Krieg in Syrien – Krieg gegen Flüchtlinge?

von Kai Weber und Friedemann Lembeck
anlässlich des Antikriegstages am 01. September 2013 in Salzgitter


Krieg in Syrien – Krieg gegen Flüchtlinge?

Skript zur Rede

Der diesjährige Antikriegstag steht im Zeichen des Bürgerkriegs in Syrien: Seit Monaten schon hören wir von mehr und mehr Flüchtlingen. Von Verletzten, die nicht behandelt werden können. Und von einer unerbittlich größer werdenden Zahl von toten Zivilisten, unter ihnen viele Kinder. Inzwischen hat der syrische Bürgerkrieg eine Eskalationsstufe erreicht, die weltweit Bestürzung auslöst. Über 100.000 Menschen haben bereits ihr Leben in diesem Krieg verloren. Nach den Meldungen über den grausamen Giftgasanschlag lässt die Debatte um Strafangriffe, auch seitens neuer Konfliktparteien (wie einiger NATO-Staaten um die Türkei), befürchten, dass der Konflikt eine globale Ausdehnung haben könnte.

Uns alle treibt die Frage um: Was tun? Was wäre eine politische Verhaltensweise, die uns angemessen erscheinen würde? Wie sieht heute im 21. Jahrhundert eine angemessene Friedens- und Menschenrechtspolitik aus?

Bevor wir allzu schnell die Antworten geben, müssen wir den Standpunkt bestimmen, von dem aus wir auf den Bürgerkrieg in Syrien blicken. Unsere Wahrnehmung wird entscheidend von den Medien geprägt. Unter dem Zwang hoher Einschaltquoten folgt die Kriegsberichterstattung den medialen Spielregeln einer dramatischen Inszenierung. Da das eigentliche Kriegsgeschehen zunehmend militärisch abgeschirmt und kontrolliert wird, ist auch die scheinbar authentische Reportage vor Ort oft nichts als eine eingebettete mediale Realitätsproduktion.

Das bedeutet letztlich: Wir wissen nicht, welchen Informationen zu trauen ist, und welchen nicht. Das war nicht immer so. Wie einfach schien es doch in den Hochzeiten der Friedensbewegung zu sein, in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts: Da artikulierte sich die Identifizierung mit einem überfallenen Land oder um seine Freiheit kämpfenden Volk oder einer aufständischen Bewegung in klaren politischen Positionierungen: „Freiheit für El Salvador“ oder „Russen raus aus Afghanistan“. Im Zuge der Auflösung der Systemkonkurrenz ist eine „neue Unübersichtlichkeit“ (Jürgen Habermas) eingetreten. Heute ist es viel schwieriger, Partei zu ergreifen. Nicht so sehr, weil wir nicht wissen, wogegen wir sind, sondern wen wir unterstützen wollen. Solidarität mit wem? Wenn wir gegen einen Einmarsch von Streitkräften der USA, der Türkei, Frankreichs in Syrien sind, sind wir dann auf Seiten des syrischen Regimes, dessen Terror bereits vor dem Krieg tausende Opfer gekostet und Zehntausende in die Flucht getrieben hat? Müssen den Warlords in Afghanistan nicht wirkungsvoll Grenzen gesetzt werden? Den Regimes? Die Fronten sind unübersichtlich geworden.

Wir maßen uns vor dem Hintergrund einer medial vermittelten Faktenlage und noch fehlender UN-Untersuchungsergebnisse nicht an zu beurteilen, ob und in welchem Ausmaß das syrische Regime tatsächlich Giftgas eingesetzt hat – Beweise hierfür soll es zu geben, und zuzutrauen wäre es ihm auch. Aber auch die Rebellen besitzen Giftgas, im Mai wurden laut Medienberichten zwei Kilogramm Sarin bei syrischen Oppositionellen in der Türkei gefunden. Niemand kann ausschließen, dass die Rebellen selbst Giftgas einsetzen (und die Schuld auf Assad schieben), um andere Staaten tiefer in den Krieg hineinzuziehen.

