Eine Anmerkung aus Anlass des 70sten Geburtstages des Grundgesetzes
von RA Peter Fahlbusch, Hannover
Man stelle sich folgendes Szenario vor:
Eine Ausländerbehörde, daneben ein Gericht. In der Mitte gelegen, wie praktisch, eine Kantine, wo Mitarbeitende des Gerichts und der Behörde regelmäßig zu Mittag speisen. Doch irgendetwas stimmt mit der Kantine nicht; immer wieder muss beobachtet werden, dass viele, sehr viele, rund die Hälfte der Gäste nach dem Kantinenbesuch erkranken. Manche leicht, manche schwer, ab und an stirbt sogar ein Besucher. Was würde hier passieren? Würde die Kantine durch die Aufsichtsbehörde dicht gemacht und versucht, dem Problem auf den Grund zu gehen? Oder würde dem Kantinenwirt alles Gute gewünscht und ihm Gelegenheit gegeben, seinen Laden durch mehrere Anbauten stark zu erweitern und anschließend mit demselben Personal, denselben Zulieferern und denselben Zutaten weiter zu wirtschaften?
Hier meine aktuelle Abschiebungshaftstatistik, Stand heute, d.h. passend zum 70sten Geburtstag des Grundgesetzes mit dem ja allenthalben bekannten Kronjuwel in Art. 104 GG:
Seit 2001 habe ich bundesweit 1.809 MandantInnen in Abschiebungshaftverfahren vertreten. 873 dieser MandantInnen (dh knapp 50 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche „nur“ einen Tag, andere monatelang). Zusammengezählt kommen auf die 873 MandantInnen zweiundzwanzigtausendsiebenhunderteinundsiebzig (in Zahlen 22.771) rechtswidrige Hafttage (das sind rund 62 Jahre rechtswidrige Inhaftierungen!). Im Durchschnitt befand sich jeder/r Mandant/in knapp 4 Wochen (26,1 Tage) zu Unrecht in Haft.
Seit zig Jahren erhebe und veröffentliche ich diese Zahlen. Seit zig Jahren ändert sich nichts. Seit zig Jahren sind immer rund 50% der Haftentscheidungen rechtswidrig. Seit zig Jahren befindet sich durchschnittlich jeder zweite Gefangene rund 4 Wochen zu Unrecht in Haft. Demut offizieller Stellen, geschweige denn ein Moratorium mitsamt hinreichender Evaluierung dieses Befundes ist nicht erkennbar. Statt dessen heißt es: Weiter, immer weiter, Augen zu und durch. Und mehr davon! Seehofer und Bundesregierung planen bekanntlich mit dem Hau-ab-Gesetz eine massive Ausweitung der Inhaftierungsmöglichkeiten. Ohne prophetische Gaben zu haben wage ich anhand der Erfahrungen der letzten 18 Jahre schon jetzt, folgende Gleichung aufzustellen:
Mehr Abschiebungshaftgefangene = mehr rechtswidrige Haftentscheidungen.
Art. 104 GG scheint relativierbar. Der Betrieb einer Kantine läuft anders als der eines Gefängnisses. Es ändert sich nichts. Schade!
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...
1 Gedanke zu „Desaster Abschiebungshaft, Hau-ab-Gesetz und die Kantine des Grauens“