02.07.2009 / HAZ Seite 5 Ressort: NIED
Göttingen. Die für heute geplante Abschiebung einer sechsköpfigen Roma-Familie aus Göttingen in den Kosovo sorgt in der Universitätsstadt für Empörung. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) protestierte gestern heftig gegen den Verwaltungsakt. GfbV-Vorsitzender Tilman Zülch forderte Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) auf, die geplante Abschiebung noch zu stoppen. Die Mutter und die vier in Göttingen geborenen Kinder halten sich versteckt, der Vater Semsi R. sitzt in Abschiebehaft.
Am Ende besiegelte ein Mitarbeiter der Göttinger Ausländerbehörde das Schicksal von Semsi R.: Als dieser noch einmal auf dem Amt erschien, um die Duldung seiner Familie zu verlängern, rief der Mitarbeiter die Polizei, die R. in Abschiebehaft nahm.
Vorangegangen waren langwierige rechtliche Auseinandersetzungen. Gerichte hatten gegen Eilanträge entschieden, die R. gegen die Abschiebung gestellt hatte. Das Problem laut GfbV: Die Flüchtlinge hätten sich bis 2007 aus Angst vor Diskriminierung als Albaner bezeichnet und erst dann ihre Zugehörigkeit zur Roma-Gruppe offenbart. Die Familie floh nach Frankreich, wurde von dortigen Sicherheitsbeamten aber wieder nach Deutschland gebracht.
Die Göttinger Menschenrechtsorganisation reagierte bestürzt auf die Ankündigung der Abschiebung: „Offenbar lassen sich die Behörden zu eiskalten Vollstreckern einer hartherzigen deutschen Flüchtlingspolitik machen“, erklärte der GfbV-Vorsitzende Tilman Zülch. Die vier Söhne des 41-jährigen R., der vor 17 Jahren nach Deutschland kam, seien in Göttingen geboren und fühlten sich als Deutsche, Deutsch sei ihre zweite Muttersprache. Für die Kinder sei die Abschiebung in das Herkunftsland eine „Deportation ins Nichts“, sagte Zülch. R. habe sich intensiv um Arbeit bemüht und sich zwischendurch auch als selbstständiger Autohändler versucht.
Die Stadt Göttingen zeichnet indes auf Anfrage ein anderes Bild der Familie. Diese habe seit 1992 mangelhafte eigene Integrationsleistungen erbracht, betont Stadtsprecher Detlef Johannson. Dies sei auch dokumentiert durch „die ebenfalls mangelhafte Unterrichtspräsenz der Kinder“. Die pädagogischen Berichte der Schule ließen darauf schließen, dass im Umfeld der Familie kein Deutsch gesprochen werde. Die Familie sei bis heute „ganz überwiegend auf Sozialleistungen angewiesen“. Die Rechtmäßigkeit der Abschiebung sei gerichtlich festgestellt worden. Die Familienmitglieder sollten nicht getrennt, sondern heute gemeinsam von Düsseldorf aus ausgeflogen werden.
Frank Rasche, Pressesprecher des Niedersächsischen Innenministeriums betont, dass es auch aufgrund veränderter Rahmenbedingungen keinen rechtlichen Spielraum mehr gebe. Denn seit April gelte zwischen Deutschland und dem Kosovo ein Rückführungsabkommen, das auch Minderheiten einschließe, also auch Roma.
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