Elemente der EU-Gesetzgebung zur Notwendigkeit einer unabhängigen Asylverfahrensberatung in Ankunftszentren

Die Einrichtung von Ankunftszentren Ende 2015 (s. dazu  BAMF Leitfaden zum Aufbau eines Ankunftszentrums )  führte zu einer Neuordnung des Erstaufnahmesystems in Niedersachsen. In diesen Zentren erfolgen viele entscheidende Verfahrensschritte – und z.T. das gesamte Asylverfahren, d.h. von der Erstregistrierung bis zur Bescheidung – innerhalb kurzer Zeit. Seither werden Asylsuchende in Bad Fallingbostel / Oerbke z.B. angehört, ohne dass ihnen – wie in den anderen Aufnahmeeinrichtungen des Landes – eine unabhängige Asylverfahrensberatung durch Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen zuteil wird.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) möchte ab Juli 2017 alle Asylsuchende in den Erstaufnahmeeinrichtungen über den Verfahrensablauf informieren. Für eine solche Beratung plant das BAMF pro Flüchtling 10 Minuten ein. Diese „Verfahrensberatung light“, die nach den Vorstellungen des BAMF in enger zeitlicher Nähe zu einer – ebenfalls vom BAMF angebotenen – „Rückkehrberatung“ noch vor der eigentlichen Anhörung stattfinden soll, entspricht nicht den Vorgaben der einschlägigen EU- Verordnungen und Richtlinien.

Der Flüchtlingsrat fordert, dass in den Ankunftszentren eine unabhängige und parteiliche Asylverfahrensberatung angeboten wird, die Betroffene über ihre Rechte umfassend aufklärt und berät. Mit einer schlichten Belehrung über den Verfahrensablauf ist es nicht getan. Flüchtlinge müssen wissen, was sie im Asylverfahren erwartet, worauf es bei der Asylanhörung ankommt und wie sie sich sinnvoll darauf vorbereiten können. Eine vernünftige Vorbereitung auf die Asylanhörung ist in zehn Minuten nicht zu machen und darüber hinaus auch unglaubwürdig, wenn sie mit einer Beratung zur „freiwilligen Ausreise“ verknüpft ist . Es ist daher überfällig, dass das Land Niedersachsen die Ausschreibung für eine unabhängige und qualifizierte Verfahrensberatung in den Ankunftszentren (Bad Fallingbostel / Oerbke und Bramsche) vornimmt.

Nachfolgend geben wir einen kurzen Überblick über die entscheidenden Vorschriften der Verordnungen und Richtlinien des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“, die die Erforderlichkeit einer unabhängigen Verfahrens- und Rechtsberatung in diesen Feldern normieren:

1. Überblick über aktuell geltende Maßgaben

A. Wichtige Maßgaben aus der RICHTLINIE 2013/33/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen ( Transpositionsfrist in nationales Recht war der 20.7.2015)

  • Erwägungsgrund 14: „Die Umstände für die Aufnahme von Personen mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme sollten ein vorrangiges Anliegen für einzelstaatliche Behörden sein, damit gewährleistet ist, dass bei dieser Aufnahme ihren speziellen Aufnahmebedürfnissen Rechnung getragen wird.“

  • Erwägungsgrund 21: „Damit die Verfahrensgarantien, d. h. Gelegenheit zur Kontaktaufnahme mit Organisationen oder Personengruppen, die Rechtsberatung leisten, sichergestellt sind, sollten Informationen über derartige Organisationen und Personengruppen bereitgestellt werden. „

  • Erwägungsgrund 22: „Bei der Entscheidung über die Unterbringungsmodalitäten sollten die Mitgliedstaaten dem Wohl des Kindes sowie den besonderen Umständen jedes Antragstellers Rechnung tragen, der von Familienangehörigen oder anderen nahen Verwandten, wie z. B. unverheirateten minderjährigen Geschwistern, die sich bereits in dem Mitgliedstaat aufhalten, abhängig ist. „

  • Art. 5, Information: (1) Die Mitgliedstaaten unterrichten die Antragsteller innerhalb einer angemessenen Frist von höchstens fünfzehn Tagen nach dem gestellten Antrag auf internationalen Schutz zumindest über die vorgesehenen Leistungen und die Verpflichtungen, die mit den im Rahmen der Aufnahmebedingungen gewährten Vorteile verbunden sind. Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Antragsteller Informationen darüber erhalten, welche Organisationen oder Personengruppen einschlägige Rechtsberatung leisten und welche Organisationen ihnen im Zusammenhang mit den im Rahmen der Aufnahme gewährten Vorteilen, einschließlich medizinischer Versorgung, behilflich sein oder sie informieren können. (2) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die in Absatz 1 genannten Informationen schriftlich und in einer Sprache erteilt werden, die der Antragsteller versteht oder von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass er sie versteht. Gegebenenfalls können diese Informationen auch mündlich erteilt werden.