„Beweise“ gab es im Übrigen auch schon vor dem Irakkrieg – Beweise für Massenvernichtungswaffen, die dann doch nicht da waren. Angesichts der Tatsache, dass unabhängige Berichte aus dem Bürgerkrieg schon lange nicht mehr existieren und beide Kriegsparteien um die Geschichtsmächtigkeit von Bildern wissen, sollten wir vorsichtig sein mit übereilten Schlussfolgerungen. So bitter es ist in einer Welt, in der wir dank Internet eigentlich alles wissen können: Wir müssen kritisch und vorsichtig bleiben. Das heißt auch, dass wir in Bezug auf unsere Beobachtungen unsicher sein müssen, und das ist folgenreich.

Doch Besonnenheit und Zweifel sind einer Reihe von Regierungen offenbar fremd: Derzeit werden Kriegsvorbereitungen getroffen, ohne dass es auf die Faktenlage anzukommen scheint. (Dies erinnert stark an den Irakkrieg, dessen Legitimation ebenfalls mit zusammengeklaubten – und wie sich später herausstellte erlogenen – angeblichen Belegen für Massenvernichtungswaffen erfolgte.) Das sollten und können wir nicht akzeptieren.

Wir sollten es uns jedoch nicht zu leicht machen: Was ist, wenn der Bericht der UN-Inspekteure tatsächlich Belege dafür zutage fördert, dass die syrische Regierung gezielt Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat? Mit Blick in die Vergangenheit ist daran zu erinnern, dass Zögern tödlich sein kann. Wir sollten – gerade als Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner – die historischen Völkermorde nicht verdrängen, bei denen die Welt zu lange weggeschaut hat:

Die KZ-Opfer in Deutschland hätten sich ein früheres militärisches Vorgehen gegen die Transportwege und faschistischen Tötungsfabriken sehnlichst gewünscht.

Der Völkermord der Roten Khmer in Kambodscha oder an den Tutsi in Ruanda verdeutlichen das Versagen von internationaler Gemeinschaft wie globaler Gesellschaft und die Notwendigkeit schneller Reaktionen in bestimmten historischen Situationen.

Kann es insofern eine ethische Begründung für einen Militärschlag in Syrien geben, noch dazu ohne Mandat der Vollversammlung der Vereinten Nationen? Das ist doch sehr fragwürdig. Den Regierungen – wie der Türkei, Frankreich, den USA – geht es dabei erklärtermaßen um die „Bestrafung“ eines missliebigen Regimes – wohlgemerkt, es geht um Ahndung. Es geht nicht um die Rettung von Menschenleben. Ein Kriegseinsatz in Syrien würde zu weiteren Toten und Vertriebenen führen. Schon die Ankündigung eines Kriegseinsatzes hat Zehntausende zusätzlich in die Flucht getrieben. Ob ein Bestrafungs-Angriff künftige grausame Giftgaseinsätze verhindert, steht in den Sternen, das weiteres Kriegsleid allerdings steht fest und ist jetzt schon absehbar. Darüber hinaus macht ein Kriegseinsatz jegliche Hoffnung auf eine diplomatische Lösung unter Einschluss von Russland und China zunichte. Eine eindeutige und unmissverständliche Warnung der Weltmächte unter Einschluss von China und Russland an alle Kriegsparteien, dass der Einsatz von C-Waffen nicht toleriert wird, hätte doch nur dann Chancen auf Verwirklichung, wenn der Westen glaubwürdig vermitteln würde, dass er eine solche UN-Resolution nicht als Legitimation für eine einseitige Intervention in Syrien missbrauchen würde. Es ist absehbar, dass der grauenhafte Krieg in Syrien nun weiter angeheizt wird.

