Mit Urteil vom 29.01.2018 (Az.: 10 LB 82/17) hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht entschieden, dass Personen, denen in Bulgarien internationaler Schutz zuerkannt wurde (Flüchtlingsanerkennung oder subsidiärer Schutz) derzeit nicht nach Bulgarien abgeschoben werden dürfen. In der Vergangenheit hatten niedersächsische Ausländerbehörden trotz fehlender menschenwürdiger Existenzmöglichkeiten Personen nach Bulgarien abgeschoben und dabei mitunter sogar Familientrennungen in Kauf genommen.
Nach Auffassung des OVG verhalte sich der bulgarische Staat gegenüber (anerkannten) Asylbewerbern, die vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind, gleichgültig. Dies führe dazu, dass die Betroffenen sich in einer gravierenden Notsituation befänden. In dieser Notsituation drohe ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK unterworfen zu werden.
Das Gericht stützt seine Entscheidung im Wesentlich auf drei Aspekte:
1. Anerkannten Schutzberechtigten drohe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Bulgarien Obdachlosigkeit, weil sie in der Regel faktisch keinen Zugang zu Wohnraum hätten.
2. Anerkannte Schutzberechtigte hätten zudem große Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle zu erlangen, um die für Wohnraum und den übrigen Lebensbedarf benötigten Mittel zu erwirtschaften.
3. Die erheblichen Probleme bei der Erlangung einer Unterkunft und einer den Lebensbedarf deckenden Beschäftigung bärgen die Gefahr der Verelendung, da auch kein Zugang zu Sozialhilfe bestehe.
Das OVG hat im Rahmen des Verfahrens eine Stellungnahme der Rechtsanwältin Dr. Valeria Ilareva, Sofia sowie eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zur Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien eingeholt.
Was können Betroffene und deren Unterstützer:innen nun tun?
Personen, die in Bulgarien als Schutzberechtigte anerkannt wurden, sollten in Anbetracht des OVG-Urteils erwägen, gegen die Abschiebungsandrohung bzw. -anordnung gerichtlich vorzugehen.
Sollten Klage- bzw. Antragsfristen bereits abgelaufen sein, so sollte in Erwägung gezogen werden, einen Asylfolgeantrag zu stellen und bei einer Ablehnung ebenfalls den Klageweg zu beschreiten.
Gleichermaßen sollten Personen vorgehen, für deren Asylverfahren Bulgarien gemäß der Dublin-III-Verordnung zuständig ist.
Gewaltenteilung ist ein hohes Gut! Grundsätzlich unterschiedliche Wertungen durch Legislative und Judikative bedürfen jedoch der Klärung („Rechtshygiene“). Bulgarien gehört der Wertegemeinschaft EU an, gilt folglich als „Sicherer Herkunftsstaat“ (Art. 16a Absatz 3 Grundgesetz:
„… Staaten …, bei denen … gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. … “).
Wird – im Namen des Volkes – festgestellt, daß diese durch Volksvertreter getroffene Festlegung als grundsätzlich unzutreffend anzusehen ist, bedarf das der Auflösung. Entweder wäre Bulgarien der zuerkannte Status zu entziehen oder die Zugehörigkeit zur Wertegemeinschaft zu prüfen. Zumindest wäre ein gezieltes Einwirken auf europäischer Ebene angezeigt und zu erwarten.