Niedersächsische Verwaltungsgerichte reagieren auf Vorlagefragen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und setzen Abschiebungen von Flüchtlingen nach Italien aus, die dort bereits einen Schutzstatus erhalten haben.
Hintergrund
Mit Beschluss vom 27.06.2017 (1 C 26.16) hat das BVerwG dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob es rechtmäßig ist, Asylanträge von Personen, die bereits in einem andere EU – Staat internationalen Schutz erhalten haben, als unzulässig abzulehnen, wenn die Ausgestaltung ihrer Lebensbedingungen in diesem Staat (hier: Italien) zwar den Anforderungen der Art. 20 ff. der Qualifikationsrichtlinie nicht entsprechen, jedoch (noch) nicht gegen Art. 4 Europäischen Grundrechtecharta bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen (siehe PM des BVerwG hier ).
Reaktionen einiger niedersächsischer Verwaltungsgerichte
Die vom BVerwG aufgeworfene grundlegende Frage schlägt sich auch in der Rechtsprechung der niedersächsischen Verwaltungsgerichte nieder – und das zu Gunsten der Betroffenen.
So hat das Verwaltungsgericht Hannover einem Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO auf vorläufige Aussetzung der Abschiebung (s. hier ) eines in Italien anerkannten Flüchtlings stattgegeben, weil es der Ansicht ist, dass „bis zu einer Entscheidung des EuGH zu [den] Vorlagefragen [des BVerwG] die aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmenden Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse zugunsten des Antragstellers aus[geht]„.
Ähnliches ist auch beim Verwaltungsgericht Oldenburg zu beobachten, das mit Verweis auf die Vorlagefrage des VGH Baden Württemberg an den EuGH vom 15.3.2017 (s. Ausschnitte im Asylmagazin Juni 2017 ) dem Eilantrag eines in Italien subsidiär Schutzberechtigten auf vorläufige Aussetzung der Abschiebung stattgegeben hat ( s. hier ).
Hinweise für Einzelfälle
Personen, die bereits in Italien als GFK-Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte anerkannt wurden und denen deshalb eine Abschiebung nach Italien droht, sollten in Erwägung ziehen, unter Verweis auf die Vorlagefrage einen Eil – bzw. Abänderungsantrag vor dem zuständigen Verwaltungsgericht zu stellen.
Gibt das Gericht dem Antrag statt, so müsste dies zumindest bei Eilanträgen nach §80 Abs. 5 VwGO dazu führen, dass der ursprüngliche Bescheid und die darin enthaltene Abschiebungsandrohung unwirksam werden und dass das BAMF die Prüfung des Asylverfahrens fortzuführen hat (vgl. §37 Abs. 1 AsylG). Erklärt das Gericht in nicht von §37 Abs. 1 AsylG gedeckten Fällen die Abschiebung vorläufig für ausgesetzt bzw. ordnet es die aufschiebende Wirkung der Klage an, so müssen Betroffene zunächst keine Abschiebungen befürchten und können weiter auch individuelle Elemente sammeln, die im Rahmen des Klageverfahrens von Bedeutung sein können.
Zudem sollte in Betracht gezogen werden, auch in sog. „Dublin – Fällen“ unter Verweis auf die genannte Vorlagefrage einen Eil – bzw. Abänderungsantrag zu stellen.
Von den Ausländerbehörden wäre darüber hinaus im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der vom Bundesverwaltungsgericht aufgeworfenen Rechtsfrage und der grundsätzlichen Zweifel, die das Gericht hinsichtlich der Gewährleistung menschenwürdiger Lebensbedingungen für GFK-Flüchtlinge in Italien hegt, zu erwarten, dass alle Überstellungen sowohl von in Italien anerkannten Flüchtlingen, als auch von solchen, die dort noch erst ein Asylverfahren durchlaufen müssten von Amts wegen ausgesetzt werden.
(Hier finden Sie zudem eine umfassendere Rechtsprechungsübersicht des Informationsverbundes Asyl & Migration zu diesem Themenkomplex)
Luara Rosenstein und Muzaffer Öztürkyilmaz
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