Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen

Neu erschienen! 14. aktualisierte Auflage der Dokumentation
Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen (1993 bis 2006)

Die Zahl der Flüchtlinge, die in der BRD Asyl beantragten, war 2006 mit 21.000 die niedrigste seit 1983. Zugleich wurden bei 30.756 Ent­scheidungen des Bundesamtes nur 251 Personen als Asylberechtigte anerkannt (0,8 %). 1.097 (3,6 %) Menschen erhielten einen Abschiebe­schutz nach § 60 Abs.1 des Aufenthaltsgesetzes.

Aber für 100 % der Flüchtlinge bedeutet der Aufenthalt in der BRD – egal, wie er endet – einen jahrelangen Kampf gegen den erklärten Grenz­abschottungs- und Abschiebewillen des Staates. Ein Marathon, der aufgrund seiner zeitlichen Länge mittlerweile die Kinder und Kindeskinder der ursprünglich eingereisten Menschen betrifft. Ca. 300.000 Menschen leben in der BRD mit sogenannten Ketten-Duldungen oder Grenz­übertrittsbescheinigungen in der ständigen Angst vor Abschiebung – z.T. seit eineinhalb Jahrzehnten oder länger.

Mit der Wahl des Begriffes „Freiwillige Ausreise“ zum aktuellen UNWORT des Jahres 2006 wird der zynische Sprachgebrauch der Politike­rInnen und Behörden hervorgehoben. Ein verharmlosender Sprachgebrauch angesichts der eigentlichen Gewalt, der die Flüchtlinge staatlicher­seits ausgesetzt sind. Eine Gewalt, die auf allen Ebenen das Ziel verfolgt, den Flüchtlingen die Unerreichbarkeit eines Bleiberechts deutlich zu machen, um sie so zur „freiwillen Ausreise“ zu zwingen. Wenn die „Rechnung“ nicht aufgeht, dann wird der Aufenthalt mit massivem Polizei­einsatz – oft unter Beteiligung sogenannter Abschiebeärzte – beendet.

Abgesehen von den überraschenden nächtlichen Abholungen aus den Wohnungen mit großem Aufgebot und deutlichen körperlichen Gewalt­maßnahmen, werden Menschen auch direkt bei Behördenterminen verhaftet oder aus ihren Betten in psychiatrischen Kliniken zur Abschiebung weggeschleppt. Einige Flüchtlinge werden zur Einnahme von Beruhigungsmitteln genötigt oder vor Injektionen gar nicht gefragt. Minderjäh­rige Kinder werden durch die Abschiebung von Mutter oder Vater getrennt. Angesichts der drohenden Abschiebung und deren vorhersehbaren Folgen gehen viele Menschen in die Illegalität. Vordergründig haben sie sich dadurch zunächst dem Zugriff der Abschiebebehörden entzogen – die Festnahme der jetzt per Haftbefehl Gesuchten ist dann aber nur noch eine Frage der Zeit.

Und selbst die wenigen anerkannten Flüchtlinge sind sich ihres Lebens nicht sicher. Aufgrund von Auslieferungsersuchen – speziell der Türkei – wurden Menschen aus ihren Wohnungen geholt und in Untersuchungs- bzw. Auslieferungshaft genommen. Das sind Menschen, die aufgrund ihrer nachgewiesenen Folter- und Verfolgungserlebnisse nach Artikel 16a des Grundgesetzes Asyl bekamen und plötzlich durch die Festnahme in die akute Gefahr geraten, in den Verfolgerstaat ausgeliefert zu werden.

Die vorliegende Dokumentation beschreibt in fast 5000 Einzelgeschehnissen die Auswirkungen des staatlichen und gesellschaftlichen Rassis­mus auf die Betroffenen. Auf Flüchtlinge, die gehofft hatten, in diesem Land Schutz und Sicherheit zu finden, und letztlich an diesem System zugrunde gingen oder zu Schaden kamen. Die jährlichen Zahlen der Dokumentation sind im Vergleich n i c h t sinkend, sondern bleiben konstant. Auszugehen ist von einer wesentlich höheren Dunkelziffer.

Die Dokumentation umfaßt den Zeitraum vom 1.1.1993 bis 31.12.2006.