Denn diesem Krieg sieht die Weltgemeinschaft ja nicht nur zu: Waffenlieferungen aus Russland, Iran und von der Hisbollah gehen an das syrische Regime, und eine unheilige Allianz aus saudischen Wahabiten, den USA, Katar, Frankreich und England liefert Waffen an eine Opposition, die ihre Unschuld schon lange verloren hat: Berichte über bestialische Lynchmorde und Folterungen seitens der teilweise von islamistischen Gruppierungen dominierten, sehr heterogenen aufständischen Gruppen lassen Zweifel daran aufkommen, ob es um die Menschenrechte nach einem Sieg der Opposition in Syrien wirklich besser gestellt wäre. Aus der wechselseitigen Aufrüstung beider Lager durch Drittmächte wird deutlich, dass es in diesem Krieg um weit mehr geht als um Menschenrechte. An dieser Stelle kann nicht auf alle Dimensionen einer derart verfahrenen politischen Lage hingewiesen werden, deshalb wollen wir uns auf eine konkrete beschränken.

Kriege produzieren Flüchtlinge. Diesen traurigen Effekt von Kriegen kennen wir aus der Vergangenheit nur allzu gut.

Lassen Sie uns einige Kriege und die damit einhergehenden Flüchtlingskatastrophen der letzten 25 Jahre ins Gedächtnis rufen:

  • Der Afghanische Bürgerkrieg (1989 bis 2001), der nach Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan ausbrach, löste die Flucht von 7 Mill. Afghanen aus. Nach dem Angriff der NATO-Alliierten auf Afghanistan kam es dort zur nächsten Massenflucht: Rund 2 Millionen flohen außer Landes, viele sind bis heute nicht zurückgekehrt.
  • Der Golfkrieg 1990/91 führte zu über drei Millionen Flüchtlingen aus dem Irak, aus Kuweit und den Nachbarländern.
  • Die Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren trieben Millionen Menschen in die Flucht.
  • Allein knapp 800.000 Menschen flohen 1999 im Zuge des NATO-Kriegs um das Kosovo außer Landes.
  • In Folge des Krieges gegen den Irak ist die Flucht von rund 3 Millionen Menschen zu verzeichnen, davon rund 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge

Weniger bekannt und bewusst sind uns andere Kriege und Flüchtlingstragödien:

  • Über 20 Jahre lang produzierte der Bürgerkrieg im Sudan (1983 – 2005) Grausamkeiten in unvorstellbarem Ausmaß und produzierte 3 Millionen Flüchtlinge
  • Bereits 1994 löste der Bürgerkrieg und Völkermord in Ruanda die Flucht von 2 Millionen Ruandern in die Nachbarländer aus.
  • Der Krieg im Kongo zwischen 1998 und 2003 führte zur Ermordung von mindestens 3,4 Mio Menschen. In den Jahren 2006 und 2007 kam es erneut zu gezielten Massenvergewaltigungen an kongolesischen Frauen. In einem Zeitraum von zwölf Monaten sind mehr als 400.000 Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren der sexuellen Gewalt im Kongo zum Opfer gefallen.
  • 200 000 Tamilen flüchteten bis 2009 vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka.
  • 400.000 Malier wurden 2012 im Zuge einer Rebellion der um einen eigenen Staat kämpfenden Tuareg durch Gewalt vertrieben.
  • Mörderische Bürgerkriege mit unzähligen Opfern und hunderttausenden Vertriebenen gab und gibt es auch in Eritrea, Somalia, Mosambik oder Angola.
  • Das größte Flüchtlingslager der Welt ist in Kenia zu finden. Das Lager Dadaab beherbergt fast eine halbe Million vorwiegend somalischen Flüchtlinge – etwa so viele Menschen, wie in ganz Hannover leben.

Seien wir ehrlich: Welche dieser Kriege, wie viele dieser Flüchtlingsdramen sind uns im Gedächtnis geblieben? Wie viele können uns gar nicht im Gedächtnis bleiben, da sie im öffentlichen Diskurs erst gar nicht auftauchen? Diskutiert werden vor allem die, die die jeweils regionalen Wirtschafts- oder Machtinteressen berühren. Um Menschenrechte, um den Schutz von Leben und den Flüchtlingsschutz geht es dabei meist erst in zweiter Linie. Und zwar auch dann, wenn die Kriegführenden von Menschenrechten reden.

