Der kleine Grenzverkehr

Neue Osnabrücker Zeitung vom 28.05.2010

Niedersächsischer Flüchtlingsrat will Residenzpflicht für Asylbewerber abschaffen

Osnabrück. Grenzen gibt es in Deutschland eigentlich seit 20 Jahren nicht mehr. Die Mauer ist weg, jeder kann reisen, wohin er will – fast jeder. Denn uneigentlich gibt es nach wie vor Grenzen in Deutschland: Die sogenannte Residenzpflicht für Asylbewerber ist eine umstrittene asylrechtliche Regelung – und nun erneut in die Kritik geraten.

Von Cornelia Mönster/ – Die uneingeschränkte Freizügigkeit, wie sie im Grundgesetz festgelegt wird, gilt zwar für alle Deutschen, aber nicht für alle Menschen, die in Deutschland leben. Asylsuchende etwa dürfen nicht einfach so im Bundesgebiet herumreisen. Sie müssen sich an die Residenzpflicht halten. Die Vorgabe verbietet ihnen, den Bezirk der für sie zuständigen Ausländerbehörde zu verlassen. Spazierfahrten etwa, Arzt- und Schulbesuche oder Jobs außerhalb des Bezirks sind für Asylbewerber mit laufendem Verfahren tabu. Nur Ausnahmegenehmigungen, etwa für Behördengängeoder Familienzusammenführungen, brechen diese Regelung.

Die Beschränkung ist bei Flüchtlingsorganisationen schon lange unbeliebt. Pünktlich zur Innenministerkonferenz, die gestern in Hamburg begann, erheben die Kritiker wieder ihre Stimme. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit bringe für die Betroffenen erhebliche Härten mit sich, kritisiert etwa das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. „Für eine generelle Einschränkung der Bewegungsfreiheit fehlt es an schlüssigen Gründen“, betonte der deutsche UNHCR-Vertreter Michael Lindenbauer. Der Zugang zu Bildungs- und Beratungsangeboten sowie medizinischer Versorgung werde ebenso wie Besuche bei Angehörigen und Freunden dadurch oft unnötig erschwert.

Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl fordert, die umstrittene Regelung komplett abzuschaffen. „Pro Asyl“-Vizechef Bernd Mesovic appellierte an die Teilnehmer, die Vorgabe zu lockern. Auf der Agenda der Innenministerkonferenz taucht der Tagesordnungspunkt Residenzpflicht allerdings nicht auf.

Dabei sei eine Abschaffung der Regelung längst überfällig, betont der Vorsitzende des Flüchtlingsrats Niedersachsen, Norbert Grehl-Schmitt, im Gespräch mit unserer Zeitung. „Nicht nur grundrechtlich ist die Residenzpflicht ein Problem, sondern auch aus ganz pragmatischer Sicht“, sagt der Osnabrücker. Die Chancen, einen Job zu finden, schmälerten sich durch die Regelung drastisch. „Wer nur in seinem Bezirk arbeiten darf, hat einfach schlechtere Karten als andere“, sagt der Ratschef.

Welchen Nutzen haben die Ausländerbehörden von der umstrittenen Regelung? „Es geht schlicht darum, die Asylbewerber am Verfahren zu beteiligen“, erklärt Grehl-Schmitt. Eine erzwungene räumliche Nähe zur Ausländerbehörde und zur zugewiesenen Unterkunft sei vor zwanzig Jahren, als jährlich eine Wucht von 300 000 Asylverfahren zu bewältigen war, möglicherweise noch sinnvoll gewesen, so Grehl-Schmitt. „Die Leute mussten einfach schnell greifbar sein.“ Inzwischen habe sich die Zahl der Verfahren auf jährlich etwa 25 000 reduziert, womit eine starre Einschränkung der Bewegungsfreiheit hinfällig sei, betont Grehl-Schmitt.

Die Bundesländer sehen das bislang nicht so. Nur Berlin und Brandenburg haben vor Kurzem angekündigt, die Regelung lockern und einen freien Verkehr zwischen den Ländern zulassen zu wollen. Bislang ist es allerdings bei einer Ankündigung geblieben.

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