170 Flüchtlinge starben auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland oder an den Grenzen, davon allein 127 an den deutschen Ost-Grenzen, 470 Flüchtlinge erlitten beim Grenzübertritt Verletzungen, davon 290 an den deutschen Ost-grenzen, 138 Flüchtlinge töteten sich angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen, davon 50 Menschen in Abschiebehaft, 669 Flüchtlinge haben sich aus Angst vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung (Risiko-Hungerstreiks) selbst verletzt oder versuchten, sich umzubringen, davon befanden sich 399 Menschen in Abschiebehaft, 5 Flüchtlinge starben während der Abschiebung und 327 Flüchtlinge wurden durch Zwangsmaßnahmen oder Mißhandlungen während der Abschiebung verletzt, 25 Flüchtlinge kamen nach der Abschiebung in ihrem Herkunftsland zu Tode, und mindestens 411 Flüchtlinge wurden im Herkunftsland von Polizei oder Militär mißhandelt und gefoltert oder kamen aufgrund ihrer schweren Erkrankungen in Notsituationen, 67 Flüchtlinge verschwanden nach der Abschiebung spurlos, 13 Flüchtlinge starben bei abschiebe-unabhängigen Polizeimaßnahmen, 390 wurden durch Polizei oder Bewachungspersonal verletzt, davon 129 Flüchtlinge in Haft.

67 Menschen starben bei Bränden oder Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, 744 Flüchtlinge wurden z.T. erheblich verletzt, 13 Menschen starben durch rassistische Angriffe auf der Straße.

Ein Fazit:
Durch staatliche Maßnahmen der BRD kamen 351 Flüchtlinge ums Leben – durch rassistische ßbergriffe oder bei Bränden in Unterkünften starben 80 Flüchtlinge.

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Die Dokumentation umfaßt zwei Hefte. Beide Hefte zusammen kosten 15 â?¬ plus 3,20 â?¬ Porto & Verpackung.
HEFT 1 (1993 – 1999) 6 â?¬ für 174 S. ; HEFT 2 (2000 – 2006) 10 â?¬ für 230 S.- plus je 1,60 â?¬ Porto & Verpackung.
Im Netz (zur Zeit noch die 13. Auflage) unter der Adresse: www.ari-berlin.org/doku/titel.htm

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Ein Beispielfall aus Niedersachsen (Auszug aus der Dokumentation:
„Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folge/n/
1993 bis 2006 – 14. aktualisierte Auflage):

20. Dezember 06

Bad Pyrmont im Bundesland Niedersachsen. Morgens um 4.00 Uhr werden der Kurde Herr Seyyar und seine sechs Kinder im Alter von zehn bis zwanzig Jahren aus dem Schlaf geweckt. Alle, bis auf den ältesten Sohn Hidir, sollen abge­schoben werden. Zeitgleich holen Polizisten Frau Seyyar aus dem Landeskranken­haus Hildesheim ab, nachdem sie vor die Entscheidung gestellt wurde, entweder vorerst im Kranken­haus zu bleiben und damit von ihrer Familie getrennt zu sein oder „freiwillig“ auszureisen.

Der Transport der Familie zum Flughafen Düsseldorf verläuft nach Aussagen des Sohnes Hidir „unglaublich bru­tal“: Trotz Erbrechens von Mutter und Kindern und hygieni­scher Bedürfnisse sei die fünfstündige Fahrt nicht unterbro­chen worden. Die Mutter sei mit Handschellen gefesselt wor­den, um sie ins Flugzeug zu bringen.

Drau Seyyar hatte sich im Landeskrankenhaus in stationä­rer Behandlung befunden, weil sie zum wiederholten Male versucht hatte, sich zu töten. Sie hatte Tabletten geschluckt, weil sie den Druck der seit langem angedrohten Abschiebung nicht ertragen konnte. Der von Nachbarn gerufene Notarzt hatte daraufhin zu­nächst die Einlieferung der nicht ansprech­baren Frau ins St.-Georg-Krankenhaus Pyrmont veranlaßt, von wo aus sie dann ins Landeskrankenhaus gekommen war.

Die kurdische Familie war seit elf Jahren in der BRD; die Asylanträge wurden alle abgelehnt. Der Landkreis kann die öffentliche Kritik an der Abschiebung der Familie Seyyar nicht nachvollziehen: „Der Familie war seit Juli bekannt, daß sie Deutschland verlassen muß …. Dieser Aufforderung ist sie nicht nachgekommen“, so eine Sprecher auf Anfrage. „Anders als ihr ältester Sohn Hidir hat die Familie die elf Jahre ihres Aufenthaltes in Deutschland nicht genutzt, um sich hier wirt­schaftlich und sozial zu integrieren.“ Dieser Polemik stehen die Aussagen vom Leiter des Schulzentrums und einer Mitar­beiterin des Kinder­schutzbundes, die die Kinder und Eltern seit Jahren kennen, dia­metral gegenüber.

PyN 28.12.2006; FRat NieSa

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5 Gedanken zu „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“

  1. ich finde es sehr drastisch das man eine unschuldige familie in der nach abschiebt! Hat niemand daran gedacht was mit den ‘kindern geschiet ob sie es überleben oder nicht? der staat ist schuld asylbewerber dürfen bzw.sollten nich diskrieminiert werden!!!!!!!!!!!

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  2. Ich vermisse meine famielie…….
    Seit dem sie weg sind muss ich mich alleine durchs leben schlagen.
    Ich gib nicht auf und hoffe ihr auch nicht….

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