Presseinformation, 22. August 2018
Flüchtlingsrat fordert Ministerpräsident Weil und Innenminister Pistorius auf, einen Gesetzentwurf zum „Spurwechsel“ vorzulegen
Anlässlich der morgigen Aktuellen Stunde zum Thema „Für ein modernes Einwanderungsgesetz: Arbeitsmarkt öffnen – Spurwechsel jetzt!“ und der aktuellen politischen Diskussion kritisiert der Flüchtlingsrat Niedersachsen, dass auch aus Niedersachsen weiterhin Personen abgeschoben werden, die beste Integrationsschritte durchlaufen haben.
Erst am Montag wurde eine fünfköpfige Familie mit drei schulpflichtigen Kindern in den Morgenstunden aus dem Landkreis Gifhorn nach Montenegro abgeschoben. Die Familienmutter hatte bereits einen Vertrag für eine Ausbildung als Altenpflegerin bei einem kirchlichen Träger unterschrieben. Die Familie lebte bereits mehrere Jahre in Niedersachsen. Da der Aufenthalt unterbrochen war, unterlagen sie als Staatsangehörige eines „sicheren Herkunftsstaates“ einem gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsverbot. Die drei Kinder der Familie besuchten seit mehreren Jahren erfolgreich die Schule und hatten gerade das neue Schuljahr begonnen.
„Wenn Ministerpräsident Weil und Innenminister Pistorius es mit ihren öffentlichen Verlautbarungen zum Spurwechsel ernst meinen, dann müssen sie endlich einen Gesetzentwurf zum „Spurwechsel“ vorlegen und dafür sorgen, dass solche Abschiebungen in Niedersachsen der Vergangenheit angehören“, erklärt Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen. „Es erscheint absurd, Menschen abzuschieben, die hier bei uns arbeiten oder sich ausbilden lassen wollen und längst ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, während gleichzeitig Fachkräfte im Ausland angeworben werden.“
Dem Flüchtlingsrat Niedersachsen liegen zahlreiche weitere Fälle von Flüchtlingen vor, die vor der Aufnahme einer Ausbildung stehen, aber dennoch abgeschoben werden sollen, zum Beispiel weil ein anderes Land nach der Dublin-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sein soll. Der Flüchtlingsrat appelliert in diesen Fällen an das Land Niedersachsen, diese Abschiebungen zu stoppen und den Bund aufzufordern, das Asylverfahren in Deutschland durchzuführen. „Alles andere ist integrationspolitischer Irrsinn“, so Weber. „Die jahrelange intensive Begleitung dieser Menschen durch haupt- und ehrenamtlich aktive Strukturen wird durch die längst auch von Bundeskanzlerin Merkel als gescheitert bezeichnete Dublin-Regelung durchbrochen. Damit wird allen Beteiligten vor den Kopf gestoßen.“
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen weist aber nachdrücklich darauf hin, dass die Diskussion über den Spurwechsel nicht dazu führen darf, dass die Themen Asyl und Einwanderung unzulässig vermischt werden. „Vom Spurwechsel können nur die Fittesten und Stärksten profitieren. Es ist daher unabdingbar, dass alle tatsächlich nach dem Asylrecht Schutzbedürftigen auch zu ihrem Recht kommen. Dazu ist eine neue Qualitätsoffensive beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zwingend erforderlich“, so Weber abschließend.
Kontakt:
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Kai Weber, Geschäftsführer, Tel. 0511 84 87 99 72, E-Mail: kw@nds-fluerat.org, nds@nds-fluerat.org
Hintergrund:
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat am 15. August 2018 den Vorstoß von Ministerpräsident Weil begrüßt, gut integrierten abgelehnten Asylbewerber:innen aufenthaltsrechtliche Perspektiven zu eröffnen.
Innenminister Pistorius hat sich auf der Pressekonferenz nach dem Treffen der sozialdemokratischen Innenminister:innen und Senator:innen am 17. August 2018 zum „Spurwechsel“ dahingehend geäußert, dass er zahlreiche Fälle nennen könne, in denen bestens integrierte Menschen abgeschoben würden.
Die großen Qualitätsprobleme bei der Bearbeitung der Asylverfahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge haben Menschenrechtsorganisationen wie PRO ASYL und der Flüchtlingsrat Niedersachsen wiederholt kritisiert. 2017 hatten 40,8 Prozent der Kläger:innen in Asylverfahren bundesweit Erfolg vor den Verwaltungsgerichten (bereinigte Schutzquote): Fast die Hälfte der überprüften Asylbescheide wurde also durch die Verwaltungsgerichte korrigiert – bei syrischen und afghanischen Asylsuchenden waren es sogar über 60 Prozent. (Eigene Berechnung nach Bundestags-Drucksache 19/1371)
Die Konzertierte Aktion Pflege der Bundesregierung umfasst als eine Strategie auch die Anwerbung von Fachkräften für die Pflege aus Staaten wie etwa Albanien oder Kosovo.
Bundesinnenminister Seehofer hat vergangene Woche ein Eckpunktepapier für ein Einwanderungsgesetz vorgelegt. Ein „Spurwechsel“ ist darin derzeit nicht vorgesehen. Die Verständigung für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist im Bundeskoalitionsvertrag enthalten.
Presseberichte
Protest gegen Abschieben integrierter Asylbewerber, in: WELT online vom 22. August 2018
Flüchtlingsrat protestiert gegen Abschiebungen, in: Braunschweiger Zeitung online vom 22. August 2018
Protest gegen Abschieben integrierter Asylbewerber, in: FOCUS online vom 22. August 2018
Flüchtlingsrat protestiert gegen Abschiebungen, in: Nordwest Zeitung online vom 23. August 2018
Flüchtlingsrat fordert neue Bleiberegeln, in: WELT online vom 23. August 2018
Arbeiten schwer gemacht, in: taz vom 25. August 2018
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