Neue Satzung in Hannover: Sanktionen statt Schutz?

 

 

Der Rat der Stadt Hannover wird heute in einer Sondersitzung im Kuppelsaal eine neue „Satzung über die Unterbringung Obdachloser und Geflüchteter in der LHH“ beschließen. Diese Satzung regelt das unmittelbare Rechtsverhältnis zwischen Bewohner*innen in Unterkünften und der Stadt Hannover. Derzeit besteht diese Satzung zu einem Großteil aus einem Sanktionskatalog und einschränkenden Auflagen. Was vollkommen ausgespart wird ist der Verweis auf Rechte der Bewohner*innen. Auch fehlt jeglicher Hinweis auf wichtige Grundlagen, wie etwa die Gewaltschutzkonzepte, die für Unterkünfte erarbeitet wurden.

„Der Satzung fehlt der Blick darauf, dass hier das Wohnen in dem Zuhause von schutzsuchenden Menschen geregelt werden soll. Gerade weil das Wohnen in Unterkünften vielfach eine Dauerlösung geworden ist, da der derzeitige Wohnungsmarkt selten ein eigenes privates Mietverhältnis zulässt, muss eine neue Satzung den Schutz der Menschen in den Unterkünften in den Vordergrund stellen.“, so Laura Müller, Referentin für Gewaltschutz beim Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. .

„Es stellt sich die Frage, wie die Landeshauptstadt Hannover mit geflüchteten und obdachlosen Menschen, also Personen mit besonderem Schutzbedarf umgehen will und ob diese Satzung einer Stadt entspricht, die sich selbst nach kommunalem Beschluss als „Sicherer Hafen“ für alle Menschen bezeichnet.“ stellt Jakob Bertram von der Seebrücke Hannover fest.

So sind in der Satzung verfassungswidrige „Routinekontrollen“ festgelegt, die zweimal monatlich stattfinden sollen.

„Ein so regelmäßiges Betreten der privaten Zimmer zur Kontrolle baulicher Veränderungen, von Hygienevorschriften oder sonstiger unspezifischer Gefahrenquellen ist keinesfalls zu legitimieren, da dies klar gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 des Grundgesetzes verstößt.“ kritisiert Sylvia Grünhagen Geschäftsstellenleiterin des Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte Hannover.

Darüber hinaus gilt laut der Satzung eine Abwesenheit von über zehn Tagen als Aufgabe der Zuweisung. Die Habseligkeiten der Bewohner*innen sollen dann entsorgt werden (§4). Dabei werden Abwesenheiten aufgrund von Krankenhausaufenthalten oder Urlaub völlig außer Acht gelassen werden. Weiter dürfen die Schutzsuchenden nur mit Handgepäck einziehen. Das Aufstellen von eigenen Möbeln (§6) und jedwede Zimmergestaltungen ist untersagt (§7).

„Wir brauchen eine andere Haltung gegenüber Schutzsuchenden, egal ob es geflüchtete oder obdachlose Menschen betrifft. So bleiben Unterkünfte weiterhin sehr weit entfernt vom echten Wohnen.“ merkt Georg Rinke, Geschäftsführer des Asphalt Magazins an.

Ein breites Bündnis aus Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. / Projektnetzwerk AMBA, Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte Hannover, Asphalt Magazin, Seebrücke Hannover, Solinet Hannover und Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit stellt daher folgende Forderungen auf:

  • Einbeziehen von Interessenvertretungen und Fachorganisationen: Bei der Erstellung von so wichtigen Drucksachen, wie Satzungen muss Beteiligung anders gelebt werden!
  • Wir brauchen eine andere Haltung gegenüber Schutzsuchenden, egal ob es geflüchtete oder obdachlose Menschen betrifft.
  • WLAN muss in allen Zimmer und nicht nur in den Gemeinschaftsräumen sichergestellt werden. Gerade in Zeiten von Corona und den damit verbundenen Isolationen wird deutlich, wie wichtig WLAN ist, um sich zu vernetzten, Informationen zu sammeln und Kontakte zu halten.
  • Gewaltschutz: Gemeinschaftsunterkünfte sind strukturell konflikt- und gewaltfördernd, da sie ein Leben mit eingeschränkter Privatsphäre, auf engen Raum und unter ständiger sozialer Kontrolle bedeuten. Daher braucht es Gewaltschutzkonzepte. Hannover ist auf einem guten Weg und hat erste Standards entwickelt. Diese sind bisher vor allem in den Betreiberverträgen geregelt. Sie müssen auch öffentlich sein, sodass sich Geflüchtete und Obdachlose auch darauf berufen können. Abläufe für Beschwerden sind festzulegen und sind mehrsprachig bekannt zu machen. Ein Auszug muss immer das baldige Ziel sein.
  • Die Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Grundgesetz Artikel 13 muss gewährleistet werden. Wiederholte Zimmerkontrollen ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr sind keinesfalls legitim.

Kontakt:

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.

Laura Müller, Tel. 0511 98 24 60 35, lm@nds-fluerat.org

Seebrücke Hannover

Jakob Bertram, hannover@seebruecke.org

Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte Hannover

Sylvia Grünhagen, Tel. 0152 34137789, sylvia.gruenhagen@uf-hannover.de

Asphalt – das soziale Straßenmagazin für Niedersachsen

Georg Rinke, Tel.0511-301269-26, rinke@asphalt-magazin.de

 

Linksammlung

Presseinformation 13.03.20: Neue Satzung für Unterkünfte in Hannover- Unverletzlichkeit der Wohnung wahren!

Flüchtlingsrat Niedersachsen/Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte Hannover, Kommentierung der Beschlussdrucksache 3321/2019 „Satzung über die Unterbringung Obdachloser und Geflüchteter in der Landeshauptstadt Hannover“

alle Informationen zum bisherigen und zukünftigen Verfahren sowie alle Drucksachen zur neuen Satzung sind im Sitzungsmanagement der Stadt Hannover einsehbar

Antidiskriminierungsstelle Brandenburg, Grundrechte für Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften“, Dezember 2018

Deutsches Institut für Menschenrechte Hausordnungen menschenrechtskonform gestalten“, Oktober 2018

Hendrik Cremer (Deutsches Institut für Menschenrechte) Tagungsdokumentation: Unverletzlichkeit der Wohnung in Flüchtlingsunterkünften, Juni 2019

 

Rechtliche Einordnungen zur Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs 1 GG)

In der Broschüre „Hausordnungen menschenrechtskonform gestalten“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte aus dem Jahr 2018 findet sich eine gut verständliche Einschätzung der Rechtslage. Bei der AMBA-Fachveranstaltung „Welche Rechte haben Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften?“ im Juni 2019 berichtete Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte über die Unverletzlichkeit der Wohnung in Flüchtlingsunterkünften. Auch die Broschüre „Grundrechte für Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften“ der Antidiskriminierungsstelle Brandenburg vom Dezember 2018 ist hinsichtlich der Beschränkungen von Hausrecht, Zimmerkontrollen und Besuch-/Zutrittsregelungen und weiterer Maßnahmen sehr eindeutig.

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2 Gedanken zu „Neue Satzung in Hannover: Sanktionen statt Schutz?“

