Rassismus in Hagen: Ein Bordell ist akzeptabel, ein Flüchtlingswohnheim nicht?

Live-Sendung des Nordwest-Radios am Donnerstag , 15. August, von 15 bis 16 Uhr
aus dem Rathaus der Samtgemeinde Hagen, Amtsplatz 3, 27628 Hagen

In der Gemeinde Hagen im Landkreis Cuxhaven finden derzeit gespenstische Auseinandersetzungen um die Unterbringung von 20 Flüchtlingen statt: Örtliche Gewerbetreibende wollen sich nicht mit der Umwidmung eines ehemaligen Bordells in eine Flüchtlingsunterkunft abfinden und drohen mit der Umsiedlung ihrer Betriebe nach Bremerhaven, sollte die Gemeinde an ihren Plänen festhalten. Wortführer der rassistischen Krawallbrüder ist Messebauer Michael Krams, der im Namen mehrerer Gewerbetreibenden ankündigt, zu klagen, „bis der Arzt kommt“. Das Bordell habe man damals schlucken müssen, ein Flüchtlingswohnheim aber würde den Wert ihrer Immobilien sinken lassen, und das sei indiskutabel. „Wenn das nicht mit Rassismus zu tun hat, womit denn dann?“, kommentiert auch die Bürgermeisterin Puvogel.

Natürlich kann man sich fragen, ob ein Haus im Gewerbegebiet ein geeigneter Ort zur Unterbringung von Flüchtlingen ist. Einer Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 14.03.2013 ist zu entnehmen, dass eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende in einem Gewerbegebiet grundsätzlich nicht zulässig ist, weil sie wohnähnlichen Charakter habe und sich eine solche Nutzung nicht mit der typischen Eigenart eines Gewerbegebiets vertrage: Wegen der nicht nur kurzen Verweildauer hätten Flüchtlinge  in einer Unterkunft als ihrem Lebensmittelpunkt einen Anspruch auf Schutz vor den von einer gewerblichen Nutzung typischerweise ausgehenden Immissionen. Im Bebauungsplan ist das Gebiet allerdings als Gewerbegebiet mit Wohnberechtigung ausgewiesen. „Der Standort wäre zentral gelegen, Einkaufsmöglichkeiten sind quasi vor der Haustür und der Weg zur Ortsmitte beläuft sich auf 500 Meter“, wirbt der Grüne Ratsherr und Mitglied des örtlichen Arbeitskreises Asyl Wolfgang Steen, einer der Investoren für das geplante Flüchtlingswohnheim, für das Haus an der Feldkampstraße.

Wolfgang Steen und seinen Mitstreiter:innen ist ebenso wie der Bürgermeisterin und dem Arbeitskreis Asyl jedenfalls zugute zu halten, dass sie sich um Standards der Unterbringung und Partizipationsmöglichkeiten der Flüchtlinge bemühen und Gedanken machen (siehe hier). Die anstehende Unterbringung von 20 Flüchtlingen im Südkreis bzw. von 150 Flüchtlingen im gesamten Landkreis Cuxhaven ist vor dem Hintergrund vieler leer stehender Häuser und angesichts der vorhandenen Unterkünfte, für die freilich Renovierungskosten anfallen würden, keine Frage des Platzes, sondern der menschenwürdigen Anbindung an Infrastruktur und Verkehrsmittel. Die Fragestellung des Nordwest-Radios, das sich am kommenden Donnerstag von 15 bis 16 Uhr unter dem Titel „zu wenig Platz für Asyl?“ mit der Unterbringung von Flüchtlingen in Hagen beschäftigen will, geht insofern am Thema vorbei: Nicht der fehlende Platz ist das Problem. Das Problem heißt Rassismus.

Nachfolgend die Ankündigung der Live-Sendung des Nordwestradios:

Nordwestradio unterwegs: Zuwenig Platz für Asyl?
Der Streit in Hagen um ein geplantes Flüchtlingswohnheim

Live-Sendung am Donnerstag , 15. August, von 15 bis 16 Uhr

aus dem Rathaus der Samtgemeinde Hagen, Amtsplatz 3, 27628 Hagen.

