Tagungsdokumentation: Leben in Flüchtlingsunterkünften, 12.04.19
Kosten der Unterbringung in Flüchtlingsunterkünften
Muzaffer Öztürkyilmaz, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
I. Übersicht zu Gebühren- und Entgelten in ausgewählten Kommunen
Die Höhe der Gebühren bzw. Entgelte für die Unterbringung von Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften variiert sehr stark. Während im Landkreis Harburg pro Person und Monat – abhängig von der Höhe des erzielten Einkommens – maximal 180,00 € (6,00 € pro Tag) fällig werden, erhebt die Samtgemeinde Gellersen pro Person eine monatliche Pauschalgebühr i.H.v. 360,00 € (12,00 € pro Tag) – unabhängig von der Höhe des erzielten Einkommens. In der Stadt Garbsen beläuft sich das monatliche Entgelt für die Unterbringung in einer der drei Flüchtlingsunterkünfte auf mindestens 753,60 € (24,98 € pro Tag) und reicht bis zu 855,30 € (28,51 € pro Tag). In Hemmingen betragen die Gebühren der Unterbringung 930,00 €. Sofern Geflüchtete in Burgdorf untergebracht werden, zahlen sie – je nach Unterkunft – pro Monat bestenfalls 261,54 € (8,71 € pro Tag) und schlimmstenfalls mit 738,69 € (24,62 € pro Tag) fast das Dreifache. Die Stadt Laatzen fordert monatlich zwischen 271,00 € (9,06 € pro Tag) und 673,80 € (22,46 €) von den dort untergebrachten Geflüchteten, was einer Preisspanne von etwa 160 % entspricht. In Lehrte differieren die Gebühren der Unterbringung zwischen 564,00 € (18,80 € pro Tag) und 304,20 € (10,14 € pro Tag), wohingegen obdachlose Personen ohne Fluchthintergrund pauschal 5,70 € pro Tag und damit höchstens 171,00 im Monat zahlen.
2. Durchschnittliche Gebühren bzw. Entgelte in ausgewählten Kommunen
Die Gebühren bzw. Entgelte betragen durchschnittlich in
a) Garbsen: 793,20 € pro Person und Monat = 26,44 € pro Tag
b) Burgdorf: 554,18 € pro Person und Monat = 18, 13 € pro Tag
c) Laatzen: 485,35 € pro Person und Monat = 16,17 € pro Tag
d) Lehrte: 405,36 € pro Person und Monat = 13,51 € pro Tag
3. Rechtsschutz
a) Gebührensatzung
Sofern die Kosten der Unterbringung auf Grundlage einer Gebührensatzung erhoben werden, ist der Weg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Hierbei kann zum einen innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Satzung beim Oberverwaltungsgericht ein Normenkontrollverfahren angestrengt werden, dass darauf gerichtet ist, die (teilweise) Ungültigkeit der Satzung (§ 47 VwGO) feststellen zu lassen. Zum anderen kann beim Verwaltungsgericht innerhalb der Rechtsmittelfrist von einem Monat eine Klage gegen den Gebührenbescheid erhoben werden.
b) Entgeltsatzung
Sofern die Kosten der Unterbringung auf Grundlage einer Entgeltsatzung erhoben werden, ist der Zivilrechtsweg eröffnet. Je nach Höhe der Entgeltforderung ist entweder das Amtsgericht (bis 5.000,00 €) oder das Landgericht (ab 5.000,01 €) zuständig, wobei eine negative Feststellungsklage zu erheben ist.
II. (Vorläufige) Kurzüberlegungen
1. Die individuelle Gebühren- bzw. Entgeltbelastung variiert sehr stark
Die individuelle Gebühren- bzw. Entgeltbelastung variiert in den verschiedenen Kommunen teilweise um bis zu 475 % (maximal 180 € im LK Harburg zu 855 € in der Stad Garbsen) und innerhalb der einzelner Kommunen um bis zu 180 % (Garbsen: 261 € zu 738 €). Zu berücksichtigen ist hierbei insbesondere auch, dass diese Mehrbelastung auf der behördlichen Zuweisungsentscheidung beruht, die sich jeder Einflussnahme durch die Geflüchteten selbst entzieht. Soweit die Gebühren bzw. Entgelte der Unterbringung für obdachlose Geflüchtete höher bemessen sind als für die übrigen obdachlosen Personen, führt dies ebenfalls zu einer Mehrbelastung. Beides dürfte mit Art. 3 GG nicht vereinbar sein.
