Was hat der Tod von George Floyd in den USA mit dem Tod von Aman Alizada zu tun?
Am 17. August 2019 kam der aus Afghanistan geflohene Jugendliche Aman Alizada durch tödliche Polizeischüsse in Stade ums Leben (siehe u.a. hier). Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft, ob der Beamte, der die Schüsse abgegeben hat, in Notwehr agierte oder ob es sich um Totschlag handeln könnte. Dabei ist nicht von vornherein auszuschließen, dass die Schüsse auch auf Grund rassistischer Einstellungen des Polizisten abgegeben wurden.
Am Freitag vergangener Woche (2. Juni) rief ein Bündnis im Landkreis Stade zu einer Solidaritätskundgebung in Buxtehude mit den weltweiten Black-Lives-Matter-Protesten auf (siehe Aufruf hier). Während dieser Kundgebung wurde – u.a. auch in einem Grußwort des Flüchtlingsrates – auf den tödlichen Polizeieinsatz im letzten Jahr in Stade hingewiesen.
U.a. auf tageblatt.de, einer lokalen Zeitung, wurde über die Kundgebung in Buxtehude berichtet sowie ein Kommentar von Chefredakteur Wolfgang Stephan zum Fall Aman Alizada veröffentlicht.
Der Kommentar steht exemplarisch dafür, wie eingeschränkt die Fähigkeit zur Selbstreflexion und der Unwille zur Auseinandersetzung Angehöriger der Mehrheitsgesellschaft mit einem tief sitzenden latenten und strukturellen Rassismus in Deutschland ist. Wenn der Kommentator trotz der Aufdeckung von Neonazi-Strukturen in deutschen Sicherheitsbehörden, trotz rassistischer Einstellungen in den Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung der NSU-Mordserie, trotz zahlreicher Tötungen von Asylsuchenden durch deutsche Polizeibeamte wie bspw. Oury Jalloh, Amir Ageeb oder Hussam Fadl, trotz regelmäßiger racial profilings, über die People of Colour ständig klagen, tatsächlich der Ansicht ist, dass kein Zusammenhang dieser rassistischen Praktiken deutscher Behörden zu denen in den USA herzustellen ist, dann kommt hier eine ziemlich Blindheit oder Ignoranz gegenüber hiesigen Verhältnissen zum Ausdruck, die sich auch nur diejenigen leisten können, die keine Rassismuserfahrungen machen müssen.
Wenn dann auch noch geschrieben wird „auch ohne die Ermittlungsakten zu kennen, dürfte Rassismus als Ursache dieser furchtbaren Tragödie keine Rolle gespielt haben“, dann wird hier nicht nur eine gewisse Rechtsstaatsverachtung deutlich, sondern es wird klar, dass eine gründliche Aufklärung der Todesumstände überhaupt nicht interessiert, weil in autoritätshöriger Weise keine Zweifel an den Sicherheitsorganen entstehen dürfen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Mit solch einer Einstellung werden die deutschen Sicherheitsbehörden sicher nicht in der Weise reformiert, dass Rassismus, Antisemitismus oder andere menschenverachtende Einstellungen zukünftig keinen Platz mehr in ihnen haben.
Die Bürgerinitiative „Menschenwürde“, die sich bereits im letzten Jahr sehr für die vorbehaltlose Aufklärung aller Umstände der tödlichen Schüsse auf Aman Alizada eingesetzt hat, kritisiert in einer Pressemitteilung vom 17.06.2020 den Kommentar auf tageblatt.de entsprechend scharf.
Wir dokumentieren hier die Pressemitteilung der BI Menschenwürde: PM_BI_Menschenwürde_Rassismus_17-06-2020
Es bleibt zu hoffen, dass die Ermittlungsbehörden im Fall von Aman Alizada problembewusster sind und ihr Urteil nicht bereits vor der Aufklärung aller Umstände getroffen haben.
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