Krieg und Armut treiben immer mehr Menschen aus ihren Heimatländern wie zum Beispiel Somalia und Tschetschenien. Städte und Gemeinden in Deutschland stehen zunehmend vor der Herausforderung, geeignete Unterkünfte für Menschen zu finden, die hier Zuflucht suchen. Die klammen Haushalte der Kommunen machen die Situation noch schwieriger. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rechnet in diesem Jahr mit über 100.000 Asyl-Anträgen von Flüchtlingen – fünf Mal so viele wie noch 2007. Hinzu kommt, dass Deutschland sich bereit erklärt hat, über ein zusätzliches Hilfsprogramm 5000 Syrern Schutz  zu gewähren.

Vielerorts sind die bestehenden Unterkünfte zu klein oder müssen dringend saniert werden. Häufig fehlt den Gemeinden das Geld, um zu handeln – wie im Fall der Gemeinde Hagen im Bremischen. Hier will der Ratsherr Wolfgang Steen deshalb zusammen mit zwei weiteren Investoren ein ehemaliges Bordell – einen Neubau – aufkaufen und das Haus an die Gemeinde als Flüchtlingsunterkunft vermieten.

Das alte Flüchtlingswohnheim im Ort bietet zurzeit einem Dutzend Flüchtlinge Unterkunft – überwiegend junge Afrikaner. Aber das Haus ist laut Gemeinde marode und bietet nicht genug Platz. Steen, der vor Jahren die örtliche Flüchtlingsinitiative mit aufgebaut hat, ist überzeugt, dass sein Vorschlag die beste Lösung für die Zwangslage der Gemeinde ist. 20 neue Flüchtlinge muss sie in diesem Jahr aufnehmen. Das ist vom Land so vorgegeben.

Doch Unternehmer aus dem Gewerbegebiet, in dem das geplante Flüchtlingswohnheim liegt, gehen auf die Barrikaden und wollen gegen das Vorhaben klagen. Sie seien schon beim Bordell nicht gefragt worden – nun auch noch der Plan für ein Asylbewerberheim. Gewerbetreibende befürchten dadurch einen Wertverlust ihrer Immobilien. Der Streit eskaliert: Ein Unternehmer ist schon gegen die Samtgemeindebürgermeisterin vor Gericht gezogen, weil sie ihm Rassismus vorgeworfen haben soll.

Wie müssen sich Kommunen auf den zunehmenden Flüchtlingsstrom einstellen? Wie werben sie bei den Bürgern für Unterstützung, und wie sehen geeignete Unterkünfte aus? Und welche Rolle spielen dabei die klammen Haushalte der Städte und Gemeinden? Das sind nur einige Fragen, um die es geht in der Live-Sendung Nordwestradio unterwegs am Donnerstag, 15. August, aus Hagen.

Teilnehmer der Gesprächsrunde mit Nordwestradio-Moderator Otmar Willi Weber sind:

Susanne Puvogel
Samtgemeindebürgermeisterin und Verwaltungschefin, SPD

Wolfgang Steen
Investor, Sprecher Flüchtlingsinitiative und Ratsherr der Grünen

Kai Weber
Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen

Udo Allmers
Fraktionschef der CDU in der Samtgemeinde Hagen

Vertreter der Ausländerbehörde des Landkreises Cuxhaven

 …und weitere Gesprächspartner.

Eintritt ist frei – Gäste sind willkommen

Die Besucher der Sendung sind herzlich eingeladen, Fragen zur Diskussion beizutragen.

Moderation: Otmar Willi Weber
Redaktion: Dirk Bliedtner

Nordwestradio:
Ein Programm von Radio Bremen und dem NDR
UKW Bremen 88,3 und Bremerhaven 95,4 MHz,
Via Satellit, im Kabel und als Podcast,
Webchannel und Live-Stream auf
www.radiobremen.de/nordwestradio

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2 Gedanken zu „Rassismus in Hagen: Ein Bordell ist akzeptabel, ein Flüchtlingswohnheim nicht?“

  1. Herr Steen will als grüner Ratsherr und stellvertr. Bürgermeister, Investor, Vermieter und ehrenamtlicher Flüchtlingsbetreuer in einer Person auftreten. Wie soll das passen und gehen!!!!!!!!! Das Haus im Gewerbegebiet ist eine ziemlich sichere Geldanlage und nicht als Spende anzusehen!
    Und dieses alles hinter verschlossenen Türen verhandelt und ohne Flüchtlingsbefragung oder Bürgerbeteiligung!. Das ist die übliche Kungelei der Politiker!!!!

