Anmerkungen zum Familiennachzug

von RA Fred Hullerum, Lüneburg

Die Diskussion über den sogenannten „Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten“ leidet (wie so oft) darunter, dass die Leute die Rechtslage nicht kennen. Das gilt für die Leute, die in Talkshows rumsitzen, genauso wie für die diversen Professoren für Politikwissenschaft, die in den Nachrichtensendungen ihren Senf dazugeben dürfen. Vom geltenden Recht und seinen praktischen Folgen haben diese Leute kaum Ahnung. Also bilden sie die falschen Sätze – Sätze, die in die Irre führen. (Ich habe Politikwissenschaft studiert und weiß, was für Schwätzer da rumlaufen.)

Eine klassische Falschmeldung ist der Satz, der „subsidiär Schutzberechtigte“ habe – anders als die anerkannten Asylberechtigten und Flüchtlinge nach der Genfer Konvention – nur eine zeitlich beschränkte Aufenthalts-Perspektive, er müsse also „demnächst“ wieder nach Hause und das rechtfertige die „Familientrennung auf Zeit“.

Auch ein ehemaliger Minister wie Norbert Blüm weiß es anscheinend nicht besser. Das schwächt sein aus christlicher Ethik herrührendes, flammendes Plädoyer für eine unbedingte Familienzusammenführung in der FAZ:

http://www.faz.net/…/norbert-bluem-fordert-von-cdu-bekenntn…

Was Blüm nicht weiß: Jede Schutzgewährung in Deutschland steht unter dem Vorbehalt der „clausula rebus sic stantibus“, also unter dem Vorbehalt, dass sie nur gilt, solange sich die Umstände nicht ändern. WENN (es wird nicht passieren) in Syrien morgen alles wieder „gut“ wäre, wenn eine gemäßigte sunnitische Regierung an die Macht käme und wenn alle Verbrecher des alten Regimes lebenslänglich weggesperrt wären, dann wäre Schluss mit lustig. Dann müssen ALLE Flüchtlinge aus Syrien (die „großen“ und die „subsidiär“ Schutzberechtigten) mit dem Widerruf ihrer Rechtsstellung rechnen und mit der Abschiebung nach Syrien.

Das heißt: „Bleibeperspektivisch“ unterscheiden sich die beiden Flüchtlingsgruppen nicht. Sie unterscheiden sich aber insoweit, als die EINE Gruppe vom Internationalen Recht geschützt wird und die ANDERE nicht.

Als die Große Koalition vor knapp 2 Jahren nach Möglichkeiten sann, den Flüchtlingsstrom einzudämmen, da wussten die Juristen des Innenministeriums, dass man den Familiennachzug zu „Flüchtlingen“ NICHT einschränken DARF, weil der Anspruch aus dem Völkervertragsrecht stammt. Die Genfer Konvention steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „zwischen dem einfachen Gesetz und dem Grundgesetz“, kann also durch ein „einfaches Bundesgesetz“ NICHT gekippt werden.

Aus der Genfer Konvention von 1951 folgt (für alle Unterzeichnerstaaten) die Pflicht, die Flüchtlinge genauso zu behandeln wie „Inländer“ bzw. wie Ausländer, die rechtmäßig im Inland wohnen. Alle diese Leute dürfen Frauen und Kinder holen. Also dürfen es auch die Flüchtlinge nach der GK. […]

Die „Subsidiären“ sind von der Genfer Konvention NICHT geschützt. DENEN hat man durch Gesetz den Anspruch auf Familienzusammenführung genommen. Dieses Gesetz ist verfassungswidrig. Es verletzt Artikel 6 des Grundgesetzes. Es macht das „C“ in der Bezeichnung einiger deutscher Parteien unglaubwürdig – da hat Norbert Blüm völlig recht.

Aber man glaubte vor knapp zwei Jahren, etwas tun zu müssen, um die Öffentlichkeit zu „beruhigen“. Man hat auf Zeit gespielt und einen „Kompromiss“ geschlossen, der im Kern den folgenden Inhalt hat: Bis das Familientrennungs-Gesetz auf dem Rechtsweg beim Bundesverfassungsgericht ankommt, vergehen Jahre. Durch eine „Befristung“ kann man einer vernichtenden Entscheidung des BVerfG zuvorkommen. Also wurde – im Aufenthaltsgesetz – ganz „hinten“ bei den „Übergangsregelungen“ – ein § 104 Absatz 13 eingefügt, der folgenden Wortlaut hat:

§ 104 Übergangsregelungen – Absatz 13:

„Bis zum 16. März 2018 wird ein Familiennachzug zu Personen, denen nach dem 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative erteilt worden ist, nicht gewährt.“

Um diese Vorschrift geht es, wenn in den Nachrichten immer von dem Familiennachzugs-Thema die Rede ist. Der Jurist sieht, dass diese Vorschrift ein „Verfallsdatum“ hat. Man muss einfach nur bis zum 17.03.2018 warten. Ab diesem Tag um 0:00 Uhr ist diese Vorschrift weg und der Familiennachzug wieder wie früher möglich.

Zigtausende Familienangehörige haben sich auf dieses Datum eingestellt. Sie sitzen hungernd in den Flüchtlingslagern und müssen es noch irgendwie bis in den März 2018 schaffen.

Wenn das so ist: Was sollte dann in den Jamaica-Verhandlungen zu diesem Thema überhaupt diskutiert werden? Die Sache erledigt sich doch demnächst von selbst…

Die Antwort ist ganz einfach: Man will die Familien WEITERHIN trennen und das Vertrauen der vielen Betroffenen und ihrer Helfer in das bisherige Verfallsdatum ENTTÄUSCHEN. Man will „AFD-Politik“ machen, ohne die AFD an dieser Politik zu beteiligen. […]

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1 Gedanke zu „Anmerkungen zum Familiennachzug“

  1. Nette Zusammenfassung, wobei ich den Ton ggü. der Öffentlichkeit bzw. deren Medien-Sprachrohr „Politikwissenschaftler“ nicht teile. Es ist ja nicht falsch, dass politische Wünsche (nicht notwendigerweise die Eigenen) in Gesetze gegossen werden. Recht ist ja kein Selbstzweck. Sei’s drum.

    Ich freue mich deshalb über Ihren Beitrag, da – das ist der Stand der Dinge – weder eine Neuwahl (zu spät, frühestens im April) noch eine Minderheitsregierung (Mehrheit zur Verlängerung der Verlängerung nur mit AfD möglich) das absehbare Ende der Blockade des Familiennachzugs stoppen kann.

    Insofern wäre mir ein praktischer Hinweis lieber gewesen, was ich als Vormund eines minderjährigen „subsidiär Schutzbedürftigen“ denn jetzt machen muss. Reicht ein schriftlicher Antrag auf Familiennachzug in Vertretung meines Mündels am 16.03.2018 und dann Warten oder müssen weitere Voraussetzungen zwingend geklärt sein (Unterbringung der Verwandten, Schulbesuch, nachgewiesene Integrationsbemühungen o.ä.). Möglicherweise sind diese Dinge aber nur relevant, wenn etwa im Rahmen eines Einwanderungsgesetzes (aktuell SPD-Fraktion!) vor dem März 2018 eine Einzelfallprüfung (Ermessen) kommen wird? DAS sind aktuell die wichtigen Fragen, die Debattenkultur ist schon länger kaputt.

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