Im Kosovo gibt es keine Sicherheit – für Roma am allerwenigsten

Medien-Information einer Bremer Recherchegruppe vom 16.02.2015

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Den Kosovo zum „sicheren Herkunftsstaat“ erklären zu wollen, ist politisch und menschenrechtlich eine wahnwitzige Idee. Eine Kosovo-Recherchegruppe weiß das aus eigener Anschauung. Dokumentation der Recherchen ist erschienen.

PolitikerInnen der Regierungsparteien propagieren seit Tagen die Erweiterung der Liste der „sicheren Herkunftsstaa ten“. Dieses migrationspolitische Abschottungsinstrument schließt Menschen einzig aufgrund ihrer Staatsangehörig keit vom Grundrecht auf Asyl generell aus. Nach Serbien, Bosnien und Mazedonien nun auch den Kosovo zum „sicheren Herkunftsstaat“ deklarieren zu wollen, ist politisch sowie menschenrechtlich absurd und unverantwortlich.

Als Recherchegruppe aus Anwälten, JournalistInnen, BeraterInnen und Roma-AktivistInnen wissen wir dies aus eigener Erfahrung. Im Frühjahr 2014 reisten wir in den Kosovo. Die Ergebnisse der Reise sind nun in einem umfang reichen Bericht mit zahlreichen Fotos dokumentiert. Wir besuchten Familien der Roma-Minderheit, sprachen mit Abgeschobenen aus Deutschland, interviewten Studierende und Sozialwissenschaftlerinnen der Universität in Priština – und auch eine Delegation des deutschen KFOR-Kontingents in Prizren.

Unsere Gespräche mit Menschen aus Peč, dem ehemaligen Flüchtlingslager von Plemetina, in Kosovo Polje, in Priština und in der Roma-Siedlung in Mitrovica ergaben alle das selbe Bild: Der Kosovo ist ein Staat, der das Auskommen und die Sicherheit der in ihm lebenden Menschen nicht garantieren kann – und das mindestens bezüglich seiner Minderheiten auch gar nicht will.

„Bei unseren Recherchen wurde klar: Für Angehörige der Roma-Minderheit ist der Kosovo nicht sicher “, stellt Gundula Oerter von der Flüchtlingsinitiative Bremen fest. „Aber auch für die kosovo-albanische Mehrheitsbevölkerung ist das Leben weit entfernt von einem sicheren, stabilen Alltag. Dieses winzige Stück Staat als ›sicher‹ deklarieren zu wollen, ist ein Skandal, der ausschließlich abschottungspolitisch motiviertert ist. Und es ist eine Lüge, die Leben kosten kann. Im Übrigen steht die unsichere Lage im Kosovo immer dann seltsamerweise völlig außer Frage, wenn es darum geht, eine Verlängerung des Bundeswehr-Mandats zu begründen.“

Im ganzen Land gibt es erhebliche Defizite bezüglich rechtsstaatlicher Strukturen, eine verbreitete Korruption und organisierte Kriminalität – und eine noch aus Kriegszeiten stammende flächendeckende Bewaffnung der Zivilbevöl kerung. Die Arbeitslosigkeit der kosovo-albanischen Mehrheitsbevölkerung liegt bei über 40 Prozent, bei den unter 25-Jährigen sogar bei über 60 Prozent – und für Angehörige der Minderheiten ist der Zugang zum Arbeitsmarkt quasi unmöglich. Bis heute trennt eine Zuordnung zu einer ethnischen Gruppe oder Minderheit die Menschen im Kosovo strikt. Roma sind im ganzen Land Anfeindungen und sogar tätlichen Angriffen ausgesetzt.

„Wir trafen Menschen, die überhaupt nichts haben. Menschen, die hungern und nur zögernd davon erzählen, weil sie sich dafür schämen oder es für selbstverständlich halten. Roma und andere Minderheiten werden in allen alltägli chen Aspekten des Lebens wie Arbeit, Bildung, Bewegungsfreiheit, Zugang zu Sozialleistungen und zu Gesundheits wesen systematisch diskriminiert. Sie müssen gewalttätige Übergriffe aus rassistischen Motiven befürchten. Die vielfältigen Ausgrenzungsund Diskriminierungserfahrungen stellen zusammengenommen eine schwere Menschenrechts verletzung dar – dies trifft vor allem auf die besonders schutzbedürftige Gruppe der Kinder zu “, berichtet Jan Sürig, Rechtsanwalt aus Bremen.

Schon nach unseren Recherchen in Serbien mussten wir erfahren, dass die migrationspolitische Zuordnung, wann ein Land als „sicher“ eingestuft wird, mit der realen Situation vor Ort rein gar nichts zu tun hat: Dort recherchierten wir im Sommer 2013 – und trafen nicht nur auf extreme Armut unter der Minderheit der Roma, sondern auch auf ein Mosaik aus Diskriminierungen, das dazu führt, dass die Menschen von jeder gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen sind und um ihr Leben bangen müssen. Nichtsdestotrotz wurde Serbien im November 2014 von der Bundesrepublik zum „sicheren Herkunftsstaat“ deklariert.

Wer nun auch das Kosovo als „sicheren Herkunftsstaat“ in die Diskussion bringt, will, dass immer mehr Menschen ohne Prüfung ihres Asylbegehrens gezielt einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt werden.

Esat Behrami | alle bleiben!
Jean-Philipp Baeck | Journalist
Gundula Oerter | Flüchtlingsinitiative Bremen e.V.
Allegra Schneider | Fotojournalistin
Jan Sürig | Rechtsanwalt

Die Broschüre Abgeschobene Roma im KOSOVO – Journalistische, juristische und medizinische Recherchen ist erschienen und kann unter doku@koop-bremen.de bestellt werden.

Der Anfang 2014 erschienene Band 1 der Reihe, „Abgeschobene Roma in SERBIEN – Journalistische, juristische und medizinische Recherchen“, kann ebenfalls noch bestellt werden.

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1 Gedanke zu „Im Kosovo gibt es keine Sicherheit – für Roma am allerwenigsten“

  1. Eure Petition ist so gut wie sie auch bitter nötig ist, danke!
    Den gleichen Text könnte man auch hinsichtlich der Situation der Roma in Mazedonien verwenden.
    Ich stehe mit einer abgeschobenen Roma-Familie in Skopje in engster Verbindung und helfe ihnen, so gut ich kann. Aber das reicht nicht. Sie sind verzweifelt. Die Kinder gehen nicht mehr zur Schule, der Mann wird von Albanern verprügelt, erpresst und bestohlen. (Ich hatte dem Mann Geld für ein Fahrrad geschickt, das er zum Besorgen von Lebensmitteln bzw. auch zum Abholen von Metallresten und technischen Geräten zum Verkauf verwenden wollte. Das Fahrrad ist gestohlen worden.)
    Könnt Ihr Eure Petition entweder erweitern auf die Roma der anderen osteuropäischen Länder oder eine neue für die mazedonischen Roma verfassen?
    Wir müssen dran bleiben, sonst kommt zu dem großen Verbrechen der Nazizeit (1,5 Millionen Roma wurden vergast) jetzt unsere Schuld dazu, einem schleichenden Genozid nichts entgegengesetzt zu haben!!!
    In Verbundenheit grüßt E.

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