von Dr. Thomas Hohlfeld, Referent für Migration/Integration, Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Aus einem aktuellen „Leitfaden zur Verbesserung der Datenqualität im Ausländerzentralregister (AZR)“ des „Beauftragten für Flüchtlingsmanagement“ Frank-Jürgen Weise ergeben sich erhebliche Zweifel an der Richtigkeit und Zuverlässigkeit der von der Bundesregierung verwandten Daten zu (angeblich) ausreisepflichtigen Personen in Deutschland. Von „teils erheblichen Defiziten“ und einer „signifikanten Anzahl inkonsistenter oder unplausibel erscheinender Datensätze“ ist dort die Rede. Fälschliche Eintragungen zur Ausreisepflicht führten „zu einer überhöhten Anzahl ausreisepflichtiger Personen im AZR und somit in offiziellen Statistiken“.
Demnach sollen alleine 20,4 Prozent der nach Angaben des AZR (angeblich) ausreisepflichtigen Personen in Deutschland sich noch in einem laufenden Asylverfahren befinden – in dem Leitfaden heißt es hierzu zutreffend: „Grundsätzlich kann eine Person mit laufendem Asylverfahren nicht ausreisepflichtig sein“ (bis auf wenige mögliche Ausnahmefälle bei noch ungeprüften Folgeanträgen).
Bei weiteren 4,4 Prozent der (angeblich) Ausreisepflichtigen handelt es sich um EU-BürgerInnen, bei denen jedoch kein Verlust der Freizügigkeit vermerkt ist und die demnach gar nicht ausreisepflichtig wären.
Auch werden im AZR auch Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus als angeblich ausreisepflichtige Personen geführt (0,8%) – was, bis auf wenige Ausnahmefälle, ebenfalls rechtlich nicht sein kann.
Diese drei Fallgruppen zusammengenommen ergibt sich: Bei über 25% der im AZR als „Ausreisepflichtige“ geführten Personen (Ende Februar 2017 waren dies etwa 54.000 von insgesamt knapp 216.000) ist unklar, ob tatsächlich eine Ausreisepflicht besteht.
Es gibt weitere Ungereimtheiten im AZR, deren Überprüfung ergeben könnte, dass sich etliche Personen gar nicht mehr in Deutschland aufhalten: Bei 5,4% der Ausreisepflichtigen wurde der Aufenthaltsstatus zuletzt vor über drei Jahren aktualisiert, bei 4,4 Prozent war die Duldung seit mehr als einem Jahr abgelaufen. (…)
In dem Leitfaden heißt es zur „außerordentlichen Tragweite“ von fehlerhaften Datenbeständen im AZR – zutreffend: Falsche Zahlen könnten zu „verfehlten Strategien führen“, sowie zu „einer verzerrten Debatte über den Umgang mit Ausreisepflichtigen und die Notwendigkeit politischer Maßnahmen“. „Fehlerhafte Datenbestände können die politische Berichterstattung und damit die öffentliche Rezeption der Flüchtlingsthematik negativ beeinflussen“. (…)
Weitere Infos:
Aus jüngsten Antworten der Bundesregierung auf schriftliche Fragen von Ulla Jelpke zur Zahl der ausreisepflichtigen Personen ergab sich bereits die – auch für die Bundesregierung überraschende – Information, dass weniger als die Hälfte der im AZR als „ausreisepflichtig“ gespeicherten Personen abgelehnte Asylsuchende sind (99.399 von 207.484 Ausreisepflichtigen, Stand 30.12.2016; vgl. auch: Bericht tagesschau vom 25.03.2017). Ende Februar 2017 waren zum Beispiel auch 11.389 UnionsbürgerInnen als ausreisepflichtig erfasst. Zu dem vorherigen Aufenthaltsstatus der übrigen Ausreisepflichtigen konnte oder wollte die Bundesregierung auf Anfrage keine näheren quantitativen Angaben oder Einschätzungen machen, außer dass es sich um Personen mit abgelaufenem Visum oder Aufenthaltstitel handeln könnte1.
Das Bundesinnenministerium ging in einem Vorentwurf des Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom Oktober 2016 davon aus, dass sich die Zahl der Ausreisepflichtigen in Deutschland bis Ende 2016 um 100.000 erhöhen würde – die Zahl der in Deutschland lebenden Ausreisepflichtigen sank dann jedoch geringfügig (auf 207.500).
Das vom BAMF beauftragte Beratungsunternehmen McKinsey prognostizierte in einem Gutachten sogar, dass bis Ende 2017 mit mindestens 485.000 ausreisepflichtigen Personen in Deutschland gerechnet werden müsse – diese völlig haltlose und offenkundig überzogene Prognose machte sich die Bundesregierung auf mehrfache Nachfrage allerdings nicht zu eigen, dies sei wegen der „vielen hierfür entscheidenden Parameter und Annahmen … schwierig“. Dennoch geht sie für 2017 von einer „erheblichen Steigerung der Zahl der Ausreisepflichtigen“ aus.
1 Aus früheren Anfragen ergibt sich weiterhin, dass – so die Bundesregierung (vgl. Antwort auf Frage 22 auf BT-Drs. 18/6860), – „eine nicht unerhebliche Zahl von Ausreisepflichtigen ohne Duldung ohne Kenntnis der Ausländerbehörden aus Deutschland ausreist oder untertaucht“, so dass aus diesem Grunde die Zahl der im AZR erfassten Ausreisepflichtigen ohne Duldung vermutlich zu hoch ist (Ende 2015 waren im AZR 49.106 Ausreisepflichtige ohne Duldung erfasst – jedoch bezogen zum gleichen Zeitpunkt nur 29.384 Personen als Ausreisepflichtige ohne Duldung Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz).
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