Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert die Ausweitung der sogenannten negativen Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge auf die kreisfreien Städte Delmenhorst und Wilhelmshaven. Die Maßnahme des Innenministeriums schränkt fundamentale Rechte wie die Freizügigkeit weiter ein, ohne angemessenen Grund und ohne nachhaltigen Ertrag. Viel wichtiger wäre eine andere Sozialpolitik und die bessere Verteilung der vorhandenen Steuermittel auf die Kommunen. Insofern begrüßt der Flüchtlingsrat Niedersachsen ausdrücklich die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die beiden Kommunen im Rahmen des Soforthilfeprogramms der Landesregierung. Wie bereits bezogen auf Salzgitter dargelegt, geht die negative Wohnsitzauflage allerdings einseitig zulasten Geflüchteter. Sie werden als Problem dargestellt, dass es abzuwehren gilt. Maßnahmen dieser Art und die diesen zugrunde liegenden Haltungen bedienen Ressentiments in der Bevölkerung. Es handelt sich einzig um Symbolpolitik, um in Zeiten eines Rechtsrucks vermeintliche Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Mit Runderlass vom 14.11.2017 hat das niedersächsische Innenminsterium den Schritt nun auch für Delmenhorst und Wilhelmshaven umgesetzt. Auch zum neuen Erlassentwurf hat der Flüchtlingsrat Niedersachsen eine Stellungnahme verfasst. Anlass für Kritik ist insbesondere auch die Art und Weise, wie mit dem neuen Erlass fundamentale Rechte weiter eingeschränkt werden. Die von den Städten Delmenhorst und Wilhelmshaven vorgelegten Daten (Anlagen 1 und 2 zum Runderlass vom 14.11.2017) sind völlig unzureichend, um die Maßnahme zu rechtfertigen. Auch die aus den Formulierungen des Erlasses vorscheinende Haltung weist der Flüchtlingsrat Niedersachsen entschieden zurück. Im allgemeinen Tenor zeigt sich, dass Mehrsprachigkeit als defizitär dargestellt wird, woraus deutlich wird, welch unzeitgemäßen Geist der Erlass trägt. Auch werden etwa die pädagogischen Konzepte von Kindertagesstätten sowie die Arbeit der Erzieher:innen vollständig verkannt. Nahe liegende Lösungs- und Handlungsmöglichkeiten wie eine Verstärkung von Sprachlernklassen und Differenzierungsräume für Kleingruppen und verstärkte Sozialarbeit in den beiden Städten werden dagegen bewusst verkannt.
Die vorgelegten Sozialdaten der beiden Städte sind mehr als dürftig. Vorgelegt wurden von der Stadt Wilhelmshaven etwa Daten zum Wohnungsleerstand aus 2011, daneben hauptsächlich Daten zu Sozialleistungsempfänger:innen. Dabei ist nach europäischer Rechtsprechung klar gestellt, dass Wohnsitzauflagen nur zulässig sind, wenn sie das rechtfertigende Ziel verfolgen, die Integration zu erleichtern. Überlegungen zur Soziallastenverteilung sind demgegenüber als Rechtfertigung unzulässig. Es drängt sich bei Durchsicht des Erlasses und der vorgelegten Sozialdaten aber auf, dass diese Fragen eine nicht geringe Rolle gespielt haben. Im Rahmen einer Einzelfallprüfung müsste weiter gewährleistet sein, dass die Erteilung einer Wohnsitzauflage notwendig, geeignet und erforderlich ist, um die Integration der betroffenen Person zu fördern. Es ist zu vermuten, dass genau eine solche individuelle Prüfung nach neuer Erlasslage regelmäßig nicht mehr stattfinden wird.
Die Stadt Delmenhorst verliert zudem die eigenen kommunal festgelegten Handlungsmaßgaben aus dem Blick. Im 2014 im Rat der Stadt beschlossenen Handlungskonzept zum Migrations- und Teilhabemanagement heißt es etwa: „Soziale und kulturelle Vielfalt und das Zusammentreffen verschiedener Generationen und Kulturen mit ihren Wertesystemen, Traditionen und Überzeugungen sind eine Bereicherung für das städtische Leben. Die Stadt Delmenhorst sieht es weiterhin als ihre Aufgabe an, Gruppen, die besonderer Unterstützung bedürfen, nicht aus der Gesellschaft auszugrenzen, sondern zu integrieren.“ Und weiter hält das Konzept als Maßgabe fest: „Je mehr eine Willkommens- und Anerkennungskultur gelebt wird und je mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte teilhaben können, desto mehr profitiert die Gesellschaft davon. Teilhabe und Chancengerechtigkeit zielen darauf ab, ein selbstbestimmtes Leben, möglichst unabhängig von Transferleistungen, zu ermöglichen und zur Identitätsbildung beizutragen.“ Die pauschal ausgeschlossenen Menschen bleiben aber nun außen vor.
Insgesamt kann der Flüchtlingsrat Niedersachsen die Notwendigkeit des Erlasses nicht erkennen. Ob die negative Wohnsitzauflage in Niedersachsen nun noch weiter ausgedehnt wird, ist offen. Die vergangene Woche von SPD und CDU vorgelegte niedersächsische Koalitionsvereinbarung lässt hierfür jedenfalls Spielraum. Dort heißt es: „Niedersachsen wird das Instrument der Wohnsitzauflage anlassbezogen und bedarfsgerecht anwenden.“
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen wird betroffene Einzelpersonen und Familien dabei unterstützen, ihre Rechte durchzusetzen, notfalls auch vor den niedersächsischen Gerichten.
Weitere Informationen zum Thema:
Meldung v. 06.11.2017: Zuzugssperre stigmatisiert einseitig Flüchtlinge – Salzgitter ist kein Modell
Presseinformation v. 08.09.2017: Plakatives Wahlkampfmanöver – Zuzugssperre für Flüchtlinge ist integrationshemmend und diskriminierend
Presseinformation v. 21.04.2017: OB aus Salzgitter spaltet, statt Chancen zu nutzen
Presseberichte
Wilhelmshavener Zeitung online vom 22.11.2017, Flüchtlingsrat kritisiert negative Wohnortauflage
Nordwest Zeitung online vom 22.11.2017, Zuzugsverbot für Flüchtlinge in Kritik
n-tv.de vom 25.12.2017, Zuzugsverbot für Flüchtlinge. Delmenhorst, die Stadt mit der Obergrenze
Süddeutsche Zeitung online vom 08.01.2018: Flüchtlinge in Salzgitter. Draußen bleiben
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3 Gedanken zu „Ausweitung der negativen Wohnsitzauflage auf Delmenhorst und Wilhelmshaven ist Irrweg“