Wir Ehrenamtliche fordern: Kein Rollback in der Flüchtlingspolitik

Offener Brief von Ehrenamtlichen in Baden-Württemberg zu den Sondierungsverhandlungen

48 Initiativen und etliche Einzelpersonen aus Baden-Württemberg haben einen „Offenen Brief“ an die Parteien, die über eine Regierungsbildung verhandeln, veröffentlicht, den wir nachfolgend zur Diskussion stellen:

„Wir haben Menschen willkommen geheißen, als andere nur immer und immer wieder darüber geredet haben, wie schwer doch Integration sei.
Wir haben Deutschunterricht gegeben, als andere sich darüber beschwert haben, Flüchtlinge würden kein Deutsch lernen.
Wir haben Briefe übersetzt, als andere gegen Flüchtlinge gehetzt haben. Wir haben mit Flüchtlingen gesprochen, als viele nur über Flüchtlinge gesprochen haben.
Wir haben deutsche Behörden unterstützt, als diese überfordert waren.
Wir haben versucht, Menschen das komplizierte deutsche Asylverfahren zu erklären, während andere die Rechte der Geflüchtete über Asylgesetze immer stärker eingeschränkt haben.
Wir haben angepackt, anstatt zuzusehen.
Wir haben viel Lob bekommen, aber unsere Arbeit wird durch politische Entscheidungen immer schwerer gemacht.
Wir haben gezeigt, dass ein offenes und gutes Miteinander funktionieren kann, müssen aber sehen, wie alle Parteien der AFD hinterherrennen.
Wir fordern Sie auf, nicht zu vergessen wie viele Menschen sich für Flüchtlinge engagieren.
Denken Sie nicht, dass uns nicht auffällt wenn Sie das eine reden und das andere tun.
Wir fordern eine Rückkehr zu menschenrechtlicher Flüchtlingspolitik, zu einem Deutschland, das Integration fördert und zu politischen Entscheidungen, die sich nicht ideologisch an den lautesten populistischen Forderungen, sondern an den Fakten orientieren.
Wir fordern eine Asylpolitik, die nicht gegen Menschen, sondern für sie da ist, eine Asylpolitik, die wir Hunderttausende von Engagierten mitbestimmen, die sich orientiert an Menschlichkeit, am Hinund nicht Wegschauen, an den Werten, die uns alle verbinden in einem demokratischen Land.

Konkret fordern wir:

  • Einen Stopp der derzeitigen Abschiebepolitik
    Deutschland muss zu seinen Werten stehen. Wir fordern einen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Afghanistan und anderen Ländern, in denen Diskriminierung, Terror und Gewalt herrschen.
  • Faire und gerechte Asylverfahren
    Die Qualität der Asylverfahren wird leider immer schlechter, was sich unter anderem an der hohen Zahl der Klagen zeigt. Wir fordern ein faires und gerechtes Asylverfahren von höchster Qualität. Dafür benötigen Anhörer*innen Zeit und die  entsprechende Qualifikation. Auch widerspricht die Einführung sogenannter „sicherer Herkunftsstaaten“ der Idee eines
    individuellen Asylverfahrens.
  • Familiennachzug zu ermöglichen
    Es ist beschämend, dass der Familiennachzug aus politischen Kalkül ausgesetzt wurde. Die Aussetzung des Familiennachzugs erschwert die Integration massiv. Wir fordern eine Wiedereinführung des Rechts auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte.
  • Eine Neuregelung des Bleiberechts und Arbeits- und Bildungsduldung
    Die Hürden der Bleiberechtsregelung sind unrealistisch hoch. Wir fordern eine Neufassung, sowie die Möglichkeit neben der Ausbildungsduldung auch eine sichere Duldung für Menschen in Arbeit, Schule und Studium zu ermöglichen.
  • Ein Ende der Arbeitsverbote
    Es ist absurd, lieber Geld zu zahlen als Menschen arbeiten zu lassen. Wir fordern einen allgemeinen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt unabhängig vom Status der Person.
  • Sprach- und Integrationskurse für alle
    Integration kann nur gelingen, wenn Geflüchtete die Möglichkeit bekommen, Deutsch zu lernen. Wir fordern daher die Öffnung der Sprach- und Integrationskurse für alle Geflüchteten unabhängig von Status und Herkunftsland.
  • Ein Ende der Lagerunterbringung und Schaffung bezahlbaren Wohnraums
    Erschreckend stellen wir einen politischen Rollback zu mehr Lagerunterbringung fest. Integration kann nur gelingen, wenn neue und alte Bürger*innen wirklich zusammen leben. Daher fordern wir eine Rücknahme der Gesetze zur Lagerunterbringung, einen Plan für dezentrale Unterbringungspolitik und ein Förderprogramm für bezahlbaren Wohnraum.
  • Ausbau unabhängige Sozialarbeiter*innenstellen für die Beratung
    Ehrenamtliche übernehmen viele Aufgaben, die eigentlich von Hauptamtlichen übernommen werden sollten. Investieren Sie Geld in unabhängige und unbefristete Sozialarbeiter*innenstellen.
  • Europäische Solidarität
    Viele deutsche Politiker*innen haben anderen EU-Ländern berechtigterweise vorgeworfen, sich der europäischen Solidarität zu entziehen. Aber dies muss auch für Deutschland gelten. Es ist ungerecht, wenn die Länder an den EU-Außengrenzen alleine für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge zuständig sein sollen. Fordern sie europäische Solidarität nicht nur von anderen Ländern, sondern auch von sich selber. Beenden Sie das unsolidarische Dublinsystem.
  • Eine europäische Außenpolitik, die sich an europäischen Grundsätzen orientiert
    Die Europäische Union ist auch eine Wertegemeinschaft. Eine Wertegemeinschaft kann nur dann bestehen, wenn sie die eigenen Werte auch berücksichtigt. Jedes Jahr sterben tausende Menschen im Mittelmeer und selbst das Auswärtige Amt spricht von „KZ-ähnlichen Zuständen“ in Libyen. Die Europäische Union muss aufhören beim Thema Flüchtlingsabwehr mit Diktatoren (wie in Eritrea, Somalia oder Südsudan) oder Warlords (wie in Libyen) zusammen zu arbeiten. Wer mit Regimen  zusammenarbeitet, die konstant gegen Menschenrechte verstoßen, bekämpft keine Fluchtursachen, sondern schafft diese.
  • Aufnahmeprogramme
    Weltweit sind ca. 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Wir können als Europa nicht so tun, als würde es uns nichts angehen. Bauen Sie die bestehenden Aufnahmeprogramme aus, mit denen Menschen auf legalem Weg nach Deutschland kommen können.
  • Fluchtursachen wirklich zu bekämpfen
    Seit Jahren reden alle von der Bekämpfung von Fluchtursachen. Trotzdem werden ärmeren Staaten weiterhin ungerechte Handelsverträge aufgezwungen. Trotzdem verhandeln wir weiterhin wirtschaftliche Abkommen mit Diktatoren und trotzdem exportieren wir weiterhin Waffen an Staaten wie Saudi-Arabien oder Türkei. Beginnen Sie eine Politik, die wirklich Fluchtursachen bekämpft.
  • Politisch gehört werden
    Unsere Ideen sind weder unmöglich noch naiv. Gerne informieren wir Sie über die angesprochenen Punkte. Gerne diskutieren wir mit ihnen und präsentieren Ihnen Lösungsvorschläge. Anerkennung drückt sich nicht primär durch Lob aus, sondern dadurch den anderen als Gesprächspartner*in auf Augenhöhe wahrzunehmen.“

Der Original-Text ist zu finden auf der Seite des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.

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