  • Art. 18, Modalitäten der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen :(2) Unbeschadet besonderer Haftbedingungen nach den Artikeln 10 und 11 in Bezug auf die Unterbringung nach Absatz 1 Buchstaben a, b und c dieses Artikels tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass a) Antragstellern der Schutz ihres Familienlebens gewährleistet wird; b) Antragsteller die Möglichkeit haben, mit Verwandten, Rechtsbeistand oder Beratern, Personen, die den UNHCR vertreten, und anderen einschlägig tätigen nationalen und internationalen Organisationen sowie Nichtregierungsorganisationen in Verbindung zu treten; c) Familienangehörige, Rechtsbeistand oder Berater, Personen, die den UNHCR vertreten, und einschlägig tätige von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannte Nichtregierungsorganisationen Zugang erhalten, um den Antragstellern zu helfen. Der Zugang darf nur aus Gründen der Sicherheit der betreffenden Räumlichkeiten oder der Antragsteller eingeschränkt werden.

  • Art. 22, Beurteilung der besonderen Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen bei der Aufnahme : (1) Um Artikel 21 wirksam umzusetzen, beurteilen die Mitgliedstaaten, ob der Antragsteller ein Antragsteller mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme ist. Die Mitgliedstaaten ermitteln ferner, welcher Art diese Bedürfnisse sind. Diese Beurteilung wird innerhalb einer angemessenen Frist nach Eingang eines Antrags auf internationalen Schutz in die Wege geleitet und kann in die bestehenden einzelstaatlichen Verfahren einbezogen werden. Die Mitgliedstaaten sorgen nach Maßgabe dieser Richtlinie dafür, dass derartigen besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme auch dann Rechnung getragen wird, wenn sie erst in einer späteren Phase des Asylverfahrens zutage treten. Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Unterstützung, die Personen mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme nach dieser Richtlinie gewährt wird, ihren Bedürfnissen während der gesamten Dauer des Asylverfahrens Rechnung trägt und ihre Situation in geeigneter Weise verfolgt wird. (2) Die in Absatz 1 vorgesehene Beurteilung muss nicht in Form eines Verwaltungsverfahrens erfolgen.

  • Art. 29, Personal und Ressourcen: (1) Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Behörden und Organisationen, die diese Richtlinie anwenden, die nötige Grundausbildung erhalten haben, um den Bedürfnissen männlicher und weiblicher Antragsteller gerecht werden zu können. (2) Die Mitgliedstaaten stellen die Ressourcen bereit, die im Zusammenhang mit dem nationalen Recht zur Anwendung dieser Richtlinie erforderlich sind.

    [Hier die ganze Richtlinie als PDF ( RL Aufnahme )]

B. Wichtige Maßgaben aus der RICHTLINIE 2013/32/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ( Transpositionsfrist in nationales Recht war der 20.7.2015)

  • Erwägungsgrund 22: „Es liegt ferner im Interesse der Mitgliedstaaten wie der Antragsteller, dass das Bedürfnis nach internationalem Schutz bereits in der ersten Instanz ordnungsgemäß festgestellt wird. Hierzu sollten die Antragsteller in der ersten Instanz unter Berücksichtigung der besonderen Umstände ihres Falls unentgeltlich über die Rechtslage und das Verfahren informiert werden. Diese Informationen sollten den Antragstellern unter anderem dazu verhelfen, das Verfahren besser zu verstehen, und sie somit dabei unterstützen, den ihnen obliegenden Pflichten nachzukommen. Es wäre unverhältnismäßig, von den Mitgliedstaaten zu verlangen, diese Informationen nur durch fachkundigen Rechtsanwälte bereitzustellen. Die Mitgliedstaaten sollten deshalb die Möglichkeit haben, die geeignetsten Mittel und Wege zu nutzen, um solche Informationen bereitzustellen, zum Beispiel über Nichtregierungsorganisationen oder Fachkräfte von Behörden oder spezialisierte staatliche Stellen.

  • Erwägungsgrund 22: „Im Interesse einer ordnungsgemäßen Feststellung der Personen, die Schutz als Flüchtlinge im Sinne des Artikels 1 der Genfer Flüchtlingskonvention oder als Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz benötigen, sollte jeder Antragsteller effektiven Zugang zu den Verfahren und die Gelegenheit erhalten, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren und effektiv mit ihnen zu kommunizieren, um ihnen den ihn betreffenden Sachverhalt darlegen zu können; ferner sollten ausreichende Verfahrensgarantien bestehen, damit er sein Verfahren über sämtliche Instanzen betreiben kann. Außerdem sollte das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz dem Antragsteller in der Regel zumindest das Recht auf Verbleib bis zur Entscheidung der Asylbehörde einräumen sowie das Recht auf Beiziehung eines Dolmetschers zur Darlegung des Falls bei Anhörung durch die Behörden, die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit einem Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und mit Organisationen, die Antragstellern Rechtsberatung oder sonstige Beratungsleistungen anbieten, das Recht auf eine in geeigneter Weise mitgeteilte sowie sachlich und rechtlich begründete Entscheidung, die Möglichkeit zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts oder sonstigen Rechtsberaters, das Recht, in entscheidenden Verfahrensabschnitten in einer Sprache, die der Antragsteller versteht oder von der vernünftigerweise angenommen werden kann, dass er sie versteht, über seine Rechtsstellung informiert zu werden, sowie im Fall einer ablehnenden Entscheidung das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht.“

