Härtefallkommission in Niedersachsen

Härtefallkommission hat zu hohe Hürden (Interview mit Kai Weber – Geschäftsführer des Flüchtlingsrat Niedersachsen | Weserkurier vom 23.02.2009)

Im Montagsinterview bewertet der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates die Arbeit des niedersächsischen Gremiums

Als eines der letzten Bundesländer hat Niedersachsen eine Härtefallkommission eingerichtet. Sie kann Ausländern, die sonst in ihre Heimat abgeschoben würden, das Bleiben aus humanitären Gründen ermöglichen. Mit Kai Weber, dem Geschäftsführer des niedersächsischen Flüchtlingsrates, sprach unser Mitarbeiter Reimar Paul über die Arbeit des nicht unumstrittenen Gremiums.

Frage: Im September 2006 wurde die Härtefallkommission eingesetzt. Wie fällt die Bilanz des Flüchtlingsrates aus?

Kai Weber: Zwiespältig. Die in Niedersachsen geltende Härtefallverordnung enthält zahlreiche Ausschlussklauseln und lässt nur geringe Spielräume für humanitäre Entscheidungen. ßberdies scheitern viele Anträge an formalen Hürden oder erreichen nicht die erforderliche Mehrheit der Stimmen. Andererseits bedeutet für jeden begünstigten Flüchtling die positive Entscheidung die Beendigung eines oft jahrelangen Alptraums: Endlich können sie Perspektiven entwickeln und ein Leben ohne Furcht vor Abschiebung führen.

Können Sie Ihre Kritik an der Verordnung präzisieren?

Zum einen sind die Hürden zu hoch. Für ein positives Härtefallersuchen muss eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder vorliegen. Für die Ablehnung eines Antrags reichen also bei acht stimmberechtigten Mitgliedern bereits drei Gegenstimmen. Das ist natürlich kein Zufall, da das Innenministerium die Zusammensetzung der Kommission mit Bedacht vorgenommen und einzelne Mitglieder persönlich benannt hat. Wenn dann doch ein Ersuchen durchkommt, bleibt dem Innenminister immer noch die Möglichkeit, sein Veto einzulegen.

Mit welchen Fällen befasst sich die Kommission, mit welchen nicht?

Wie gesagt: Die Hürden sind sehr hoch. Beispielsweise führt eine Ausweisung in der Vergangenheit dazu, dass sich die Härtefallkommission mit dem Einzelfall nicht beschäftigen darf. Ein Härtefallersuchen wird auch nicht angenommen, wenn eine rechtskräftige Entscheidung des Gerichts noch nicht vorliegt. Zu lange warten darf man aber auch nicht: Wenn die Behörden eine Abschiebung terminiert haben, ist eine Antragstellung nicht mehr möglich. Zwischen endgültiger Ablehnung eines Aufenthaltsrechts und der Einleitung der Abschiebung bleibt nur ein schmales Zeitfenster, um ein Ersuchen einzureichen. Wer das verpasst, darf nicht als Härtefall anerkannt werden. Das ist absurd. Zu den Regel-Ausschlussgründen gehört der Bezug öffentlicher Leistungen. Kranke, Behinderte, Arbeitsunfähige, Alte und alleinerziehende Flüchtlinge haben damit nur geringe Chancen, als Härtefälle anerkannt zu werden.

Wie viele Fälle wurden bislang verhandelt? Und wie viele Fälle wurden entschieden?

Die Zahl der in Niedersachsen akzeptierten Härtefälle ist geringer als in allen anderen Bundesländern: Von 31 in zwei Jahren verhandelten Anträgen wurden nur 18 positiv entschieden, 14 wurden vom Innenminister umgesetzt. Im gleichen Zeitraum erhielten etwa in Berlin, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen mehrere Hundert Flüchtlinge aufgrund positiver Härtefallentscheidungen ein Aufenthaltsrecht.

Nennen Sie ein Beispiel für einen Flüchtling, der kein Bleiberecht erhielt, es Ihrer Ansicht nach aber verdient hätte.

Nehmen Sie den Fall des Libanesen Ahmed Siala, der mit sechs Jahren mit seinen Eltern aus dem libanesischen Bürgerkrieg nach Deutschland floh und seit 24 Jahren in Niedersachsen lebt, aber kein Aufenthaltsrecht erhält, weil er aufgrund seiner Vorfahren angeblich Anspruch auf eine türkische Staatsangehörigkeit haben soll. Seine Frau Gazale Salame haben die Behörden vor vier Jahren schwanger und mit einem Kleinkind abgeschoben, als er gerade die ältesten Töchter in die Schule brachte. Obwohl die Familie in die deutschen Lebensverhältnisse hervorragend integriert ist, wird ihr ein gemeinsames Leben in Deutschland bis heute verwehrt. Wir würden den Fall liebend gern vor die Kommission bringen, sind aber daran gehindert, weil das seit acht Jahren andauernde Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.

Wer arbeitet gegenwärtig in der Kommission mit?

Neben den beiden Kirchen benennen die kommunalen Spitzenverbände, also Landkreistag und Städtetag, die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, die Unternehmer und der DGB jeweils einen Vertreter und einen Stellvertreter. Das niedersächsische Innenministerium stellt den Vorsitzenden und seine Stellvertreterin. Nach dem Rücktritt des Celler CDU-Politikers Wulff Haack aus der Kommission wurde Ministerialdirigent Hubertus Lueder vom niedersächsischen Innenministerium als Nachfolger benannt. Flüchtlingsorganisationen sind unter den Mitgliedern nicht vertreten. Sibylle Naß als einzige aus der Praxis kommende Flüchtlingsberaterin hat nur einen Stellvertreterposten.

Aktuell gibt es Streit um die Zusammensetzung der Kommission. Ministerpräsident Wulff hat ein zusätzliches Mitglied in Aussicht gestellt, um Abstimmungen über strittige Fälle zu erleichtern…

Das wäre ein gutes Signal, aber noch keine Lösung. Entscheidend ist, ob das Mitglied die Probleme von Flüchtlingen aus eigener Praxis kennt und Hintergründe und Handlungsmotive erläutern kann. Wir fordern die Berufung einer Person aus der Flüchtlingsberatung als vollwertiges Mitglied.

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Nachfolgend ein Bericht aus der HAZ von heute zur gestrigen Debatte im Landtag über die Flüchtlingspolitik und die Rahmenbedingungen der Arbeit der Härtefallkommission. Deren Mitglieder fordern von der Landesregierung die Berufung eines neunten Mitglieds aus dem Kreis der Flüchtlingsorganisationen sowie den Verzicht auf formale Ausschlussgründe. Auch in der gestrigen Härtefallkommissions-Sitzung wurden keine Einzelfälle beraten. Ein Rücktritt verschiedener Mitglieder steht im Raum.

Wulff will Flüchtlingsstreit befrieden (Bericht der HAZ vom 21.02.2009)

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Die Antwort des Innenministers auf die Dringliche Anfrage der SPD zur Härtefallkommission. Nach wortreichen Rechtfertigungen das dürre Fazit: Es soll sich nichts ändern. Bleibt die Frage, wie lange die Mitglieder der Härtefallkommission diese Farce noch mitmachen.

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HFK-Mitglieder drohen mit Rücktritt – Berichte aus HAZ und taz

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