Flüchtlingsrat appelliert an Pistorius: Stoppen Sie den rabiaten Abschiebungskurs der Region Hannover!

Presseinformation, 23.02.2017

Anlässlich der heutigen Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport im Niedersächsischen Landtag fordert der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. ein sofortiges Einlenken von Innenminister Pistorius in der Sache der durch Abschiebung getrennten syrischen Familie aus Lehrte. Der Flüchtlingsrat kritisiert die nun schon wochenlange Trennung der Familie scharf. Die Region Hannover forciert derweil eine Abschiebung der syrischen Restfamilie in den bulgarischen Winter.

„Die fortdauernde Familientrennung ist inakzeptabel. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und Grüne 2013 vorgenommen, für Humanität in der niedersächsischen Flüchtlings- und Asylpolitik zu sorgen. Der Paradigmenwechsel in der Abschiebungspolitik droht nun aber ein kurzes Kapitel in den niedersächsischen Geschichtsbüchern zu werden“, erklärt Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen. „Die jetzt schon drei Wochen andauernde Familientrennung einer jesidischen Familie aus Syrien erinnert an die dunklen und längst überwunden geglaubten Zeiten der Vorgängerregierung in Niedersachsen.“

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert die Landesregierung auf, umgehend die Familieneinheit in Niedersachsen wiederherzustellen. Der Familie muss es ermöglicht werden, den Rechtsweg beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg von Deutschland aus zu gehen. Selbst das Auswärtige Amt ist der Auffassung, dass in Bulgarien in der Regel der Erhalt eines Schutzstatus Obdachlosigkeit bedeutet. Viele Verwaltungsgerichte und zum Teil Obergerichte in Deutschland stoppen wegen der damit verbundenen drohenden Menschenrechtsverletzungen Abschiebungen nach Bulgarien, auch bei Personen mit dort erhaltenem Schutzstatus. Die abgeschobene Familienmutter und drei minderjährige Kinder sind unter den dortigen Bedingungen jetzt auf sich allein gestellt.

Dass die durch die Vollzugsbeamt:innen in Kauf genommene Trennung der Familie in der vorliegenden Fallkonstellation nicht im Einklang mit dem novellierten niedersächsischen Rückführungserlass steht, ist ebenfalls offenkundig.

Hintergrund:

Am 23.02.17 tagt der Ausschuss für Inneres und Sport des Niedersächsischen Landtags. Auf der Tagesordnung steht die Unterrichtung der Abgeordneten durch die Landesregierung über die Abschiebung einer Familie nach Bulgarien. Bei der Abschiebung in der Nacht auf den 03. Februar 2017 wurde die vor dem Krieg in Syrien geflohene jesidische Familie getrennt. Die Mutter der Familie und drei Kinder wurden nach Bulgarien abgeschoben. Der Vater der Familie und ein Kind verblieben in Lehrte. Bei dem Einsatz wurden 18 Polizeibeamt:innen eingesetzt.

Die Region Hannover hat Anfang der Woche mitgeteilt, dass sie trotz gegenteiliger Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover weiter der Auffassung ist, die syrische Frau und die drei Kinder seien rechtmäßig abgeschoben worden. Die Region Hannover hat nun mit Bescheiden vom 22.02.2017 Abschiebungsandrohungen gegen den Familienvater und seinen Sohn erlassen. Die Familie prüft die dagegen bestehenden Rechtsmittel.

In einem ähnlichen Fall der Abschiebung einer syrischen Familie nach Bulgarien (ohne Familientrennung) hatte das Verwaltungsgericht Oldenburg Anfang 2017 in einem Urteil entschieden, dass Bulgarien trotz Zuerkennung internationalen Schutzes keinen ausreichenden Verfolgungsschutz bietet. Diese Auffassung besteht beim Oldenburger Gericht seit einiger Zeit. In seinem jüngsten Urteil schreibt das Gericht zur Situation in Bulgarien:

„Angesichts der Situation, die nach wie vor von unzumutbaren Lebensverhältnissen, Versorgungsengpässen und inakzeptablen Unterbringungen geprägt ist, die zu Ängsten, Obdachlosigkeit, unzureichender medizinischer Versorgung und einem Leben in extremer Armut führen kann, ist es nicht zumutbar, die betreffenden Flüchtlinge nach Bulgarien abzuschieben.“

Die Verwaltungsgerichte in Göttingen, Braunschweig, eine andere Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover sowie jüngst auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof teilen diese Rechtsauffassung des Oldenburger Gerichts. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof sprach zuletzt in einem Urteil v. 04.11.2016 (3 A 1322/16.A) davon, dass das Asylsystem in Bulgarien insbesondere hinsichtlich bereits anerkannter Flüchtlinge unter systemischen Mängeln leide und betroffene Flüchtlinge daher nicht auf eine bereits in Bulgarien erfolgte Flüchtlingsanerkennung verwiesen werden könnten. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat dies getan. Die offenen Rechtsfragen sind somit derzeit beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

Die Europäische Kommission hat gegen Bulgarien bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren im Hinblick auf die Bewältigung der Flüchtlingsmigration betrieben.

Weitere Informationen:
Flüchtlingsrat Niedersachsen:

Kai Weber, Tel. 0178 / 17 32 56 9, kw@nds-fluerat.org

Sebastian Rose, Tel. 0511 98 24 60 34, nds@nds-fluerat.org

Presseinformation v. 23.02.2017 als pdf

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