Nachfolgend dokumentieren wir ein Artikel des Weser-Kurier vom 17.10.2008 – ein weiteres Beispiel für die rigorose Abschiebungspolitik in Niedersachsen
Karim Alwasiti
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Nach Umzugswunsch droht Abschiebung
Ministerium soll Behördenstreit um Wohnsitz einer Asylbewerberin klären – und zieht ihr Bleiberecht in Zweifel
Weser-Kurier vom 17.10.2008 – Von Justus Randt
Wenn die Eltern nicht mehr allein klarkommen, kümmern sich die erwachsenen Kinder um sie. Wenn dieses familienpolitische Ideal Utopie bleibt, muss das nicht an Töchtern oder Söhnen liegen, die Verantwortung von sich weisen. Ursache können auch Kompetenzgerangel unter Behörden und schließlich die konsequente Anwendung des Asyl- und Ausländerrechts sein, wie ein aktueller Fall zeigt.
Statt einer pflegebedürftigen Frau im Kreis Wesermarsch den Umzug zu ihrer Tochter nach Delmenhorst zu erlauben, wird ihr Bleiberecht in Deutschland in Zweifel gezogen. Das ist die Essenz aus einem bald fünf Jahre währenden ßmter- und Arztbesuchsmarathon, den Narine G.*, unterstützt von ihren Kindern und ihrer Bremer Anwältin ßlkü Kilic, hinter sich gebracht hat – ohne ihrem Ziel näher gekommen zu sein. Im Gegenteil.
Die Mitte fünfzigjährige Türkin christlichen Glaubens flüchtete im Jahr 2001 als religiös Verfolgte nach Deutschland. Zunächst lebte sie gemeinsam mit einer der Töchter im Kreis Wesermarsch, seit die Tochter fortzog, wohnt Narine G. allein. Das fiel der psychisch und körperlich angeschlagenen Frau zusehends schwer. Amtsärzte in Nordenham und Brake attestierten ihr seit 2003 dreimal unter anderem schwere psychische Störungen und Wahrnehmungsprobleme. „Offensichtlich hat die Betroffene auch erhebliche ßngste, die möglicherweise mit Erlebnissen in der Türkei im Zusammenhang stehen“, wurde festgestellt. Und dass Narine G. auf unabsehbare Zeit nicht zur selbstständigen Lebens- und Haushaltsführung in der Lage sein werde. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse und weil sie nicht reisefähig ist, erteilte ihr der Kreis Wesermarsch im April eine erneute Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre.
Als Narine G. immer antriebsloser und desorientierter wurde und beispielsweise vergaß den Herd wieder auszuschalten, stand für ihre zweite Tochter in Delmenhorst fest: Allein gelassen, ist die Mutter eine Gefahr für sich und andere. Sie nahm sie bei sich auf. Mit Hilfe ßlkü Kilics sollte der Umzug legalisiert werden. Formal hieß das, die „Aufhebung der Wohnsitzbeschränkung“ im Kreis Wesermarsch zu erwirken. Die dortige Ausländerbehörde war durchaus willens, die Asylbewerberin ziehen zu lassen – allein die Delmenhorster sahen Hemmnisse, dem Zuzug Narine G.s zuzustimmen. Immerhin geht es um die ßbernahme der Kosten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz durch die Stadt.
Das Tauziehen zwischen den ßmtern zog sich so lange hin, dass Anwältin Kilic im Frühjahr die oberste Fachaufsicht, das niedersächsische Ministerium für Inneres, Sport und Integration einschaltete. Ein halbes Jahr später kam Antwort vom Referatsleiter für Asyl- und Ausländerrecht: Die Frage der Wohnsitzbeschränkung sei „nicht kurzfristig“ zu beantworten, schreibt Paul Middelbeck. Nun gehe es um „eine gesundheitliche Begutachtung der Reisefähigkeit“ Narine G.s – nicht nach Delmenhorst, sondern womöglich in die Türkei.
Im Klartext: Der Kreis Wesermarsch soll prüfen, ob er die Aufenthaltsgenehmigung zu Recht erteilt hat. Reisefähigkeit, das ist ein Schlüsselwort im Aufenthaltsgesetz. Aber „bei den heutigen technischen Möglichkeiten“, meint Middelbeck, müsse Krankheit da kein Hinderungsgrund sein. „Es geht doch um die Möglichkeit der Weiterbehandlung im Heimatland.“ Von Behandlung war gar keine Rede. Die Tochter will ihre Mutter weiter pflegen und betreuen, zu Hause.
(*Name geändert)
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