Die Kriegseinsätze im Kosovo, im Irak und in Afghanistan beruhten auch auf skrupellosen Lügen und manipulierten Bildern. Die erste rot-grüne Bundesregierung brachte es 1999 fertig, binnen kürzester Zeit alle historisch begründeten Kriegsführungsverbote über den Haufen zu schießen. “Auschwitz verhindern” hieß es und ein humanitär verheerender Krieg war die Folge.

Wieviel Heuchlerei im Umgang mit dem Krieg betrieben wurde, wird offenbar, wenn wir den Blick auf den Umgang mit den Flüchtlingen richten. Im Kosovo – so hieß es – sollten die Menschen vor dem Völkermord bewahrt werden, gleichzeitig lag hierzulande die Anerkennungsquote für albanische Flüchtlinge bei unter 1%. Dieser Bruch zwischen außenpolitisch motivierter Dramatisierung der Lage und innenpolitisch motivierter Verharmlosung der Situation von Flüchtlingen ist symptomatisch für den Umgang mit Realitäten. Wir finden diesen Widerspruch in jedem Lagebericht des Auswärtigen Amts wieder.

Ein anderes Beispiel ist der Afghanistan-Krieg: Was wurde nach dem Einmarsch des Westens in Kabul die “Befreiung der Frau” gefeiert, die nun zur Schule gehen und ihren Schleier ablegen könne. Mittlerweile wird mit sog. “gemäßigten” Taliban verhandelt, es kehrt niemanden mehr einen feuchten Kehricht, ob die Interessen der Frauen dabei zu kurz kommen könnten.

Auch Menschenrechtsverletzungen in Syrien waren bislang kein Anlass für die deutschen Behörden, eine Zusammenarbeit mit der syrischen Polizei zu verweigern, im Gegenteil: Im Jahr 2008 wurde ein euphemistisch „Rückübernahmeabkommen” genannter Vertrag abgeschlossen, der die Zusammenarbeit der Polizeien bei der Abschiebung von Flüchtlingen vorsieht. Obwohl den deutschen Behörden Berichte über die Folterung und Misshandlung von Flüchtlingen vorlag, die aufgrund von Denunziationen in Syrien inhaftiert und schwer misshandelt wurden (siehe etwa der Fall des Hussein Dauud), fanden bis 2011 noch Abschiebungen aus Deutschland nach Syrien statt.

Die Kollaboration mit Menschenrechte missachtenden Regimes hat – gerade was Syrien angeht – eine lange Tradition in Deutschland. Die Opfer des Regimes hatten und haben darunter zusätzlich zu leiden. Geschäfte mit Syrien wurden trotz Menschenrechtsverletzungen nach dem Motto “business as usual” noch im Februar 2011 vom nds. Wirtschaftsministerium mit skandalöser Begründung gerechtfertigt. Präsident Assad sei, so hieß es in der Presseerklärung, “bedeutend jünger [ist] als die anderen Machthaber in der arabischen Welt” und stünde “somit dem Volk näher”. Ein Generationswechsel vom Vater zum Sohn ist bereits vollzogen und hat bereits für eine Modernisierung des Landes gesorgt.” (siehe hier)

Bis heute ist auch von Seiten der gesamten EU keine organisierte europäische Rettungspolitik für die Opfer des syrischen Bürgerkriegs zu erkennen – im Gegenteil: Damit Flüchtlinge auch weiterhin nicht den Weg nach Europa finden, nimmt die Europäische Union seit Jahren selbst den Tod von Flüchtlingen billigend in Kauf. Man könnte auch von einem „Krieg gegen Flüchtlinge“ sprechen: Einhergehend mit der Ausweitung von Kriegseinsätzen betreiben die Mitgliedsländer der EU eine Politik der Militarisierung der Außengrenzen. Jedes Jahr sterben an den EU-Außengrenzen Hunderte, manchmal Tausende von Migrant:innen, insgesamt etwa 17.000 seit 1993. Die Militarisierung des Mittelmeerraumes mit Hilfe der Grenzschutzagentur Frontex drängt die Menschen auf immer gefährlichere Routen. Darüber hinaus drängt die EU nordafrikanische Staaten, sich nach Süden in der Sahara abzuschotten, um Migranten daran zu hindern, das Mittelmeer zu erreichen. Und schlimmer noch: Immer wieder sterben Menschen unter den Augen Europas durch die kaltschnäuzige Ignoranz, juristisch hieße das wohl : durch unterlassene Hilfeleistung der Europäer:innen.

