Forderungen der Europäischen Gewerkschaftsbewegung

Nachfolgend dokumentieren wir – mit Dank an Giovanni Pollice – ein Positionspapier der Europäischen Gewerkschaftsbewegung, die auf ihrem Treffen in Rom am 15. Juni die nachfolgenden Forderungen aufgestellt hat.

DIE EUROPÄISCHE GEWERKSCHAFTSBEWEGUNG FORDERT
MENSCHLICHE UNTERSTÜTZUNG UND RECHTE FÜR FLÜCHTLINGE

Die Ankunft Hunderttausender Asylsuchender stellt die humanitären Grundwerte der EU auf die Probe. Über 80 % von ihnen fliehen vor Gewalt und Konflikten in Ländern wie Syrien, Afghanistan und dem Irak. Etwa 20 % davon sind Frauen und ein Drittel Kinder. Wir stehen vor einer andauernden humanitären Katastrophe. Die italienische Marine rettete im Mittelmeer in den Monaten April und Mai Tausende Flüchtlinge, Hunderte starben jedoch.

  • 2016 sind 208 150 Asylsuchende auf dem Seeweg in der EU angekommen,
  • 2856 Menschen sind ertrunken,
  • seit 2014 haben über 10 000 im Mittelmeer ihr Leben gelassen.
Europa kommt seinen internationalen Verpflichtungen zum Schutz von Flüchtlingen nicht nach. Letztes Jahr sagte die EU zu, über ein Neuansiedlungssystem 22 000 Asylbewerbern einen sicheren und legalen Weg in die Union zu eröffnen. Bisher wurden jedoch erst 6321 Menschen aus Jordanien, der Türkei und dem Libanon neu angesiedelt. Von den 160 000 Flüchtlingen, die von Griechenland und Italien auf andere EU-Länder verteilt hätten werden sollen, wurden nur 1500 umgesiedelt. Allein in Griechenland warten 46 000 Menschen auf die Bearbeitung ihrer Anträge, und in Italien sind seit 12. April über 10 000 neue Flüchtlinge angekommen.
Es ist wichtig, Flüchtlingen bei der Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu helfen und gleichzeitig die Gleichbehandlung und Rechte sowohl für Flüchtlinge als auch örtliche Arbeitskräfte zu verteidigen. Gewerkschaften spielen in diesem Zusammenhang bereits eine aktive Rolle. Das Bildungs- und Kompetenzniveau der Asylsuchenden muss bewertet und gesteigert werden, und illegal Beschäftigte müssen legalisiert werden. Schätzungsweise 40 % von ihnen verfügen über Kompetenzen, die sofort für den EU-Arbeitsmarkt von Nutzen sein können. Unterstützung für die rund 300 000 Meschen ohne Papiere ist erforderlich, damit ihre Zahl nach dem Auslaufen der humanitären Kurzzeit-Visa /-Aufenthaltstitel nicht weiter ansteigt.
Die europäische Gewerkschaftsbewegung, die am 15. Juni in Rom zusammentritt, fordert die EU und nationalen Regierungen auf:
  • alle Maßnahmen auf EU-Gebiet oder an den Außengrenzen einzustellen, die die Würde, Rechte oder körperliche Unversehrtheit von Menschen infrage stellen;
  • unmenschliche Internierungsbedingungen in den Hotspots und die wiederholten Verletzungen der Rechte der Flüchtlinge auf rechtmäßige Bearbeitung ihrer Asylanträge abzustellen;
  • Abstand von der EU-Türkei-Vereinbarung über einen gemeinsamen Aktionsplan zur Eindämmung des Flüchtlingszustroms zu nehmen: Mitgliedstaaten können nicht zahlen, um sich ihrer internationalen Verpflichtungen gegenüber Asylbewerbern zu entledigen;
  • das Schengen-Abkommen als eine wichtige Errungenschaft der EU anzuerkennen und zu verteidigen und politischen Willen an den Tag zu legen, Asylsuchende in Europa neu anzusiedeln;
  • von der Sparpolitik abzugehen, die die Lage in den Ankunftsländern weiter verschlechtert hat, und der Situation von weiblichen und minderjährigen Flüchtlingen besondere Aufmerksamkeit zu schenken;
  • alle Personen und Organisationen, einschließlich der Beamten, die tagtäglich daran arbeiten, Asylsuchenden in Europa ein sicheres und menschenwürdiges Leben in Europa zu ermöglichen, zu unterstützen und ihnen Anerkennung aussprechen.
Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) nimmt in diesem Zusammenhang mit Interesse den von der italienischen Regierung der Europäischen Kommission und dem Rat vorgeschlagenen „Migrationspakt“ zur Kenntnis genommen. Der EGB wird darüber wachen, dass ein solches Instrument tatsächlich die Forderungen der europäischen Gewerkschaftsbewegung erfüllt. Der EGB unterstützt die grundlegenden europäischen Werte wie Achtung vor dem menschlichen Leben und der Menschenwürde und bekämpft populistische und fremdenfeindliche Ideologien. Diese Werte müssen in Taten umgesetzt werden. Eine echte Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten ist wichtig, die im Einklang mit dem Buchstaben und dem Geist der Verträge eine angemessene Anzahl von Flüchtlingen aufnehmen müssen.
Der EGB fordert:
  • eine proaktive europäische Asylpolitik, die international vereinbarte Schutzstandards beachtet, darunter auch das UN-Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen von 1951 und das ergänzende Protokoll von 1967;
  • fortgeführte Such- und Rettungseinsätze mit umfangreicheren Ressourcen, um weitere Tote im Mittelmeer zu verhindern;
  • sichere legale Möglichkeiten und die Umsetzung des Neuansiedlungsprogramms der Europäischen Kommission;
  • die Überarbeitung der Verordnung Dublin III im Hinblick auf permanente Umsiedlung und höhere Schutzstandards für weibliche und minderjährige Asylsuchende;
  • wirksamere Entwicklungsförderung für Herkunftsländer und federführende Rolle der EU bei der Wiederherstellung von Frieden in Konfliktgebieten;
  • ein angemessenes Angebot an hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen für alle, insbesondere in den Bereichen Beschäftigung und Wohnen;
  • gut ausgestattete Aufnahmeeinrichtungen und Zentren für die Prüfung von Asylansprüchen mit gut ausgebildeten öffentlichen Bediensteten.
Der EGB räumt ein, dass die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt eine Herausforderung und Chance zugleich darstellt. Die Gewerkschaften werden:
  • Investitionen unterstützen, die das Wirtschaftswachstum und die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze zum Nutzen aller fördern;
  • die öffentlichen Arbeitsverwaltungen dazu drängen, die Kompetenzen der Flüchtlinge festzustellen, zu verbessern und abzugleichen, um ihnen einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen; die Stellungnahme der europäischen Wirtschafts- und Sozialpartner zur Flüchtlingskrise anlässlich des dreigliedrigen Sozialgipfels vom 16. März 2016 muss umgesetzt werden;
  • für uneingeschränkte Gleichbehandlung auf dem Arbeitsmarkt und gleichberechtigten Zugang zu sozialen Dienstleistungen für örtliche Arbeitskräfte wie auch Migranten und die Schaffung hochwertiger Beschäftigungsmöglichkeiten für alle als Grundlage für faire Integration und Inklusion von Flüchtlingen eintreten;
  • mehr EU-Mittel für Länder fordern, die Flüchtlinge aufnehmen, um Dumping, Ausbeutung und Diskriminierung aufgrund von schlechten Managements der Folgen eines unkontrollierten Zustroms entgegenzuwirken.
Die europäische Gewerkschaftsbewegung ist mit ihren 45 Millionen Mitgliedern ein Bollwerk gegen jede Form von Intoleranz und wird sich weiterhin für eine humanitäre Antwort auf diese humanitäre Krise einsetzen. Die Gewerkschaften werden alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit anwerben und vertreten sowie mit anderen Partnern zusammenarbeiten, um Flüchtlinge ohne Arbeit zu unterstützen. Der EGB wird sich mit dem Internationalen  Gewerkschaftsbund und anderen gewerkschaftlichen Schwesterorganisationen auf der ganzen Welt zusammentun, um auf eine Krise zu reagieren, die sowohl eine globale als auch eine europäische Dimension hat.
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