Das nachfolgende Beispiel des afghanischen Flüchtlings Mohammed G. verdeutlicht, wie Flüchtlinge im Rahmen des Dublin II – Regimes entrechtet und kriminalisiert werden. Nur glücklichen Umständen und einer engagierten anwaltlichen Vertretung hat Mohammed es zu verdanken, dass er doch noch zu seinem Recht auf ein faires Asylverfahren kommt:
Mohammad G. (26) lebte bereits als Kind von 2001 bis 2003 in Hamburg. 2003 kehrte er mit seinen Eltern in der Hoffnung auf bessere Verhältnisse in Afghanistan unter dem Schutz der NATO freiwillig in sein Heimatland zurück. Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Am 12. Februar 2011 floh er erneut in die Bundesrepublik.
Bei seiner Ankunft am Hauptbahnhof in Aachen wurde er unmittelbar von der Bundespolizei festgenommen, die ihn verhörte und – wie immer in solchen Fällen – ein Strafverfahren gegen ihn einleitete. Anschließend stellte die Ausländerbehörde über EURODAC fest, dass G. über Italien nach Deutschland geflohen war, leitete ein Dublin II – Verfahren ein und stellte einen Antrag auf Abschiebungshaft, dem das Amtsgericht Aachen noch am selben Tag entsprach. Die dagegen eingelegte Beschwerde wurde vom Amtsgericht am 25.02.2013 abgelehnt. Aus Gründen der „illegalen Einreise nach Deutschland“ wurde Mohammad zusätzlich zu einer Geldstrafe in Höhe von 863,50 verurteilt. Da er diese Geldsumme nicht zur Verfügung hatte, sprang seine Schwester ein und übernahm die Strafe in monatlichen Ratenzahlungen. Diese Kriminalisierung des Flüchtlings war offenkundig rechtswidrig, die Verurteilung war jedoch schon rechtskräftig, als ein Anwalt eingeschaltet wurde
Gegen die Überstellung nach Italien aber wehrte sich G. mit dem Hinweis, er sei in Italien jediglich erkennungsdienstlich behandelt worden und habe seinen Asylantrag nur in Deutschland gestellt, wo er sich bereits als Jugendlicher einige Jahre aufgehalten habe. Im Falle einer Abschiebung habe er in Italien ein menschenunwürdiges und europäisches Recht verletzendes Asylverfahren zu erwarten. Noch bevor das BAMF einen sog. Dublin II – Bescheid erlassen hatte, beantragte G. mit Hilfe eines Anwalts den Erlass einer Einstweiligen Anordnung gegen die drohende Überstellung nach Italien.
Am 10. März 2011 entsprach das Verwaltungsgericht Minden dem Ersuchen des Anwalts teilweise und ordnete im vorläufigen Rechtsschutzverfahren an, die Abschiebung nach Italien vorübergehend für 6 Monate auszusetzen. Das Gericht bestätigte die „Schwierigkeiten“ im italienischen Asylverfahren und begründete die vorläufige Aussetzung der Abschiebung mit Defiziten bei der Versorgen von Flüchtlingen in Italien. Daraufhin wurde Mohammed – nach vierwöchiger Inhaftierung – endlich aus der Haft entlassen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ließ sich von dem Beschluss jedoch nicht beeindrucken und erließ am 04. April 2011 den Bescheid, dass der Asylantrag „unzulässig“ sei und eine Überstellung nach Italien weiterhin betrieben werde. Gründe für einen Selbsteintritt sehe das Bundesamt nicht, in Italien sei die Einhaltung der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt.
Nach Ablauf des vom Gericht angeordneten sechsmonatigen Moratoriums bereitete die Ausländerbehörde (Stadt Hildesheim) erneut die Abschiebung von Mohammed nach Italien vor, kündigte den Abschiebungstermin aber erst am 12. Oktober 2011 an – einen Tag vor der geplanten Überstellung. In aller Eile strengte der Anwalt daraufhin weitere Eilanträge an, so dass auch diese Abschiebung verhindert werden konnte.
Noch immer hält sich Mohammad mit einer „Duldung“ in Deutschland auf. Eine inhaltliche Würdigung seiner Asylgründe hat er bis heute nicht erhalten. Auf Nachfrage des Flüchtlingsrats teilte das BAMF nun aber mit, dass die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens seit März auf die Bundesrepublik übergegangen sei. Mehr als drei Jahre nach seiner Flucht darf Mohammed nun auf eine Asylentscheidung hoffen.
- Zur Kriminalisierung von Flüchtlingen siehe auch: Strafverfahren § 95 AufenthG
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