Der sog. Rückführungserlass der Landesregierung verfolgt das Ziel, Abschiebungen „so zu organisieren“, dass die damit „verbundenen Belastungen“ für die Betroffenen „so gering wie möglich gehalten werden.“ Ob die rot-schwarze Koalition es hiermit ernst meint, ist zweifelhaft, wie ihre Antworten auf die kleine Anfrage der Grünen zur „Praxis der Abschiebungshaft in Niedersachsen seit 2015“ zeigen.
Obwohl sich die Landesregierung im Rückführungserlass verpflichtet, Schwangere nicht in Abschiebungshaft zu nehmen, wurde im Jahr 2018 eine Asylsuchende, die ein Kind erwartete, für ein anderes Bundesland im niedersächsischen Abschiebungshaftgefängnis Langenhagen inhaftiert (Frage 2). Die Landesregierung äußert zwar kein Bedauern -, teilt jedoch mit, dass sie diesen Fall zum Anlass genommen habe, „die Aufnahmebedingungen in Langenhagen für die anderen Bundesländer um den Zusatz zu erweitern, dass unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien oder alleinerziehende Elternteile mit schulpflichtigen und minderjährigen Kindern in der Abteilung Langenhagen nicht angenommen werden“ – und sorgt so erst verspätet dafür, dass die nach Erlasslage ohnehin nicht zulässige Inhaftierung Schwangerer (siehe Punkt 7.6) jedenfalls zukünftig unterbleibt.
Auch in anderer Hinsicht erscheint die Einhaltung des Rückführungserlasses fragwürdig: Dem Flüchtlingsrat Niedersachsen sind mehrere Fälle bekannt, bei denen Familien zwar nicht inhaftiert, jedoch auseinandergerissen wurden, obgleich die Wahrung der Familieneinheit laut Rückführungserlass eine „hohe Bedeutung“ für die Landesregierung einnehme (siehe Punkt 5.4).
Die Landesregierung gibt ferner an, dass sich im Jahr 2017 zwei Personen über sechs Monate in Abschiebungshaft befanden. Zu den (Hinter)Gründen lägen ihr allerdings „keine näheren Erkenntnisse“ vor (Fragen 9 bis 11). Ebenfalls unbeantwortet bleibt daher, welche Maßnahmen (in diesen beiden Fällen) als mildere Mittel ergriffen wurden, um die Anordnung der Abschiebungshaft möglichst zu vermeiden (Frage 12). Dabei müsste die Landesregierung diese Fragen durchaus beantworten können, denn die Ausländerbehörden sollen gemäß Rückführungserlass alle Fälle, „in denen von ihnen Haftanträge gestellt bzw. in denen Haftbeschlüsse erlassen wurden“ erfassen und „den Ausgang des Abschiebungshaftverfahren[s] einschließlich der im Verfahren ergangenen richterlichen Beschlüsse in möglichen Beschwerdeverfahren“ dokumentieren (Punkt 9).
Die unterlassene Dokumentation erklärt, weshalb die Landesregierung im Bereich der Abschiebungshaft weder „strukturelle Mängel“ noch einen Bedarf an einer staatlich finanzierten Gefangenenberatung zu erkennen vermag, auch wenn sich ca. 50 % aller Haftanordnungen weiterhin als rechtswidrig erweisen. Da Abschiebungshaft keine Bestrafung für eine unterlassene Ausreise ist, sondern als „Ultima Ratio“ nur dazu dient, die Abschiebung der Gefangenen zu sichern und deshalb stets auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, ist die Erhebung valider Daten unverzichtbar, um fehlerhafte und falsche Inhaftierungen bestmöglich zu vermeiden bzw. die Inhaftierungsdauer auf das absolut notwendige Minimum zu reduzieren.
Auch an anderer Stelle zeigt sich, dass die Landesregierung den festgestellten Rechtsbrüchen im Bereich der Abschiebungshaft und den davon betroffenen Menschen weitgehend gleichgültig gegenübersteht. So sieht die Landesregierung spätestens seit Mai 2018 einen Bedarf für ein Abschiebungshaftvollzugsgesetz, das die Rechte und Pflichten der Gefangenen in der Haftanstalt – endlich – verbindlich regelt. Allein: Unternommen hat sie bislang nichts. Die Untätigkeit der Landesregierung hat zur Folge, dass Abschiebungshaft in Niedersachsen immer noch in einem rechtlichen Graubereich vollzogen wird, der sich fernab von rechtsstaatlichen Prinzipien bewegt.
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