Aufnahme von Flüchtlingen in Niedersachsen

Die rassistischen Exzesse, die sich derzeit in Berlin-Hellersdorf um die Unterbringung von Flüchtlingen in einer Gemeinschaftsunterkunft abspielen, haben zu vermehrten Anfragen der Medien auch beim Flüchtlingsrat Niedersachsen geführt. Anlass genug, ein paar banale Fakten in die Debatte zu werfen:

  1.  Kein Zweifel: Die Flüchtlingszahlen steigen. Für das laufende Jahr kann mit einer Flüchtlingszahl von bundesweit 100.000 gerechnet werden. Im Vergleich zu den 90er Jahren ist diese Zahl freilich nach wie vor gering. 1992 flohen mehr als viermal soviele Flüchtlinge nach Deutschland. Allein in Niedersachsen wurden 1992 insgesamt 42.659 Aslanträge gestellt (siehe hier, S. 51)
  2. Der Anteil der Flüchtlinge an der Gesamtzuwanderung liegt unter 10%. Im Jahr 2012 wanderten 1,08 Millionen Menschen nach Deutschland ein, 712.000 verließen Deutschland ins Ausland (siehe hier). Rund 180.000 Einwanderer kamen im letzten Jahr z.B. allein aus Polen, ohne dass dies im öffentlichen Drama aufgefallen wäre. Der Wanderungsüberschuss wurde von der Politik und Wirtschaftsverbänden positiv bewertet (siehe z.B. hier)

Zum öffentlichen Problem wird die Flüchtlingszuwanderung also v.a. deshalb, weil bürokratische Aufnahmeprozeduren und behördliche Auflagen eine Konzentration der Flüchtlingen an bestimmten Orten (etwa Erstaufnahmeeinrichtungen) vorsehen, und weil Flüchtlinge aufgrund restriktiver Wohnsitzauflagen nicht dort wohnen dürfen, wo sie es wollen und womöglich auch könnten (etwa bei Verwandten oder Freunden), sondern dort einziehen müssen, wo ihnen ein Platz zugewiesen wird. Es wäre insofern schon viel gewonnen, wenn Flüchtlingen das Recht eingeräumt würde, sich selbst Wohnraum zu suchen. Ggfs. auftretende Disparitäten bei der Verteilung der Flüchtlinge ließen sich auch durch finanzielle Ausgleichzahlungen kompensieren. Darüber hinaus müssen Konsequenzen für die Organisation der behördlichen Flüchtlingsaufnahme gezogen werden:

  •  Eine zentrale Unterbringung von Flüchtlingen in Großlagern ist aus humanitären wie integrationspolitischen Gründen abzulehnen, wie auch Innenminister Pistorius dankenswerter Weise betont hat. Es reicht aber nicht, nur an die Kommunen zu appellieren: Auch das Land ist gefordert, in der Unterbringungspolitik umzusteuern und die Kommunen finanziell in die Lage zu versetzen, eine menschliche und dezentrale Aufnahme zu organisieren. Die pauschale Kostenerstattung, die das Land den Kommunen leistet, ist nicht einmal kostendeckend und insofern für die Kommunen inattraktiv, wie der ehemalige Innenminister Uwe Schünemann selbst einräumte. Schünemann begründete die Unterdeckung mit dem Argument, die Kommunen könnten durch rücksichtslose Abschiebungen die Kosten ja senken (siehe etwa hier). Wenn die Landesregierung diese Politik umsteuern und einen anderen Kurs fahren will, der auf eine Partizipation und Teilhabe auch von Flüchtlingen zielt, muss sie die Kommunen auch in die Lage versetzen, dies zu finanzieren, und ggfs. auch über Programme des sozialen Wohnungsbaus die Herrichtung neuer Unterkünfte unterstützen.
  •  Zu niedrige Erstattungsleistungen des Landes rechtfertigen natürlich nicht, dass in einigen Kommunen eine verantwortungslose Unterbringungspolitik praktiziert wird. Wer – wie etwa der Landkreis Harburg – größere Gruppen von Flüchtlingen ohne jede Vorbereitung in abgelegenen Dörfern unterbringen will, die keinerlei Infrastruktur bieten und nicht an den öffentlichen Personennahverkehr angebunden sind, muss sich nicht wundern, dass darüber weder die Dörfer noch die Flüchtlinge begeistert sind. Gefordert sind kommunale Unterbringungskonzepte, die eine Einbeziehung und Teilhabe der Flüchtlinge zum Ziel haben, statt die Betroffenen irgendwo im Gewerbegebiet in Großunterkünften oder auf abgelegenen Dörfern zu isolieren. Jeder Flüchtling will irgendwo ankommen und ein neues Leben beginnen, das heißt auch eine eigene Wohnung beziehen, arbeiten und Nachbarschaften pflegen. Ziel jeder kommunalen Flüchtlingspolitik muss es daher sein, dieses Ankommen perspektivisch zu ermöglichen und Alltäglichkeit zu stiften. Die Städte Hannover und Osnabrück haben sich in dieser Hinsicht immerhin Gedanken gemacht und Konzepte entwickelt, die wir zwar im Detail kritisieren, die aber doch davon zeugen, dass diese Städte die Aufnahme der Flüchtlinge als Daueraufgabe begriffen haben und entsprechend planen. Bereits im Dezember 2012 hat der Flüchtlingsrat dazu Vorschläge entwickelt, von denen die meisten Städte und Landkreise in Niedersachsen damals allerdings noch nicht viel wissen wollten, siehe hier). Es wird Zeit, dass sich alle Kommunen auch ihrer Verantwortung stellen und nachhaltige Konzepte entwickeln.

