Presseinformation, 01.08.2018
Die Landesregierung bleibt bei ihrer Ablehnung: Ab 01.08.2018 wird die Finanzierung der Beratung für Abschiebungshaftgefangene durch den Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. nach nur zwei Jahren eingestellt – und dies, obwohl sich Inhaftierungen vielfach als rechtswidrig erwiesen haben.
Für das erste Projektjahr liegt eine vorläufige Auswertung* vor: Zwischen dem 01.08.2016 und dem 31.07.2017 hat der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. in der JVA Hannover-Langenhagen insgesamt 205 Abschiebungshaftgefangene beraten. In mindestens 56 der 205 Fälle erwies sich die Inhaftierung nach nochmaliger gerichtlicher Prüfung als rechtswidrig, was einer Quote von ca. 27 % entspricht. Werden für die (vorläufige) Auswertung ausschließlich die 124 Verfahren zugrunde gelegt, in denen überhaupt Rechtsmittel eingelegt wurden, so beträgt die Quote rechtswidriger Inhaftierungen ca. 45 % (56 von 124). Darüber hinaus wurden 29 weitere Personen, d.h. ca. 14 % der 205 Beratenen, in Abschiebungshaft genommen, ohne dass es im Anschluss hieran zu einer Abschiebung gekommen wäre. Für das zweite Projektjahr (01.08.2017 bis 31.07.2018) sind vergleichbare Resultate zu erwarten. Abschiebungshaft wird in Niedersachsen weiterhin in einem rechtlichen Graubereich vollzogen, da kein Vollzugsgesetz existiert, das die Rechte und Pflichten der Gefangenen verbindlich regelt.
Die niedersächsische Landesregierung vermag auch vor dem Hintergrund der hohen Fehlerquoten in der gerichtlichen Entscheidungspraxis keine strukturelle Mängel im Bereich der Abschiebungshaft zu erkennen – wie sich aus ihrer Antwort auf eine mündliche Anfrage der Grünen ergibt.
„Eine Fehlerquote in der gerichtlichen Entscheidungspraxis von nahezu 50 % ist eines Rechtsstaates unwürdig und müsste sowohl die Politik als auch die Justiz und die Verwaltung zum Handeln zwingen. Geht es um Abschiebungshaftgefangene, müssen wir allerdings feststellen, dass Misstände schlicht ignoriert bzw. tatenlos geduldet werden. Die hohe Quote unrechtmäßiger Entscheidungen zeigt, dass eine unabhängige und kostenlose Rechtsberatung sowie Vertretung für Abschiebungshaftgefangene unabdingbar ist“, so Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.
Nach Angaben der Landesregierung sei auch nach Beendigung des Projekts gewährleistet, dass die Abschiebungshaftgefangenen – durch das Institut der Verfahrenskostenhilfe – eine unentgeltliche Rechtsberatung in Anspruch nehmen können. Öztürkyilmaz hierzu: „In der Praxis wird dies kaum bis gar nicht umsetzbar sein, denn der weit überwiegende Teil der Gefangenen ist bereits aufgrund von Sprachbarrieren nicht in der Lage, sich selbstständig um eine Rechtsberatung oder einen Rechtsbeistand zu kümmern. Eine derartig organisierte Beratung erfüllt daher allenfalls eine Feigenblattfunktion.“
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen wird sich weiterhin um die Beratung von Abschiebungsgefangenen bemühen, ist aber nicht in der Lage, dies im bisherigen Umfang fortzusetzen. Die Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen wurde vom Flüchtlingsrat gebeten, gemeinsam nach Lösungen und alternativen Finanzierungsmöglichkeiten zu suchen.
* Die Auswertung ist „vorläufig“ deshalb, weil noch nicht für alle überprüften Fälle eine rechtskräftige Entscheidung über die Zulässigkeit einer Inhaftierung vorliegt. Die Quote der rechtswidrigen Fälle hat sich insofern bereits in den letzten Wochen verändert und kann sich noch erhöhen.
Kontakt
Muzaffer Öztürkyilmaz
Tel. 0511 98 24 60 38, E-Mail: moy@nds-fluerat.org, nds@nds-fluerat.org
Hintergrund
Das niedersächsische Justizministerium finanzierte vom 01.08.2016 bis zum 31.07.2018 das Projekt „Beratung in Abschiebungshaft“ des Flüchtlingsrats Niedersachsen. Im Rahmen des Projekts hatten alle Abschiebungshaftgefangenen Zugang zu einer fachlichen und unabhängigen Beratung.
Das Abschiebungshaftgefängnis in Langenhagen wird nicht nur von Niedersachsen, sondern auch von anderen Bundesländern zum Vollzug der Abschiebungshaft genutzt. Einerseits ist dies der Fall, weil (noch) nicht alle Bundesländer über eigene Abschiebungshafteinrichtungen verfügen (Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein) und andererseits, weil die vorhandenen Inhaftierungskapazitäten vor Ort oftmals erschöpft sind (Bayern, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen).
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