BAMF-Entscheidungspraxis zum Irak

Vermerk
Auf dem 7. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz am 18.6.2007 stellt Herr Stiehl vom BAMF Nürnberg die gegenwärtige Entscheidungspraxis Irak wie folgt dar:

Anerkennungen
Soweit eine inländische Fluchtalternative zu verneinen ist, wird für Mandäer ab Februar 2007, für Christen und Jeziden ab Mai 2007 eine Gruppenverfolgung bejaht.

Eine inländische Fluchtalternative wird landesweit und individuell geprüft und dürfte allenfalls für den Nord-Irak in Betracht kommen. Maßgeblich sei, ob die Voraussetzungen „Erreichbarkeit“ und „Zumutbarkeit “ erfüllt seien, was dann, wenn Stammes- oder Clan-Beziehungen bzw. familiäre Beziehungen vorliegen, zu bejahen sei.

Widerrufsverfahren
Seit Mai 2007 würden anhängige Widerrufsverfahren in der Bearbeitung grundsätzlich zurückgestellt, wenn die Betreffenden aus dem Großraum Bagdad kämen bzw. wenn es sich um alleinstehende Frauen oder Personen handelt, die hier aufgewachsen und zur Schule gegangen sind. Ob es bei diesem vorübergehenden „Entscheidungsstopp“ bleibt, werde im Herbst dieses Jahres erneut entschieden. Soweit entsprechende Verfahren bereits gerichtlich anhängig seien, würde das BAMF die Anordnung des Ruhens des Verfahrens beantragen.

Sollte von der Entscheidung im Widerrufsverfahren indes die Fortführung des Einbürgerungsverfahren abhängig sein, könne auf ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen auch jetzt eine Entscheidung herbeigeführt werden.

Soweit zum gegenwärtigen Zeitpunkt von einer Gruppenverfolgung auszugehen sei, würden die Verfahren eingestellt werden.

Anmerkungen
Die vorstehenden Entscheidungslinien sind eher „grob“ und machen bei der Sachbearbeitung eine Einzelfallprüfung nicht entbehrlich. Details konnten vom Referenten leider nicht weiter erfragt werden, weil dieser die Veranstaltung wegen anderweitiger Verpflichtungen vorzeitig verlassen musste.

Der Aspekt der Gruppenverfolgung wird sowohl in laufenden Anerkennungsverfahren als auch in anhängigen Widerrufsverfahren einzubringen sein, wenn die drei oben genannten Personengruppen betroffen sind. Dabei sollte m.E. dann vorsorglich zur internen Fluchtalternative vorgetragen werden, weil es in der Tat auf eine Einzelfallprüfung ankommt; z.B.: besteht eine solche möglicherweise trotz Stammes- oder Familienbeziehungen nicht, weil die betreffende Person aus bestimmten Gründen vom Stamm bzw. der Familie nicht wieder aufgenommen wird?

Wichtig ist die neue Entscheidungspraxis des BAMF selbstverständlich auch für Flüchtlinge, deren Verfahren bestandskräftig negativ abgeschlossen ist, soweit sie den obengenannten Personengruppen angehören. Hier sollte umgehend geprüft werden, ob nicht ein Folgeantrag zu stellen ist. (Das OVG Nds. hatte noch im März dieses Jahres eine Gruppenverfolgung von Jeziden verneint, vgl. ASYLMAGAZIN 6/2007, S. 10 ff.).

Ob man im übrigen der BAMF-Verfahrensweise, über Widerrufsverfahren gegenwärtig nicht zu entscheiden, beitreten will, dürfte einzelfallabhängig sein. Möglicherweise besteht die reale Chance, aufgrund anderer Aspekte (z.B. „verwestlichte Frauen>“) zu einer Einstellung des Verfahrens bzw. – soweit schon bei Gericht anhängig – zu einer zusprechenden Entscheidung zu gelangen. Dies gilt generell bei traumatisierten Personen in Hinblick auf § 73 Abs. 1 S. 3 AsylVfG, aber auch unter dem Gesichtspunkt, dass UNHCR und Menschenrechtsorganisationen nicht nur die oben genannten religiösen Gruppen als gefährdet ansehen, sondern bspw. auch Mitglieder des ehem. Regimes bzw. Angehörige der Baath-Partei und Akademiker. Es dürfte angezeigt sein, insoweit jeweils einzelfallbezogen die aktuelle Erkenntnismittellage auszuwerten. Bei einer Prognose, dass das Widerrufsverfahren einzustellen wäre, könnte dann u.U. die Erhebung einer Untätigkeitsklage in Betracht kommen.

Waldmann-Stocker
– Rechtsanwalt –

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