2. Gebühren- bzw. Entgeltforderungen häufig „Wucher“ bzw. sittenwidrig
Gebühren bzw. Entgeltforderungen, die in privatrechtlichen Mietverhältnissen sehr wahrscheinlich als Wucher zu qualifizieren wären, weil sie die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete um mehr als 50 % übersteigen und die „Zwangslage“ der Wohnungssuchenden Geflüchteten „ausbeuten“ dürften ebenfalls sittenwidrig sein, da andernfalls der Rechtsgedanke des § 138 BGB durch das Verwaltungsrecht ausgehebelt werden würde, was im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung unvertretbar erscheint.
3. Zusammensetzung und Berechnung der Unterbringungskosten unklar
Die Kosten der Einrichtungen sind nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu ermitteln (§ 5 Abs. 2 S. 1 NKAG). Unklar ist zum Teil bereits, welche Kosten die Kommunen in die Berechnung der Gebühren- bzw. Entgelte einbeziehen; Vollständig unklar ist, in welcher Höhe die Kommunen die einzelnen Kosten in Ansatz bringen. Beides ist jedoch insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Gebühr nach Art und Umfang der Inanspruchnahme, d.h. nach dem Wirklichkeitsmaßstab, zu bemessen (§ 5 Abs. 3 S. 1 NKAG) ist von entscheidender Bedeutung, um die individuelle Gebühren- bzw. Entgeltschuld zu bestimmen bzw. nachprüfen zu können.
4. Kommunen machen keinen Gebrauch von ihren Gestaltungsspielräumen
Die Kommunen verfügen über weitgehende Spielräume bei der Ausgestaltung der Gebühren- bzw. Entgeltsatzungen. So soll das Gebührenaufkommen die Kosten der jeweiligen Einrichtungen zwar grundsätzlich decken (§ 5 Abs. 1 S. 2 NKAG), allerdings steht es den Kommunen frei, niedrigere Gebühren zu erheben bzw. vollständige von der Erhebung abzusehen, soweit daran ein öffentliches Interesse besteht (§ 5 Abs. 1 S. 3 NKAG). Zudem können die Kommunen bei der Gebührenbemessung und bei der Festlegung der Gebührensätze soziale Gesichtspunkte, auch zugunsten bestimmter Gruppen von Gebührenpflichtigen, berücksichtigen (§ 5 Abs. 3 S. 3 NKAG).
5. Geflüchtete werden demotiviert und ihre Perspektiven verbaut
Geflüchtete, die zum Mindestlohn i.H.v. 8,90 € arbeiten, verfügen – je nach Familienstand – über ein monatliches Nettoeinkommen von etwa 1.100 bis 1.300 €. Dass Geflüchtete teilweise zwischen 60 % und 80 % ihres monatlichen Nettoeinkommens für die Kosten ihrer Unterbringung einsetzen müssen- wodurch ihnen finanziell kaum mehr bleibt als ALG II – Bezieher_Innen – beraubt sie häufig ihrer Motivation (weiter) zu arbeiten. Überdies haben sich offene Gebühren- bzw. Entgeltfoderungen teilweise auf mehrere tausend Euro summiert und sollen nun im Wege der Zwangsvollstreckung beigebracht werden, weshalb Geflüchtete sich vielfach mit dem Gedanken auseinandersetzen, die Privatinsolvenz zu erklären. In Anbetracht der damit verbundenen Konsequenzen, würde sich auch dies sehr wahrscheinlich auf die Arbeitsmotivation der Betroffenen niederschlagen und vor allem ihre Zukunfts- und Intergrationsperspektiven in Deutschland langfristig verbauen.
Die Tagung wurde gefördert durch
Leider ist es im Kreis Offenbach genauso. Wir müssen alle Folgen dieser unmöglichen Entscheidung miterleben. Leider muss ich auch feststellen, dass viele Kreisabgeordnete keine Ahnung davon hatten , über was sie da abstimmen.