Presseerklärung
20. November 2018
PRO ASYL zu den einzelnen Vorschlägen zur »Beschleunigung des Dublin-Verfahrens«
Das aktuell in der Öffentlichkeit diskutierte Seehofer-Papier vom 15. Oktober 2018 enthält Vorschläge des Bundesinnenministeriums »zur Beschleunigung des Dublin-Verfahrens«. Für Verwirrung sorgte, dass das Papier von den Medien als »5-Punkte-Plan zur Beschleunigung von Abschiebungen« aufgegriffen wurde. Es folgten Ratespiele zwischen Dementi und Chaos seitens des Bundesinnenministeriums.
Nimmt man den Titel des Papiers ernst, beschäftigt es sich nicht allgemein mit Abschiebungen, sondern lediglich mit der Abschiebung jener Schutzsuchender, für deren Asylverfahren nach der Dublin-Verordnung ein anderer EU-Mitgliedstaat zuständig ist. Mehr und schnellere sogenannter Dublin-Abschiebungen bedeuten: Den Staaten an den europäischen Außengrenzen, die laut der Konstruktion des (im Grunde gescheiterten) Dublin-Systems in den meisten Fällen zuständig sind, werden per Rücküberstellung weitere Lasten aufgebürdet. Griechenland, Bulgarien, Italien sollen mehr Schutzsuchende aufnehmen, ungeachtet dessen, dass in diesen Staaten ein menschenwürdiges Unterbringungs- und Asylprüfungssystem kaum existiert.
Dass die Umsetzung dieser Pläne nicht funktionieren kann, weiß das Bundesministerium des Innern (BMI) selbst, denn im Papier heißt es: »Für eine positive Entwicklung ist es von essentieller Bedeutung, dass die Mitgliedstaaten ein Asylverfahren entsprechend der Asylverfahrens und der Aufnahme-Richtlinie gewährleisten…« Obwohl diese Gewährleistung europäisches Recht ist, wird die Umsetzung von einigen Staaten weitgehend ignoriert. Wegen der katastrophalen Zustände in den meisten Staaten an den EU-Außengrenzen, werden Dublin-Abschiebungen dorthin immer wieder von Gerichten untersagt.
In das marode Dublin-System hinein sollen Verwaltungsvereinbarungen und eine Werbung für mehr Dublin-Charterflüge nun der Beitrag des Bundes zur Effektivierung sein. »Man muss kein Hellseher sein, um zu prognostizieren, dass das bei den Staaten mit den defizitärsten Zuständen im Asylsystem kaum umsetzbar ist«, kritisiert Bernd Mesovic, Leiter der Abteilung Rechtspolitik bei PRO ASYL. »Aber Bundesinnenminister Seehofer dürfte sich kaum grämen, dass das Papier, im Gegensatz zu den im Titel suggerierten Absichten, in der Öffentlichkeit als Strategiepapier für generell effizientere Abschiebungen wahrgenommen wird. Das verstärkt den Druck auf Bundesländer, die angeblich zu zögerlich sind, generell Verschärfungen im Zusammenhang mit Abschiebungen umzusetzen.«
Was nun für Dublin-Abschiebungen geplant ist, könnte Modell für alle sonstigen Abschiebungen werden.
Nachtzeitverfügungen: Ausreisepflichtige sollen anzeigen, wenn sie beabsichtigen, sich zwischen 00:00 und 06:00 Uhr nicht in ihrer Unterkunft aufzuhalten. In Verbindung mit den folgenden Maßnahmen befürchtet PRO ASYL, dass schon damit ein erster Schritt Richtung rigoroser Überwachung Ausreisepflichtiger gemacht wird.
Elektronisches Chipsystem zur Information über abzuholende Post: Ein Chipsystem soll erfassen, ob und wann eine Person die Unterkunft betritt oder verlässt. Damit soll auch die Zustellung von Post »gegen Empfangsbekenntnis konsequenter und tagesaktuell erfolgen«. Verzögerungen bei der Zustellung amtlicher Post gibt es durchaus, allerdings nicht nur wegen zeitweiliger Abwesenheiten der Adressaten. Hier wirkt das Argument vorgeschoben und wie die Vorbereitung eines weiteren Schrittes zur vollständigen Überwachung. Schon im Papier ist ein Hintertürchen in Bezug auf die Nutzung eingebaut: Nur »unter anderem« dient das Chipsystem zur Information über erhaltene Post. Neben der Zugangskontrolle wird auch das Verlassen des Gebäudes elektronisch erfasst. In Verbindung mit möglichen weiteren Speichersachverhalten ergeben sich Fragen des Datenschutzes. Wer darf mit welcher Zweckbindung auf die Daten zugreifen? Wie lange werden welche Daten gespeichert? Wie werden die Untergebrachten über Ihre Rechte im Rahmen des Datenschutzes informiert? Inwiefern werden die Daten anderweitig genutzt?
Festanstellung von ärztlichem Personal in Unterkünften und AnkER-Einrichtungen: Problematisiert wird im Papier die bislang meist stunden- oder tageweise Beschäftigung von Ärzten in den Einrichtungen vor Ort. Das hat seine Gründe, denn qualifizierte Ärzte haben ein geringes Interesse an der Beschäftigung in solchen Einrichtungen, wo der Erwartungsdruck von Behördenseite groß ist, sich als »Abschiebearzt« instrumentalisieren zu lassen. Festangestelltes ärztliches Personal hätte zwar mehr Zeit, Untersuchungen und Gutachten zur Reisefähigkeit zu erstellen. Nach unserer Erfahrung wird diese Zeit aber wohl nicht selten dazu verwendet werden, vorgelegte fachärztliche Stellungnahmen, beispielsweise zur Reisefähigkeit, argumentativ vom Tisch zu wischen, damit die Patienten abgeschoben werden können. Zusätzlich sind die Anforderungen an ärztliche Atteste durch die Gesetzesänderungen der letzten Jahre so verschärft worden, dass niedergelassene Fachärzte im regulären Praxisbetrieb umfangreiche Stellungnahmen kaum abfassen können. »Damit sitzt der in der Einrichtung vollbeschäftigte Arzt am längeren Hebel. Abschiebungen kranker Menschen haben bereits in jüngster Zeit zugenommen«, so Mesovic.
Seehofers Plan wird Dublin-Abschiebungen nicht effizienter machen können, viele Aspekte werden an Realitäten scheitern. Das größte Abschiebehindernis ist nach wie vor nicht widerständiges Verhalten von Ausreisepflichtigen oder ihr Untertauchen, sondern die mangelnde Rückübernahmebereitschaft vieler Herkunfts- und Dublin-Länder.
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