Kein Meer ist so gut überwacht wie das Mittelmeer, nicht nur von Frontex, sondern auch von der NATO und den Küstenwachen. Dass trotzdem so viele Menschen ertrinken, liegt, so Charles Heller von der Organisation „Watch the Med“, an unterlassener Hilfeleistung. Im März 2011 ertranken 72 Menschen vor der libyschen Küste, obwohl sie längst von der Seeüberwachung erfasst waren und mehrfach Kontakt mit Schiffen und Hubschraubern hatten. Niemand ist für dieses Verbrechen bislang strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden.

Deutschland hat bislang immerhin knapp 100 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe ausgegeben und ist damit nach den USA zweitgrößter Geldgeber weltweit. Das reicht aber nicht, um die Flüchtlinge zu versorgen. Es ist erbärmlich, dass die internationale Gemeinschaft über einen Kriegseinsatz in Syrien diskutiert, aber offenkundig nicht willens ist, die Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen. Die europäische Politik handelt nach dem Motto: Den Flüchtlingen soll möglichst vor Ort geholfen, eine Aufnahme in Deutschland vermieden werden. Die Aufnahmesysteme der Anrainerstaaten aber beginnen jetzt zu kollabieren, und Konflikte um spärliche Ressourcen drohen zu eskalieren:

Der Libanon (4,3 Mio. Einwohner:innen) beherbergt bereits über eine Million Flüchtlinge, Jordanien (6,5 Mio. Einwohner:innen) hat über 500.000 Flüchtlinge aufgenommen, so Angaben des UNHCR. Tatsächlich haben seit Beginn des Bürgerkriegs in Deutschland gerade mal 13.000 Flüchtlinge aus Syrien den Weg nach Deutschland gefunden und einen Asylantrag gestellt. UN-Flüchtlingskommissar Guterres drängte bei einem Berlinbesuch auf ein Umschwenken. Bislang lehnen es die EU-Staaten der Europäischen Union (EU) noch immer ab, Syrer:innen großzügig Zuflucht zu gewähren. Anders als andere EU-Staaten hat Deutschland immerhin die Aufnahme von 5000 Flüchtlingen zusätzlich zugesagt. Wir sind den SPD-regierten Bundesländern auch dankbar dafür, weiteren Angehörigen der hier lebenden syrischen Flüchtlingen die Einreise zu erlauben. Allerdings ist die humanitäre Geste der Länder eher bescheiden angesichts der Tatsache, dass nur reiche syrische Familien, deren Lebensunterhalt hier in Deutschland durch Angehörige vollständig finanziert wird, ein Visum erhalten sollen.

So oder so bleibt die Zahl der in Deutschland aufgenommenen syrischen Flüchtlinge auch nach diesen Maßnahmen klein: Hätte Deutschland in Relation zur Bevölkerungszahl so viele Syrer/innen aufgenommen wie der Libanon, wären das 18 Millionen. Allein diese Relation macht deutlich: Deutschland könnte viel mehr tun. Doch hier bei uns liegen sofort die Nerven blank, wenn die Flüchtlingszahl nur ein wenig steigt: „Deutschland hat ein neues Asylbewerber-Problem“ titelte etwa die Welt vom 22.7.2013. Die agressive Außenpolitik findet offenkundig ihre Entsprechung auch in Teilen der Gesellschaft.

Wir kommen zum Schluss: Was heißt das nun für die aktuelle Situation? Wie sollen wir uns als Kriegsgegner/innen verhalten?