    Antworten
    • Leider fehlen Ihnen wichtige Informationen, die über die Medien nicht so vermittelt werden, dass Sie sich ein vollständiges Bild über die reale Situation machen können. In Hagen gibt es seit 1992 eine Flüchtlingsinitiative, die für alle Bürger offen ist und bei den Bürgern in Hagen große Wertschätzung erfährt. Dazu gehört auch Herr Steen, der seit Jahren mit uns Flüchtlinge betreut. Im Februar wurde in einem Arbeitskreis Asyl, der von der Bürgermeisterin ins Leben gerufen wurde, parteiübergreifend seine Idee für ein Flüchtlingshaus diskutiert. Er bekam von allen Seiten viel Zuspruch. Das Gewerbegebiet in Hagen ist ein Mischgebiet. Dort wohnen auch Bürger aus Hagen. Also kein Gewerbegebiet, wie man es am Rande von Städten kennt.
      Die ersten Flüchtlinge betreuten wir 1992 am Dorfrand von Sandstedt auch in einem ehemaligen Bordell. Aus der Nachbarschaft hat niemand Angst um den Wert seiner Immobilie gehabt.
      Viele Flüchtlinge kamen und erhielten Asyl. Sie gingen hier in Hagen zur Schule und leben heute unabhängig vom Staat mitten unter uns, sind Steuerzahler und erziehen ihre Kinder zu anständigen Menschen und Demokraten Wo bleibt die Wertschätzung dieser Familien ? Wo sind die Journalisten, die diese Familien aufsuchen und Interesse an ihren Biografien haben?
      Wie selbstverständlich haben viele Bürger und Bürgerinnen aus Hagen seit 1992 die neuen Flüchtlinge unterstützt. Probleme gab es wie in allen Familien, wenn Kinder da waren. Wir haben sie während ihrer Schulzeit betreut, bei der Berufswahl unterstützt, sind mit ihnen auf Wohnungssuche gegangen usw.
      Oft mussten sie zur Ausländerbehörde nach Cuxhaven fahren (für Flüchtlinge ohne Auto eine „Weltreise“), um eine Duldung nach der anderen zu erhalten. Manche Kinder saßen wegen ihrer sog. Duldung bis zum Abitur auf ihren Koffern und fühlten sich hier nach über 10 Jahren Schulzeit nicht willkommen. Andere konnten wegen der Duldung keine Ausbildung beginnen, obwohl sie Realschulabschluss hatten. Wir haben die Presse eingeschaltet und unsere Politiker und Politikerinnen aktiviert. Auch damals, als ein Baby versehentlich abgeschoben werden sollte, mussten wir „Lebenshilfe“ leisten. Es war ein Computerfehler, aber für Mutter und Kind die Hölle.
      Einige unserer gewählten Volksvertreter und besonders in den letzten Jahren auch die Bürgermeisterin Susanne Puvogel haben uns kooperativ beraten und unterstützt.
      Heute besuchen uns die Kinder der Kinder, die hier zur Schule gingen. Sie fragen z.B. „Hast du noch Bilder von meiner Mutter, als sie noch klein war?“ Sie kommen gerne nach Hagen und verbringen hier ihre Ferien. Wir erzählen ihnen Geschichten über ihre Eltern, als diese noch hier zur Schule gingen und was sie hier erlebt haben, auch wie wir ihnen in schwierigen Zeiten geholfen haben. Und sie sind unglaublich dankbar dafür. Auch die Presse hatte mal ein offenes Ohr für die wirklichen Probleme. Was ist passiert, dass Hagen ein Problem mit Asylsuchenden hat ? Den einen geht es zu schnell, den anderen zu langsam eine passende menschenwürdige Unterkunft für neue Asylsuchende zu finden. Einige unserer gewählten Volksvertreter wie z.B. Herr Steen, helfen intensiv, machen Vorschläge und Angebote, legen sogar eigene Konzepte auf den Tisch. Andere sagen: „Das ist nicht meine Aufgabe“! Welches Spiel wird hier mitten im Wahlkampf auf dem Rücken engagierter Mitbürger ausgetragen? Welche Rolle spielen die Medien in diesem Zusammenhang ? Welches Interesse hat pro Asyl, Hagen so in die Schlagzeilen zu bringen, obwohl Herr Weber uns kennt und lobt ? Das „Nordwestradio unterwegs“ war etwas irritiert, als vor Ort kaum Leute zur Sendung erschienen waren. „Viel Lärm um nichts“ stand am nächsten Sonntag im Sonntagsjournal.
      Ingrid Rauner
      Mitglied der Flüchtlingsinitiative in Hagen

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