Alle Kinder haben das gleiche Recht auf Bildung….?

Alle Kinder haben das gleiche Recht auf Bildung….?
Appell an die Integrationskonferenz Werkstatt „Sprache“ am 16.3.

Rechtlich ist unbestritten, dass alle Kinder ein Recht auf Bildung haben. Dies besagen nicht nur die Kinderrechts- und Menschrechtskonvention. Auch das deutsche Kinder- und Jugendhilfegesetz betont das Recht aller Kinder auf Förderung ihrer sozialen und individuellen Entwicklung. Bildung stellt eine zentrale Bedingung für soziale und strukturelle Integration dar. Auch die Landesregierung wird nicht müde zu betonen: „Spracherwerb ist die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration, der Schlüssel des Zusammenlebens, von Alltag über Schule und Beruf bis hin zur Vermittlung von Grundwerten und Überzeugungen“ (Stephan Weil zur Integrationskonferenz in Niedersachsen zum Thema „Sprache“ am 16.3.2016). Entsprechend sieht das niedersächsische Schulgesetz eine Schulpflicht für alle Kinder ab dem sechsten Lebensjahr vor. Diese werden schulpflichtig, wenn sie nicht mehr in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen müssen. In der Zeit davor haben sie immerhin ein Recht darauf, zur Schule zu gehen.Ein vorbildlicher Erlass des Kultusministeriums garantiert allen schulpflichtigen Kindern bei Bedarf einen Anspruch auf Sprachförderung im Rahmen von Sprachlernklassen oder individuellen Fördermaßnahmen.

Doch tatsächlich zeigt sich, dass viele Flüchtlingskinder die ihnen zustehenden Rechte nicht nutzen können und über lange Zeiträume hinweg auf eine Beschulung warten müssen. Benachteiligung und Ausgrenzung bestimmen weiterhin das Bildungssystem, auch in Niedersachsen. Junge zugewanderte Menschen haben deutlich schlechtere Bildungschancen und -perspektiven als ihre deutschen Mitschüler:innen. Den jungen Menschen muss eine gleichberechtigte Teilhabe am Bildungssystem gewährleistet werden.

Welche Defizite stellen wir fest?

  • Den in den Notaufnahmeeinrichtungen des Landes lebenden Kindern wird vielfach ein Schulbesuch mit dem Argument verweigert, sie seien noch nicht schulpflichtig. Dies ist zwar richtig, rechtfertigt aber nicht die Zurückweisung der Kinder, die in örtlichen Schulen unterrichtet werden wollen. Die Zurückweisung ist um so problematischer, als die Dauer des Aufenthalts in der Erstaufnahme bzw. Notaufnahme von drei auf bis zu sechs Monate ausgedehnt wurde. Wenn eine Beschulung in diesem Zeitraum unterbleibt, wird das Recht der Kinder auf Bildung hier in gröblicher Form missachtet.
  • Auch nach einer Verteilung auf die Kommunen ist eine Beschulung nicht zeitnah gesichert: Viele der in den Kommunen untergebrachten Kinder müssen derzeit ein halbes Jahr oder sogar länger auf einen Schulplatz warten. Angesprochen auf diese Defizite, spielt das niedersächsische Kultusministerium auf Zeit und verweigert bis heute eine Durchsetzung der Schulpflicht. So wurden im vergangenen Jahr nur rund 15.000 Flüchtlingskinder beschult, obwohl die geschätzte Zahl der schulpflichtigen Kinder etwa 30.000 betrug.
    Die Überforderung der unterschiedlichen beteiligten Organe des Landes hinsichtlich der effektiven Einhaltung der Schulpflicht der Neuankömmlinge darf nicht in einem solchen Maße zu Nachteilen für die jungen Menschen führen. Die derzeitige Dimension der Nichtbeschulung ist unhaltbar und weit von der gesetzlichen Vorgabe entfernt, wonach schulpflichtige Kinder und Jugendliche nach einer Unterbringung in der Kommune sofort eingeschult werden müssen.
  • Es reicht nicht aus, „nur“ zu beschulen: Innerhalb des regulären Schulsystems muss der Erwerb der deutschen Sprache gefördert und diskriminierender und klassenübergreifender Segregation entgegengewirkt werden. Die Zahl der Sprachlernklassen und sonstiger individueller Maßnahmen der Sprachförderung sind bisher nicht ausreichend.
    Dies gilt auch für Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16 – 21 Jahren: Mit der Umsetzung des SPRINT – Modells wurde ein erster Schritt getan, um den jungen Menschen, die sich kurz vor der Volljährigkeit befinden, überhaupt noch einen Weg in das Schul- bzw. Bildungssystem zu ermöglichen. Gerade in dieser Alterspanne wird insbesondere unter den unbegleiteten Minderjährigen ein Bedarf deutlich, der bei Weitem nicht entsprechend abgedeckt wird.

Wir fordern den zeitnahen Auf- und Ausbau von Beschulungsangeboten und -modellen innerhalb des regulären Schul- und Berufsschulsystems für Flüchtlinge. Dabei sollte die Integration der jungen Geflüchteten entsprechend ihrer Altersgruppe, Bildungsetappen, vorhandenen Kompetenzen und Bildungsvoraussetzungen erfolgen und ein individuell an dem jeweiligen Jugendlichen orientierter Bildungseinstieg und Bildungspartizipation möglich gemacht werden.

Wir fordern, dass inklusive Bildungsmodelle (weiter-) entwickelt werden. Dafür sollten bestehende bürokratische und formelle Hürden (bspw. bei der Installierung neuer Sprintklassen) abgebaut, finanzielle Ressourcen investiert und geeignetes Personal eingestellt werden. Die Schulen sollten dabei bestärkt und entsprechend unterstützt werden. Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter:innen sollten durch Fortbildungen u.a. über die Situation, die Bedürfnisse und Anforderungen minderjähriger Flüchtlinge in ihrer Arbeit unterstützt werden. Nur dann kann gewährleistet werden, dass die jungen Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen, an Halt gewinnen, sich Perspektiven aufbauen und einen Platz in der Gesellschaft finden.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass es derzeit objektive Probleme gibt, weil beispielsweise nicht genug Lehrkräfte für den Sprachunterricht zur Verfügung stehen, und dass das Kultusministerium einige Anstrengungen unternimmt, um weitere Lehrkräfte zu gewinnen. Bevor wir uns jedoch Gedanken darum machen, welche Formen kompensatorischer Ersatzmaßnahmen denkbar sind, muss zunächst eine nüchterne Bedarfserhebung erfolgen, auf deren Grundlage dann die weitere Planung vorzunehmen ist. Die Erhebung, Weiterentwicklung und Verbesserung der Beschulungsmöglichkeiten für Flüchtlingskinder sollte unter Einbeziehung der Schulen und in enger Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Akteuren ermittelt werden, die in der Aufnahme und Arbeit mit Flüchtlingskindern tätig sind.

Weitere Informationen:

Flüchtlingsrat Nds. e.V.
Kai Weber kw@nds-fluerat.org
Dörthe Hinz dh@nds-fluerat.org
Tel.: 0511/98 24 60 30

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