Wenn uns die Vergangenheit eines lehrt, dann dass wir immer wieder darauf hinweisen müssen: Eine Politik, die mit hehrem Pathos militärische Einsätze mit Menschenrechten begründet, aber zugleich alles daran setzt, Flüchtlinge ohne Ansehen ihrer Fluchtgründe vor den Grenzen abzufangen und unterschiedslos zurückzuschicken, ist unglaubwürdig. Die Behandlung der Flüchtlinge kann dann (in einer Umstellung der Clausewitz’schen Formel) als Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln gefasst werden. Menschenrechte sind keine Frage der Strategie, sondern des Prinzips. Wer es mit dieser Frage ernst meint, sollte sich zuallererst um die Opfer kümmern.

Flüchtlinge gibt es in jedem Krieg, sie sind direkt betroffen. Die Flüchtlinge und Vertriebenen, die vor allem in den benachbarten Aufnahmeländern leben, brauchen dringend medizinische, psychologische und finanzielle Unterstützung. Die Versorgung mit basalen Gütern wie Wasser, Essen und Benzin muss gewährleistet sein. Frauen und Kinder sowie andere besonders Verletzliche unter den Flüchtlingen – Alte, Kranke, Traumatisierte – müssen versorgt und unter Schutz gestellt werden. Internationale Hilfsorganisationen müssen unterstützt und staatliche Hilfen organisiert werden. Die Flüchtlingslager müssen finanziell besser ausgestattet und die Lebensbedingungen dort verbessert werden.

Auch hier in Deutschland ist noch einiges für Flüchtlinge zu tun: Nach wie vor bestimmt die Doktrin der Abschreckung den Lebensalltag der Flüchtlinge – nach dem Motto: Wenn wir sie nur möglichst schäbig behandeln und isolieren, gehen sie vielleicht irgendwann von selbst. Arbeitsverbote, Reisebeschränkungen, Wohnsitzauflagen und rechtliche Einschränkungen – beispielsweise das Verbot, an Integrationskursen teil zu nehmen – beschränken nach wie vor die Möglichkeiten der Teilhabe, auch wenn sich in den letzten Jahren einiges verbessert hat. Die Landesregierung ist zwar angetreten, einen „Paradigmenwechsel“ herbei zu führen, es fehlt aber nach wie vor ein Landeskonzept, das eine systematische Einbeziehung und Partizipation von Flüchtlingen vorsieht. Immerhin ist jetzt die Arbeit der Härtefallkommission auf eine neue, menschlichere Basis gestellt worden, und die Ausländerbehörden sind angewiesen, Flüchtlinge nicht mehr primär als Störenfriede anzusehen, die es abzuschieben gilt. Von einer Gleichberechtigung sind wir aber auch in Niedersachsen noch meilenweit entfernt, denn dafür sind bei derzeitigen Rechtslage die Bedingungen nicht geschaffen. Nach wie ist zum Beispiel mit dem Asylbewerberleistungsgesetz von 1993 ein Sonderrecht in Kraft, das die Menschenwürde mit zweierlei Maß misst. Um zu einem grundlegenden Politikwechsel zu kommen, muss sich auch auf der Ebene der Bundesgesetzgebung einiges ändern, damit die Diskriminierung der Flüchtlinge ein Ende hat.

Flüchtlinge sind diejenigen, die den Krieg nicht führen und ihr Leben und das ihrer Angehörigen retten wollen.

In Erinnerung an die hier in Salzgitter liegenden Toten, auch sie zwangsverschleppte Opfer eines mörderischen Regimes, appellieren wir an Sie: Unterstützen Sie Flüchtlinge! Unterstützung von Flüchtlingen ist Friedenseinsatz. Reden Sie mit ihnen, hören Sie ihnen zu! Sie erfahren viel mehr über die Realitäten in Syrien als über die Medien. Aber tun Sie auch was! Setzen Sie sich gemeinsam mit uns dafür ein, dass Fluchtwege geöffnet werden; und dass Flüchtlinge hier Schutz erhalten, als Beitrag zum Frieden, und als Vorbereitung einer besseren Zukunft.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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