Geduldete Familie hat Anspruch auf gemeinsame Unterkunft

Nachfolgend ist die Abschrift einer Entscheidung des VG Lüneburg dokumentiert, die kurz und knapp, aber eindeutig klarstellt, dass auch Geduldete nach Art. 6 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Herstellung der Familieneinheit zwischen Eltern und minderjährigen Kindern „ohne Einschränkungen und Vorbehalte“ haben.

In einer früheren Entscheidungen hatte das VG Braunschweig am 10.7.2003 – Az. 1 A 124/01 – entschieden, dass geduldete Eltern einen Anspruch auf eine gemeinsame Unterkunft haben, allerdings nicht bestimmen können, ob diese Unterkunft am Wohnort des Vaters oder der Mutter zu suchen ist. Ausdrücklich heißt es in der Entscheidung des VG Braunschweig weiterhin:
„Auch eine nach islamischem Ritus geschlossene Ehe ist nach Art. 6 Abs. 1 GG geschützt und die Behörde verpflichtet, die familiären Bindungen bei ihrer Ermessensausübung pflichtgemäß zur geltung zu bringen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.4.1985 – 1 C 33.81, BVerwGE 71, 228; OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.05.2001 – 4 MA 911/01, InfAuslR 2001, 387).“

Nachfolgend nun die aktuelle Entscheidung des VG Lüneburg vom 24.6.2005 – Az. 2 A 101/05:

Verwaltungsgericht Lüneburg

Az.: 2 A 101/05

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In der Verwaltungsgerichtssache

Der Frau xxx
bei Herrn xxx
Klägerin,

gegen

den Landkreis Soltau- Fallingbostel,
Vogteistraße 19, 29683 Bad Fallingbostel, – 04 Just 60/05 “
Beklagter,

Streitgegenstand: Umverteilung,

hat das Verwaltungsgericht Lüneburg “ 2. Kammer “ ohne mündliche Verhandlung am 24. Juni 2005 durch den Richter am Verwaltungsgericht Pump als Einzelrichter für Recht erkannt:

Die Wohnsitzauflage in der Klägerin am 29. März 2005 erteilen Duldung wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine Wohnsitzauflage in ihrer Duldung.

Die am 21. Juni 1979 geborene Klägerin reiste nach eigenen Angaben am 22. Mai 2004 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie am 26. Mai 2004 einen Asylantrag stellte. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Juni unter Androhung der Abschiebung in die Russische Föderation als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

ßber die daraufhin von ihr erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Oldenburg (1 A 2514/04) noch nicht entschieden.

Die Klägerin erhielt unter dem 28. Oktober 2004 eine Duldung seitens der Bezirksregierung Weser/Ems mi der Auflage, ihren Wohnsitz in der Samtgemeinde Schwarmstedt zu nehmen.

Diese Duldung wurde vom Beklagten am 30. November 2004 bis zum 28. Februar 2005 verlängert.

Am 28. Februar 2005 wurde die Klägerin im Krankenhaus Buchholz in der 35. Schwangerschaftswoche von einer Tochter entbunden, die als Frühgeburt ein Geburtsgewicht von 2.300 g hatte.

Bereits am 22. Februar stellte die Klägerin wegen Schwangerschaft einen „Umverteilungsantrag“ und bat darum, zum Wohnort des Kindesvaters xxx in Jesteburg umziehen zu dürfen.

Am 29. März 2005 verlängerte der Beklagte die Duldung der Klägerin unter Beibehaltung der Wohnsitzauflage.

Bereits unter 14. Oktober 2004 hatte Herr … von der … in Jesteburg die Vaterschaft für das Kind der Klägerin anerkannt.

Mit Schreiben vom 7. April 2005 übersandte der Beklagte dem Landkreis Harburg den Umverteilungsantrag der Klägerin mit der Bitte um Stellungnahme und Entscheidung.

Mit Schreiben vom 13. April 2005 teilte der Landkreis Harburg dem Beklagten mit, dem Umzugsantrag der Klägerin werde nicht zugestimmt. Gemäß § 64 Abs. 2 AuslG könnten räumliche Beschränkungen, Auflagen und Bedingungen gegen einen Ausländer, der nicht im Besitz einer erforderlichen Aufenthaltsgenehmigung sei, nur im Einvernehmen zwischen der aufnehmenden Ausländerbehörde und der Ausländerbehörde, die die Maßnahme angeordnet habe, geändert oder aufgehoben werden. Die Streichung einer Wohnsitzauflage stehe im pflichtgemäßen Ermessen, bei dem das öffentliche Interesse an der Beibehaltung des Wohnsitzes abgelehnter Asylbewerber mit deren privaten Interessen an einem Umzug abzuwägen sei. Bei der Interessenabwägung stehe das private Interesse hinter dem öffentlichen Interesse an einer gerechten landesweiten Verteilung von Asylbewerbern zurück.