  1. „Satzung über die Unterbringung Obdachloser und Geflüchteter in der LHH“
    Hannover, 26. März 2020. Als ein Akteur der Zivilgesellschaft in Hannover fragen wir:
    Wer veranlasst den Rat der Landeshauptstadt, die Regelungen nach Baurecht mit einer Härte gegen humanitäre Standards und Respekt vor elementaren Menschenrechten zu verbinden?
    Warum drehen sich viele Diskurse der gesellschaftlichen Entwicklung udn Planungsprozesse um den Schutz von Minderheiten und den Anspruch unserer demokratischen Gesellschaft auf Solidarität mit Menschen in prekären Lebensverhältnissen?
    Warum hat sich seit vielen Jahren – auch auf Initiative unseres Verein – im „RundenTisch für Gleichberechtigung – gegen Rassimus“, in dem VertreterInnen der Stadtverwaltung, die migrationspolitischen SprecherInnen verschiedener Ratsfraktionen, die Polizeidirektion Hannover, kirchliche Organisationen, Flüchtlings- und Migrantenselbstorganisationen und weitere zivilgesellschaftliche Akteuren zusammenarbeiten (insgesamt sind 33 Organisationen vertreten),(https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Politik/B%C3%BCrgerbeteiligung-Engagement/F%C3%BCr-Vielfalt-%E2%80%93-gegen-Rechtsextremismus/Institutionen/Runder-Tisch-f%C3%BCr-Gleichberechtigung-%E2%80%93-gegen-Rassismus), eine langjährig tätige AG mit Standards der Unterbringung von Geflüchteten beschäftigt?
    Warum beziehen die Ratsfraktionen die Fachkompetenz solcher KOMMUNALER Gremien sowie die Erfahrungen von MigrantInnen-Selbstorganisationen wie dem Netzwerk MISO in Hannover nicht in die Meinungsbildung ein?
    Respekt für bürgerschaftliches Engagement?
    Nähe zu demokratisch aktiven BürgerInnen?

    Wir erwarten Korrekturen dieser übereilten Ratsentscheidung unter Einbeziehung des Sachverstandes der Zivilgesellschaft.

    Klaus Strempel, für den Vorstand des Netzwerkes Flüchtlingshilfe und Menschenrechte e.V., Hannover (netzwerk-f-u-m@gmx.de)

    Antworten
  2. Lesetipp:
    Förderung der Ziele der Landeshauptstadt Hannover
    (online: https://zuwendungen.hannover-stadt.de/zielsetzungen.cfm)

    Hannover denkt in die Zukunft – mit mehreren Zielsetzungen, die für die Landeshauptstadt entwickelt wurden.
    Dazu gehören z.B. die Ziele aus dem Stadtentwicklungskonzept „Mein Hannover 2030“.
    Im Bereich „Inklusion, Integration, Teilhabe“ stellt das Thema WILLKOMMENSKULTUR einen wichtigen Bereich dar (https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Politik/B%C3%BCrgerbeteiligung-Engagement/Mein-Hannover-2030/Die-Grundlagen/Handlungsfelder/Inklusion,-Integration-und-Teilhabe/Willkommenskultur).

    Dort heißt es u.a.:
    „Hannover steht zu der Verpflichtung, auf der lokalen Ebene einen Beitrag zur gerechten Verteilung von Lebenschancen zu leisten…
    Die Zahl der EinwohnerInnen, die selbst eingewandert sind oder aus einer Einwanderungsfamilie stammen, steigt stetig an. Aktuell machen sie gut ein Viertel der Einwohnerschaft Hannovers aus. Seit Ausbruch der Finanzkrise gibt es mehr Einwanderung aus der EU. Auch die Zahlen der Flüchtlinge und Asylsuchenden steigt wieder an. Hannover nimmt die Aufgabe der Unterbringung von Flüchtlingen sehr verantwortungsvoll wahr…
    Kommunale Integrationspolitik stößt auch an Grenzen. Die gleiche Teilhabe für alle ist noch nicht auf allen Gebieten erreicht. Daher soll eine neue Willkommens- und Anerkennungskultur wachsen, die die unterschiedlichen Bedürfnisse einzelner Einwanderungsgruppen noch stärker in den Blick nimmt.“

    Hehre Ziele – in Verwaltung und Rat heute Nachmittag weitgehend umgesetzt?
    Sind den VerfasserInnen der „Satzung über die Unterbringung Obdachloser und Geflüchteter in der LHH“ diese Zielsetzungen unserer Stadt unbekannt geblieben?
    Und hatten auch die zustimmenden EntscheiderInnen davon keine Kenntnis? Wie geht das?
    Oder ist das alles gar nicht so gemeint:
    „Die gleiche Teilhabe für alle ist noch nicht auf allen Gebieten erreicht. Daher soll eine neue Willkommens- und Anerkennungskultur wachsen…“ ?

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