Die Ergebnisse der Sondierungsverhandlungen zwischen CDU und SPD (siehe hier) sind ernüchternd, ja erschütternd.
Die Festlegung einer – innenpolitisch lange umstrittenen – Obergrenze von 180.000 – 220.000 pro Jahr (inklusive Kriegsflüchtlinge, vorübergehend Schutzberechtigte, Familiennachzügler, Relocation, Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwilligen Ausreisen künftiger Flüchtlinge und ohne Erwerbsmigration) ist nunmehr großkoalitionäres Programm. Zur Gewährleistung dieser Zielvorgabe gehört ein Ausbau von Frontex „zu einer echten Grenzschutzpolizei“ ebenso wie eine Externalisierung der Flüchtlingsaufnahme im Rahmen einer Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten. Das Bekenntnis zum Grundrecht auf Asyl und zur GFK ist wichtig, hilft aber immer weniger, wenn Flüchtlingen sich zukünftig nur noch beschränkt darauf berufen können, weil sie an den europäischen Grenzen abgefangen oder auf angeblich „sichere Drittstaaten“ verwiesen werden.
Unter dem Strich markiert das Ergebnis der Sondierungen die endgültige Abkehr von einer „Willkommenskultur“ hin zu einer Politik der Ausgrenzung und Abschreckung. Mit den Plänen zu Lagern für Flüchtlinge geben die GroKo-Sondierenden der CSU einen Freifahrtschein zum Ausbau inhumaner Flüchtlingspolitik.
„Wir bekennen uns strikt zum Recht auf Asyl und zum Grundwertekatalog im Grundgesetz, zur Genfer Flüchtlingskonvention, zu den aus dem Recht der EU resultierenden Verpflichtungen zur Bearbeitung jedes Asylantrags sowie zur UN-Kinderrechtskonvention.“
So beginnt im Ergebnispapier der Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU und SPD der Abschnitt zur Flüchtlingspolitik.
Im Anschluss folgt dann eine Einschränkung des Flüchtlingsrechts nach der anderen: Damit gleicht das Ergebnis etwas, das wir ähnlich schon mal 1993 erlebt haben: Wir schützen das Recht auf Asyl, aber wir hängen es so hoch, dass möglichst viele Flüchtlinge nicht mehr heranreichen können.
Besonders katastrophal erweist sich der Beschluss, alle Flüchtlinge, vor allem diejenigen ohne „gute Bleibeperspektive“, bis zum Abschluss des Verfahrens bzw. bis zur durchgesetzten Ausreise oder Abschiebung in großen Lagern festzuhalten. Derartige Lager sind, wie in Bayern seit zwei Jahren zu besichtigen ist, Zentren der Ausgrenzung. Sie schüren Konflikte und schneiden Flüchtlinge effektiv von Beratung, Unterstützung oder anwaltlicher Vertretung ab. Ergebnis sind schlechte Asylentscheidungen, Zunahme psychischer Krankheiten, Untertauchen und Weiterflucht in andere EU-Staaten. „Diese Lager sind eine fundamentale Absage an die Integration von Flüchtlingen. Wer erst zwei Jahre oder mehr unter den Bedingungen der Ausgrenzung und Abschreckung gelebt hat, der wird, auch wenn er irgendwann bleiben darf, einen Integrationskurs als Hohn empfinden. Diese Lager sind ein handfestes Signal an Flüchtlinge, dass man sie nicht haben will – und zwar noch bevor über den individuellen Asylantrag entschieden wurde,“ kritisiert Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats.
Seit 2016 stellen wir fest, dass die Schutzquoten für die Hauptherkunftsländer der Geflüchteten sinken, nicht weil sich die Situation vor Ort verbessert hätte – in vielen Ländern (etwa Afghanistan) ist das Gegenteil der Fall – , sondern weil das Bundesamt die Kriterien der Anerkennung verschärft hat. Das „Downgrading“ des Schutzstatus für die meisten syrischen Flüchtlinge – vom Flüchtlingsstatus zum subsidiären Schutz – ging einher mit der Aussetzung des Familiennachzugs für zwei Jahre. Das Ergebnis: Weniger Integration, mehr Rechtsunsicherheit, zerrissene Familien.
Nun soll der Ausschluss des Familiennachzugs weiter verlängert werden. Ab Juli 2018 sollen dann bundesweit 1000 Familienangehörige pro Monat zu Geflüchteten mit subsidiärem Schutz nachziehen können. Bei rund 60.000 Familienangehörigen von subsidiär Geschützten bedeutet dies, dass ein Nachzug dieser Personen erst in fünf Jahren abgeschlossen sein wird, und es kommen ja neue Flüchtlinge hinzu. Unfassbar auch der Ausschluss von Angehörigen unbegleiteter Minderjähriger, deren schweres Schicksal ohne Eltern in Hunderten von Eingaben bundesweit beklagt wird. Wie zynisch muss man sein, wenn dies mit der Begründung gerechtfertigt wird, man wolle eine „Gefährdung des Kindeswohls“ durch die Eltern vermeiden, die ihre Kinder „auf die gefährliche Reise vorgeschickt“ haben? Fehlt jedes Bewusstsein für die historische Tatsache, dass während des 3. Reichs viele deutsche Eltern ihre Kinder ebenfalls allein ins Ausland geschickt und so in Sicherheit gebracht haben?
Erkauft wird diese haarsträubende Kontingentierung mit einer Einstellung der Flüchtlingsaufnahme aus Italien und Griechenland, wo mehr als 4.000 Familiennachzugsangehörige, die bereits einen Rechtsanspruch auf die Familienzusammenführung in Deutschland haben, vergeblich auf ein legales Visum warten. Was für ein Armutszeugnis!
Die kontingentierte Zulassung eines Familiennachzugs mit Einschränkungen und unter Auflagen ab Juli 2018 ist nur ein Pflaster, das an der Neuorientierung der Flüchtlingspolitik nichts ändert. Ziel der Politik ist eine Vermeidung von Aufenthaltsverfestigung, eine zunehmende Isolation in Lagern und eine Verschärfung des Abschiebungsregimes, verbunden mit forcierten Anstrengungen zur Verhinderung einer Flucht nach Europa schon in den Transitstaaten und einem Ausbau der Grenzkontrollen. Von der Programmatik der SPD ist in diesem „Kompromiss“ nicht viel zu erkennen. Wenn die AFD demnächst eine Entfristung des Familiennachzugsverbots im Bundestag fordern wird. dürfen wir sicher sein, dass dies von allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien im Brustton der Überzeugung abgelehnt wird. Hinter den Kulissen aber wird sich die AFD die Hände reiben: Sie regiert längst mit.
Kai Weber
Presseberichte
Neue Presse online vom 12. Januar 2018: Sondierungsende. Erste Reaktionen aus Politik und Wirtschaft
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