Am 10. Mai 2005 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, sie sei dringend auf die Unterstützung ihres Partners zur Versorgung des Kindes angewiesen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Wohnsitzauflage in ihrer Duldung aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Nach einem Vermerk seiner Ausländerbehörde ist beabsichtigt, in nächster Zeit einen Ablehnungsbescheid zu fertigen. Die Ausländerbehörde ist der Ansicht, dass gemäß § 61 Abs. 1 AufenthG kein Anspruch darauf bestehe, in einer bestimmten Stadt den Wohnsitz zu nehmen oder sich in einem bestimmten Bereich aufhalten zu dürfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Rechtsstreit wird nach § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden.

Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft, die auf die Aufhebung der Wohnsitzauflage gerichtet ist.

Das es sich bei der Wohnsitzauflage um eine selbständige Anordnung nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG handelt, stellt sich die Frage nach der isolierten Anfechtbarkeit und Aufhebung von Nebenbestimmungen hier nicht. Es ist vielmehr unproblematisch die Anfechtungsklage statthaft, wobei in der Regel zunächst ein Vorverfahren durchzuführen ist, sofern sich nicht aus landesrechtlichen Bestimmungen etwas anders ergibt ( vgl. Funke/Kaiser, Gemeinschaftskomm. Zum AufenthG, Stand: April 2005, § 61 Rdnr. 27). Nach § 8 a Abs. 1 NAusfG zur VwGO bedarf es für Verwaltungsakte, die nicht dem Ausnahmekatalog nach § 8 a Abs. 3 zuzuordnen sind, keines Vorverfahrens mehr. Die Anfechtungsklage kann daher ohne Vorverfahren erhoben werden. Die Klagefrist ist gewahrt, da die Duldung nicht mehr einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, so dass die Klägerin nach § 58 Abs. 2 VwGO innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung des Verwaltungsaktes Klage erheben konnte.

Die Klage ist auch begründet. Die angefochtene Wohnsitzauflage ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die angefochtene Regelung kann, entgegen der Rechtsauffassung des Landkreises Harburg, der sich noch auf dem zum 1. Januar 2005 außer Kraft getretenen § 64 Abs. 2 AuslG beruft, nur § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sein. Nach § 61 Abs. 1 AufenthG ist der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt. Weitere Bedingungen und Auflagen können angeordnet werden.
Bei der Entscheidung. Ob eine Duldung mit einer Wohnsitzauflage zu versehen ist bzw. eine bestehende Wohnsitzauflage zu ändern oder aufzuheben ist, stehen den fiskalischen öffentlichen Interessen auch private Belange des Ausländers gegenüber, die in die Ermessenserwägung einzustellen sind und die regelmäßig überwiegen, wenn sie grundrechtlichen Schutz genießen ( so zu § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG: VG Braunschweig, Urt. V.10.7.2003 “ 1 A 124/01 -, in InfAuslR 2003, 437). In Fällen der „Familienzusammenführung“ gebieten Art. 6 Abs. 1 GG grundsätzlich die Herstellung der Einheit zwischen Eltern und minderjährigen Kindern, und zwar ohne Einschränkungen und Vorbehalte, insbesondere dürfen Erwägungen hinsichtlich möglicher Belastungen (unterschiedlicher) öffentlicher Kassen durch Sozialleistungen keine Rolle spielen. Denn Art. 6 Abs. 1 GG gebietet die Anerkennung eines Mindestmaßes an autonomer Entscheidungsbefugnis über die Modalitäten der Unterstützung und Hilfegewährung im Familienverband (vgl. Funke/Kaiser. GK- AufenthG, Stand: April 2005, § 61 Rdnr. 31). Im vorliegenden Fall gebietet Art. 6 Abs. 1 GG die Herstellung der Familieneinheit zwischen der Klägerin, ihrem Kind und dem Vater des Kindes, der die Vaterschaft anerkannt hat. Der Schutz der Familie ist bislang weder vom Beklagten noch vom Landkreis Harburg ausreichend gewürdigt worden.
Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Duldung der Klägerin mit einer neuen Wohnsitzauflage betreffend den Wohnort des Vares des Kindes der Klägerin versehen werden kann, was die Klägerin offenbar bereit ist, zu akzeptieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 124 a Abs. 1 i. V. m § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO).

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