  • Erwägungsgrund 29: „Bestimmte Antragsteller benötigen unter Umständen besondere Verfahrensgarantien, unter anderem aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Ausrichtung, ihrer Geschlechtsidentität, einer Behinderung, einer schweren Erkrankung, einer psychischen Störung oder infolge von Folter, Vergewaltigung oder sonstigen schweren Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt. Die Mitgliedstaaten sollten bestrebt sein, Antragsteller, die besondere Verfahrensgarantien benötigen, als solche zu erkennen, bevor eine erstinstanzliche Entscheidung ergeht. Diese Antragsteller sollten eine angemessene Unterstützung erhalten, einschließlich ausreichend Zeit, um die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie das Verfahren effektiv in Anspruch nehmen und die zur Begründung ihres Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Angaben machen können.“

  • Art. 12, Garantien für Antragsteller: (1) (1) Bezüglich der Verfahren des Kapitels III (= Erstinstanzliches Verfahren ) stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass alle Antragsteller über folgende Garantien verfügen: c) Ihnen darf nicht die Möglichkeit verwehrt werden, mit dem UNHCR oder einer anderen Organisation, die für Antragsteller nach Maßgabe des Rechts des betreffenden Mitgliedstaats Rechtsberatung oder sonstige Beratungsleistungen erbringt, Verbindung aufzunehmen.

  • Art. 19, Unentgeltliche Erteilung von Rechts- und verfahrenstechnischen Auskünften in erstinstanzlichen Verfahren: (1) In den erstinstanzlichen Verfahren nach Kapitel III gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass den Antragstellern auf Antrag unentgeltlich rechts und verfahrenstechnische Auskünfte erteilt werden; dazu gehören mindestens Auskünften zum Verfahren unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Antragstellers. Im Fall einer ablehnenden Entscheidung zu einem Antrag im erstinstanzlichen Verfahren erteilen die Mitgliedstaaten dem Antragsteller auf Antrag zusätzlich zu den Auskünften nach Artikel 11 Absatz 2 und Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe f Auskünfte über die Gründe einer solchen Entscheidung und erläutern, wie die Entscheidung angefochten werden kann. (2) Die unentgeltliche Erteilung von Rechts- und verfahrenstechnischen Auskünften erfolgt nach Maßgabe des Artikels 21.

  • Art. 21, Voraussetzungen für die unentgeltliche Erteilung von Rechts- und verfahrenstechnischen Auskünften sowie für die unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung: (1) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Nichtregierungsorganisationen, Fachkräfte von Behörden oder spezialisierte staatliche Stellen die unentgeltlichen Rechts- und verfahrenstechnischen Auskünfte gemäß Artikel 19 erteilen. Die unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung nach Artikel 20 erfolgt durch nach nationalem Recht zugelassene oder zulässige Personen. […]“

  • Art. 22, Anspruch auf Rechtsberatung und -vertretung in allen Phasen des Verfahrens: (1) Antragsteller erhalten in allen Phasen des Verfahrens, auch nach einer ablehnenden Entscheidung, effektiv Gelegenheit, auf eigene Kosten einen Rechtsanwalt oder sonstigen nach nationalem Recht zugelassenen oder zulässigen Rechtsberater in Fragen ihres Antrags auf internationalen Schutz zu konsultieren. (2) Die Mitgliedstaaten können Nichtregierungsorganisationen erlauben, Antragstellern in den Verfahren nach den Kapiteln III und V Rechtsberatung und/oder -vertretung im Einklang mit nationalem Recht zu gewähren.

    [Hier die ganze Richtlinie als PDF ( RL Verfahren)]

2. Ausblick auf zukünftige Maßgaben unter Berücksichtigung der am 13.7.2016 veröffentlichten Reformpläne der EU-Kommission

A. Zur durch die EU-Kommission vorgeschlagenen Neufassung der Richtlinie zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen:

Proposal_on_Standards_for_the_Reception_of_Applicants_for_International_Protection_en

ECRE-Comments on Recast Reception Conditions Directive

B. Zur durch die EU-Kommission vorgeschlagenen Umwandlung der EU-VerfahrensRL in eine EU-VerfahrensVO:

Proposal for a Regulation establishing a common procedure for international protection in the EU

ECRE-Comments on Asylum Procedures Regulation (zum Thema unabhängiger Asylverfahrensberatung s. insb. S. 19)

Kai Weber und Luara Rosenstein

 

 

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