gez. Kai Weber

Anhang: HAZ vom 22.08.2013
Land will kein Massenquartier für Flüchtlinge
Hannover/Berlin (vdB). Demonstrationen gegen Asylbewerber wie in Berlin-Hellersdorf sollen in Niedersachsen vermieden werden. Deshalb rät Landesinnenminister Boris Pistorius (SPD) dringend dazu, keine Massenquartiere für ausländische Flüchtlinge einzurichten.
Das Land bemüht sich im Zusammenwirken mit den Kommunen um eine dezentrale Unterbringung der Asylbewerber. Weil mehr Flüchtlinge kommen, sind die niedersächsischen Erstaufnahmelager in Friedland, Bramsche und Braunschweig inzwischen mit 1800 Menschen nahezu voll belegt. Bundesweit nahm die Zahl der Asylbewerber von Januar bis Ende Juni um 90 Prozent auf 52.754 Menschen zu. In Niedersachsen stieg die Zahl der Asylanträge im Juli auf 922, im Juli 2012 waren es nur 434. Ende des Monats beginnt der Bund mit der Aufnahme von 5000 Flüchtlingen aus Syrien.
Ausgelöst wurde die Debatte durch Proteste gegen ein neu eröffnetes Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf. Rechte Gruppen und Gegendemonstranten trafen direkt vor dem Haus aufeinander. Vier Polizisten wurden dabei verletzt, 25 Demonstranten landeten in Untersuchungshaft. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach schlug einen Krisengipfel mit Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden vor. Dies lehnen sowohl Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) als auch Landesinnenminister Pistorius als nicht erforderlich ab.Der Niedersächsische Flüchtlingsrat warnt vor Hysterie. Derzeit gebe es keine grundlegenden Probleme und auch keine ausländerfeindlichen Proteste von Rechtsextremen, hieß es bei der Polizei.
Kommentar von Jörg Kallmeyer Seite 2
Neue Lösungen

Viele haben die Szenen noch vor Augen: In Rostock-Lichtenhagen brannte im August 1992 ein Flüchtlingsheim. Bis heute sind die damaligen Krawalle hasserfüllter Bürger eine Mahnung, was alles passiert, wenn eine politische Debatte aus dem Ruder läuft. Es kann daher nicht schaden, wenn angesichts der Ereignisse von Berlin-Hellersdorf schnell die Parallele zu Rostock-Lichtenhagen gezogen wird. Deutschland ist allerdings im Sommer 2013 weit entfernt von den Problemen des Sommers 1992. Die aktuellen Flüchtlingszahlen sind verschwindend gering im Vergleich zur Lage damals. Zugleich ist Deutschland weltoffener geworden, und viele, die anfangs als Gäste kamen, sind wirklich Freunde geworden. Die Anwohner, die pöbelnd und schimpfend vor der Notunterkunft in Hellersdorf auftauchen, stehen nicht für Deutschland. Und dennoch muss die Politik reagieren. Sie steht vor einem Dilemma: Die meisten Demonstranten haben die große Aufmerksamkeit nicht verdient. Verschweigt man aber die Probleme, das lehrt die Vergangenheit, dann werden sie erst richtig groß. Die aktuellen Schwierigkeiten sind hausgemacht: Seit Ende der neunziger Jahre die Asylbewerberzahlen in den Keller gegangen sind, haben Länder und Kommunen auch die Unterbringungsmöglichkeiten reduziert. Wer brauchte jetzt noch Flüchtlingswohnungen? Jetzt kommen wieder mehr Asylbewerber, und manche Städte sehen sich überfordert. Sie wollen keine neue Asyldebatte, sondern neue funktionierende Lösungen. Der Vorschlag des niedersächsischen Innenministers, auf große Flüchtlingsheime zu verzichten und stattdessen einzelne Wohnungen zu schaffen, könnte ihnen schon weiterhelfen.
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1 Gedanke zu „Aufnahme von Flüchtlingen in Niedersachsen“

  1. Sehr geehrte Damen und Herren,

    ich habe ein 1000m² Grundstück mit Garten und einem alten Gasthaus (Kraugweg 6, 38170 Ampleben), in dem vom vorherigen Eigentümer in früheren Jahren Zimmer für die Unterbringung von Flüchtlingen aus dem Kosovo vermietet wurden.

    Es ist jetzt nicht mehr in einem bewohnbaren Zustand, könnte allerdings wieder hergerichtet/umgebaut werden, um darin für mindestens 2 Familien je ca 100m² Wohnraum und zusätzlich Arbeitsräume zu schaffen.
    Natürlich kann ich dies nicht allein ermöglichen und bitte Sie daher um Rat, an wen ich mich wenden muss.

    Da ich immer wieder erfahre, dass viele Menschen keine Flüchtlinge haben wollen, möchte ich gerne etwas dazu beitragen, dass hier mehr Flüchtlinge aufgenommen werden. Ich habe auch in den letzten Jahren bereits eine Whg und ein Zi in meiner Whg an syrische Flüchtlinge vermietet; doch diese hatten auf Anzeigen geantwortet.

    Mit freundlichen Grüssen,
    Friedrich B Kohl

    Stargardstr. 20
    38124 Braunschweig

    Tel: +4953121493389

    Mob: +491741831394 & +491713476445

    Fax & voicemailbox: +4932125645321

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