Schutzquoten im Vergleich: Entscheidungen über Asylanträge 2018, Zahlen für alle Herkunftsländer. Zahlenquelle: BAMF, grafische Darstellung: PRO ASYL
Immer wieder spielt in öffentlichen Diskussionen die Schutzquote für Flüchtlinge eine Rolle. Die Zahlen unterscheiden sich dabei jedoch gelegentlich, denn die deutschen Behörden verwenden eine Darstellungsweise, die nicht nur inhaltlich getroffene Entscheidungen mit einbezieht – die sogenannte »Gesamtschutzquote« – auch aus politischem Kalkül.
Die von den Behörden verwendete Schutzquote umfasst die Summe aller anerkennenden Bescheide (Asyl nach Art. 16 GG, Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention, subsidiärer Schutz, Abschiebungsverbot) und wird einfach nur in Relation zur Gesamtzahl der getroffenen Entscheidungen gesetzt, was auch sonstige Verfahrenserledigungen mit einschließt.
Durch diese Darstellung entsteht der Eindruck, dass Menschen aus bestimmten Ländern selten(er) Gründe zur Flucht haben. Das ist zum Beispiel in der Debatte um sichere Herkunftsländer von Bedeutung, aber auch, wenn Geflüchteten allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Personengruppe mit angeblich geringer Bleibeperspektive beispielsweise frühzeitige Integrationsmaßnahmen verweigert werden. Und nicht zuletzt taugen höhere Ablehnungsquoten auch dazu, in der Bevölkerung Stimmung gegen Flüchtlinge zu schüren.
Fast ein Drittel der Anträge wird formell erledigt
So wurden im Jahr 2018 von 216.873 Asylanträgen nur 75.395 nach inhaltlicher Prüfung abgelehnt. Dennoch beträgt die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angegebene Schutzquote lediglich 35 Prozent – denn neben diesen inhaltlich abgelehnten Anträgen zählt das BAMF satte 30,2 Prozent Anträge hinzu, die sich formell erledigt haben.
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Hinter diesem Begriff der formellen Erledigung verbergen sich unterschiedliche Sachverhalte. Teilweise wurden Anträge zurückgenommen oder haben sich wegen zwischenzeitlicher Änderungen des Aufenthaltsstatus erledigt, zumeist (die LINKEN-Abgeordnete Ulla Jelpke spricht von 75 Prozent der formellen Erledigungen) handelt es sich dabei aber um die Feststellung, dass gemäß Dublin-Verordnung ein anderer EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist.
Wesentlich ist also: In keinem dieser Verfahren wurde eine Entscheidung über die Schutzbedürftigkeit getroffen, es gab nicht einmal eine inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe.
Eine seriöse Aussage über Schutzbedürftigkeit trifft nur die bereinigte Schutzquote
Diese Verfahrenserledigungen sagen damit rein statistisch aber gar nichts zur Frage aus, ob diese Antragsteller*innen grundsätzlich Fluchtgründe hatten oder haben. So kann z.B. jemand, der hier in Deutschland formell abgelehnt wurde, weil ein anderer Mitgliedstaat die Prüfung durchführen muss, in eben diesem Mitgliedstaat immer noch die volle Flüchtlingsanerkennung erhalten. Ergo: Seriös ist nur eine Gegenüberstellung der tatsächlichen JA/NEIN-Entscheidungen zur Schutzbedürftigkeit.
Um die Entscheidungspraxis des BAMF und die Schutzbedürftigkeit von Asylantragsteller*innen realistischer abbilden zu können, zieht man also die »sonstigen Verfahrenserledigungen« von den getroffenen Entscheidungen ab und errechnet die Quote der erteilten Schutzstatus in inhaltlich entschiedenen Verfahren – daraus ergibt sich die sogenannte »bereinigte Schutzquote«. Auch das statistische Amt der Europäischen Union, EUROSTAT, verwendet diese.
Warum ist das in der Praxis wichtig?
Relevant ist dieser Unterschied, weil beispielsweise in der Diskussion um die Einstufung der Maghreb-Staaten als »sichere Herkunftsländer« auch die geringen Schutzquoten als Begründung herangezogen werden. Von den 4.551 im Jahr 2018 abgelehnten Asylanträgen aus den Staaten Marokko, Algerien und Tunesien wurde aber über die Hälfte (2.542) überhaupt nicht inhaltlich behandelt. Rechnet man diese heraus, ergibt sich z.B. für Marokko plötzlich eine Schutzquote von 8 Prozent (statt 4,1 Prozent unbereinigte Schutzquote) [Zahlenquelle: Asylgeschäftsstatistik 2018]. Durchaus ein gewichtiger Unterschied, wenn man, wie die Bundesregierung, behauptet, die niedrige Anerkennungsquote erlaube die gesetzmäßige Einstufung als »sicherer Herkunftsstaat«.
Afghanistan: 52,1 % statt 37,5 %
Ähnliches gilt auch für Geflüchtete aus Afghanistan. Dort weist die offizielle Statistik eine Schutzquote von 37,5 Prozent auf. Ohne die 28,1 Prozent formell erledigter Verfahren überwiegt die Zahl der Asylanträge, in denen ein Schutz attestiert wurde, aber die Ablehnungen tatsächlich: In 52,1 Prozent der Fälle wurde Asyl nach GG Art. 16a, eine Flüchtlingsanerkennung, subsidiärer Schutz oder zumindest ein Abschiebeverbot gewährt.
Das hat auch für Neuankömmlinge eine Bedeutung. Momentan erfolgt eine Art Vorsortierung von Flüchtlingen nach »guter« oder »schlechter Bleibeperspektive«. Einzige Kriterien für die gute Bleibeperspektive: Eine »relevante Zahl« an Antragssteller*innen und eine Gesamtschutzquote für Menschen aus dem jeweiligen Herkunftsland von über 50 Prozent. Nur diese Personen erhalten beispielsweise bereits während des Asylverfahrens die Möglichkeit, Integrationskurse zu besuchen. Mit einer vorgeblich »geringen Bleibeperspektive« droht den Menschen dagegen eine langanhaltende Unterbringung in Massenunterkünften wie den bayerischen AnkERzentren.
Dazu kommen noch Korrekturen durch Gerichte
Diese Sortierung sorgt in vielen Fällen dafür, dass die Integration von Menschen, die dauerhaft in Deutschland bleiben werden, unnötig verschleppt wird. Hinzu kommt – gerade bei Flüchtlingen aus Afghanistan – nämlich noch, dass viele der negativen Asylbescheide nachträglich vor Gericht kassiert werden.
Alles in allem wurden 2018 (Januar – September) rund ein Drittel aller Entscheidungen korrigiert, bei Afghan*innen waren es über 58 Prozent. Das sind Quoten, die in anderen Rechtsgebieten sofort als Skandal erkannt würden. Wer Aussagen zur Erfolgschance von Asylanträgen treffen will, der müsste konsequenterweise auch die Erfolgsquoten vor den Verwaltungsgerichten in den Blick nehmen. Die Schutzquote steigt damit weiter.
Letztlich gilt so oder so: Tricks bei der Quotenberechnung und Erfolgsprognostik verfälschen den Sinn eines unabhängigen Asylverfahrens, in dem immer das Einzelschicksal in den Blick genommen werden muss.
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