamkeit erwartet. Dieser wird zeigen, inwiefern das Konzept des BMI die Grundlage weiterer Verhandlungen sein wird.
Der Entwurf des BMI
Das BMI schlägt ein verpflichtendes Grenzverfahren an den europäischen Außengrenzen vor. Noch vor der Einreise in die Europäische Union sollen alle Asylsuchenden einen Registrierungsprozess durchlaufen. Integrale Bestandteile sind die Identifizierung und Sicherheitsüberprüfung von Schutzsuchenden sowie ein Gesundheitscheck.
Zudem soll bereits an den EU-Außengrenzen eine beschleunigte Vorprüfung von Asylanträgen stattfinden. Ausgesondert werden sollen Personen, deren Asylanträge „offensichtlich“ keine Aussicht auf Erfolg haben. Das BMI sieht diese Vorprüfung vor allem für Personen vor, die aus sogenannten „sicheren“ Herkunftsstaaten oder aus Staaten mit bislang geringer Anerkennungsquote stammen. Ferner soll die Einreise über „sichere“ Drittstaaten berücksichtigt werden. Auch auf Personen, die im europäischen Inland einen Asylantrag stellen, soll die Vorprüfung Anwendung finden.
Bei negativem Prüfungsausgang wird die Einreise in die EU verweigert. Andernfalls wird eine dauerhafte Verteilungsentscheidung getroffen. Das Dublin-Regime und der Zuständigkeitsübergang durch Fristablauf sollen abgeschafft werden. Die Verteilungsentscheidung soll entlang dem Prinzip der gerechten Lastenverteilung erfolgen. Maßgebliche Faktoren sind gemäß dem BMI-Entwurf die Bevölkerungsgröße und Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten. Demnach wäre Deutschland verpflichtet, zahlenmäßig die meisten Geflüchteten aufzunehmen. Sowohl gegen die initiale Entscheidung als auch gegen die Verteilungsentscheidung soll der Rechtsweg offenstehen. Um Sekundärmigration innerhalb der EU zu verhindern, sollen Sozial- und Gesundheitsleistungen nur in dem Mitgliedstaat gewährt werden, dessen Zuständigkeit anfänglich bestimmt wurde.
Drohende Konsequenzen für Geflüchtete und offene Fragen
Die europäische Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ist von sicherheitspolitischen und militärischen Aspekten geprägt, der Schwerpunkt liegt auf der Migrationsabwehr. Es ist zu befürchten, dass der Zugang zur Europäischen Union für viele Schutzsuchende vollständig vereitelt wird. Der Fokus auf „sichere“ Herkunftsländer und Länder mit bisher niedriger Anerkennungsquote birgt die Gefahr einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Da der Prüfung die Vermutung der Sicherheit der Herkunftsländer zugrunde liegt, wird sich die Anhörung vor allem auf eben diese Verfolgungssicherheit konzentrieren. Es drohen Massenablehnungen, die wiederum als Bestätigung der Richtigkeit der Vorprüfung herangezogen werden können.
Insbesondere traumatisierte Geflüchtete werden in ihren Möglichkeiten beschnitten, ihre Fluchtgründe fundiert darzulegen. Hierfür bedarf es einer sicheren Umgebung und besonderer Verfahrensgarantien, die im Rahmen eines Masseverfahrens kaum sicherzustellen sind. Auch der erforderliche Zugang zu Rechtsschutz dürfte nur schwerlich zu gewährleisten sein. Insbesondere ist unklar, inwiefern Anwält*innen im Grenzgebiet praktizieren und untergebracht werden und welche Gerichte zuständig sein sollen.
Humanitär drohen die „Ankerzentren“ an der Außengrenze eine Katastrophe zu werden. Die Vertreter des BMI und Auswärtigen Amtes konnten im Rahmen des 20. Berliner Symposiums zum Flüchtlingsschutz am 23.06.2020 keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage geben, inwiefern Zustände, wie sie bereits in Moria herrschen, zu verhindern sind. Dies ist umso brisanter, als der Entwurf des BMI notfalls freiheitsbeschränkende Maßnahmen zur Durchsetzung der Vorprüfung vorsieht. Unklar ist auch, wie mit den bestehenden systemischen Mängeln in den Asyl- und Aufnahmesystemen einzelner Mitgliedstaaten umzugehen ist. So haben deutsche Gerichte verschiedentlich festgestellt, dass Geflüchtete in Ländern wie Griechenland und Italien aufgrund der dortigen Lebensumstände Gefahr laufen, eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung zu erleiden.
Fazit und Forderungen
Ein Versuch, zwischen den Mitgliedstaaten eine gerechtere Lastenverteilung bei der Aufnahme von Geflüchteten herzustellen, ist sicherlich zu begrüßen. Verfahren an der Außengrenze hingegen lösen die bisherigen Probleme nicht, sondern vermehren und verlagern diese lediglich an den Rand der EU.
Die BAfF fordert deshalb zum Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft:
- Kein Rückfall hinter bisherige Standards: Bestehende Umsetzungsdefizite hinsichtlich der Aufnahme von Geflüchteten und des Asylverfahrens dürfen nicht zum Anlass für weitere Rechtseinschränkungen genommen werden. Stattdessen müssen insbesondere die Rechte traumatisierter Geflüchteter gestärkt werden. Erforderlich sind eine systematische Identifizierung besonderer Vulnerabilität, ein frühzeitiger Zugang zu allen benötigten Gesundheitsleistungen sowie ein faires Asylverfahren mit unabhängiger Verfahrensberatung. Hierfür sollte ein europaweites Konzept entwickelt werden, das die Kostenlast gerecht auf die Mitgliedsstaaten verteilt.
- Keine Vorprüfung von Asylanträgen an der Außengrenze: Geflüchteten muss es möglich sein, innerhalb der EU Schutz zu suchen. Nur so ist gewährleistet, dass eine individuelle Asylprüfung stattfindet und Rechtsschutz gesucht werden kann. Die Unterbringung von Geflüchteten muss dezentral erfolgen. Jede Form von Lagerunterbringung begründet die ernsthafte Gefahr der Verletzung der körperlichen und psychischen Integrität.
- Keine „ewige“ Zuständigkeitsbegründung: Im Rahmen der Bestimmung des zuständigen EU-Mitgliedsstaates müssen humanitäre Belange an erster Stelle Beachtung finden. Verwandtschaftliche Bindungen, soziale Netzwerke sowie die Aufnahmebedingungen sind hierbei zu beachten. Kommt es zu einer nachträglichen Änderung der Umstände, muss die Möglichkeit eines Zuständigkeitswechsels eröffnet werden.
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