Mit Urteil vom 29.01.2018 (Az.: 10 LB 82/17) hatte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht entschieden, dass Personen, denen in Bulgarien internationaler Schutz zuerkannt wurde (Flüchtlingsanerkennung oder subsidiärer Schutz), derzeit nicht nach Bulgarien abgeschoben werden dürfen. Leider müssen wir in unserer Praxis feststellen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht in jedem Einzelfall diese neue obergerichtliche Entscheidung bei seinen aktuellen Entscheidungen in Niedersachsen zugrunde legt, sondern sich die Betroffenen erneut ihr Recht vor den Verwaltungsgerichten erstreiten müssen.
Nun sind dem Flüchtlingsrat Niedersachsen erste verwaltungsgerichtliche Entscheidungen bekannt geworden, die die obergerichtlichen Maßgaben nachvollziehen und infolge der problematischen Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende und Schutzberechtigte in Bulgarien Personen vor Abschiebungen dorthin schützen:
I. Urteil des VG Hannover
Diesem Urteil des VG Hannover vom 27.4.2018 (Az: 2 A 11561/17) lag das Verfahren eines syrischen Staatsangehörigen zugrunde, der sich seit 2014 in Deutschland aufhielt und dem in Bulgarien der subs. Schutz zugesprochen worden ist.
Im Rahmen seiner Asylantragstellung in Deutschland gelang es ihm nach einem gerichtlichen Verfahren, das BAMF dazu zu bringen im Februar 2016 ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Bulgarien festzustellen. Da das BAMF im November 2017 das Abschiebungsverbot aufhob und den Bescheid vom Februar 2016 wegen „Fehlerhaftigkeit“ zurücknahm, kam es zu einer erneuten Klageerhebung durch den Betroffenen.
Das vorliegende Urteil, in dem mit Verweis auf das o.g. Urteil des OVG Lüneburg festgestellt wird, dass die Feststellung des Abschiebungsverbots keineswegs fehlerhaft war, ist das erfreuliche und notwendige Ergebnis dieser Klage.
II. Beschluss des VG Osnabrück
Aus folgenden Gründen ist der Beschluss des VG Osnabrück vom 27.4.2018, Az: 5 B 144/18 zu einem Abänderungsantrag gem. § 80 Abs. 7 VwGO besonders begrüßenswert/beeindruckend:
– Das Gericht berücksichtigt in seiner Entscheidung das Urteil des nds. OVG vom 29.01.2018, 10 LB 82/17, obwohl es sich im vorliegenden Fall nicht um den Fall eines in Bulgarien Anerkannten, sondern um die Situation eines Schutzsuchenden im Dublin-Verfahren handelt und kommt zu dem Schluss, dass „jedenfalls die Annahme eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK in Betracht [komme]“.
– Das Gericht macht von § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO Gebrauch und gibt der Antragsgegnerin auf, dem Antragsteller, der am 26.04.2018 nach Bulgarien abgeschoben worden ist, die unverzügliche Wiedereinrese nach Deutschland auf ihre Kosten zu ermöglichen. Empörend ist allerdings, dass die Abschiebung in diesem Fall überhaupt stattgefunden hat. Der Antragsteller hatte bereits am 04.04.2018 den entsprechenden Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO beim Verwaltungsgericht gestellt, das Gericht aber bis zum 26.04.2018 nicht darüber entschieden. Vor dem Hintergrund des anhängigen Antrags und der geänderten obergerichtlichen Rechtsprechung in Niedersachsen wäre mehr Rücksicht der vollziehenden Behörden geboten gewesen. Abschiebungen aus Niedersachsen nach Bulgarien sollten derzeit überhaupt nicht stattfinden.
Nachtrag
Es ist darauf hinzuweisen, dass das o.g. Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg erst am 20.8.2018 mit Beschluss des BVerwG ( Az. 1 B 18.18) rechtskräftig geworden ist; mit diesem Beschluss hat das BVerwG die Beschwerde des BAMF wegen der Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.
Es ist traurig, dass die Behörden sich um diese Rechtsprechung nicht scheren, sondern -wahrscheinlich, um Vorgaben zu Abschiebezahlen zu erfüllen – seit mehreren Jahren hier lebende Familien durch kurzfristige Abschiebungsbescheide in Angst und Schrecken versetzen. Was macht man eigentlich mit Menschen, die nach den mit Flucht verbundenen Schrecken endlich ein wenig zur Ruhe gekommen sind und sich nach Kräften um Integration bemühen, indem man ihnen durch solche Bescheide wieder den Boden unter den Füßen wegzieht? In den letzten zwei Wochen sind mir alleine aus Aurich/Ostfriesland zwei Fälle bekannt geworden. Es handelt sich um Familien mit Kindern, die erfolgreich hier zur Schule oder in den Kindergarten gehen, während die Eltern Deutsch- und Integrationskurse besuchen und (in einem Fall) eine Praktikumsstelle gefunden haben, alles in Vorbereitung auf ein ruhiges und nützliches Leben hier. Diese Familien werden jetzt wieder in Angst und Schrecken versetzt, müssen mit anwaltlicher Hilfe gegen die Bescheide angehen. Warum?
Sehr gut geschrieben ich denke genauso und bin echt wütend über diese Art und Weise,sowas unmenschliches .Ich fühle mich so hilflos und ausgeliefert…wie fühlen sich dann erst unsre Mitmenschen,die händeringend unsre Hilfe ersuchenden Flüchtlinge…was verdammt nochmal kann man da tun ?Noch dazu,ohne selber gleich wie ein Krimineller oder Extremistischer Linksradikaler dazustehn..?
Einen Bericht von 2020 auf Deutsch zur Situation kann man hier herunterladen:
https://bordermonitoring.eu/wp-content/uploads/2020/06/bm.eu-2020-bulgaria_web.pdf
Einen neuen Report (2021) auf Englisch von ECRE kann man hier nachlesen: https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/02/AIDA-BG_2020update.pdf