Das ganze Leben hat Jetmir K. in Deutschland verbracht,
trotzdem wurde er gestern ins Kosovo abgeschoben
Gestern, am 07. August, ist Jetmir K., ein 21-jähriger Roma, der nahezu sein gesamtes Leben in Deutschland verbracht hat, in den Kosovo abgeschoben worden. Jetmir ist 1990 im Alter von vier Monaten zusammen mit seiner Familie auf der Flucht vor dem jugoslawischen Bür-gerkrieg nach Deutschland gekommen.
Nachdem Jetmir 2010 durch ein Kirchenasyl und öffentliche Proteste vor einer Abschiebung bewahrt werden konnte, ist er nun in ein ihm vollkommen fremdes Land, in dem er weder Verwandte noch sonstige soziale Bindungen hat, abgeschoben worden. Die Abschiebung rechtfertigt die Ausländerbehörde der Stadt Göttingen damit, dass Jetmir K. eine getroffene Zielvereinbarung nicht eingehalten habe. Konkret wird ihm zum Verhängnis, dass er eine Ausbildung abgebrochen hat. Jetmir K. ist in Deutschland groß geworden und sozialisiert. Er hat hier seine Freunde und sozialen Strukturen, und Göttingen ist sein Zuhause. Mit der Ab-schiebung sind ihm alle Perspektiven zerstört worden.
Es kann nicht sein, dass eine abgebrochene Ausbildung mit einer Abschiebung ins Elend be-straft wird. Am Fall von Jetmir K. wird deutlich, unter welchem Druck junge Flüchtlinge stehen: Sie müssen trotz ihrer prekären Lebensverhältnisse reibungslos funktionieren, wenn sie eine geringe Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bekommen wollen.
Die Reise der Delegation niedersächsischer Landtagsabgeordneter und Delegierter von Flüchtlingsorganisationen im April dieses Jahres bestätigt, in welch erbärmliche Verhältnisse Minderheitenangehörige wie Roma oder Ashkali im Kosovo abgeschoben werden. Die Lan-desregierung beschönigt die dortigen Verhältnisse und verschließt die Augen vor den Fakten, um ihre Abschiebungspolitik fortzusetzen. Der Innenminister (siehe Rede von MI Schünemann vom 09.05.2012) macht weiter Druck, dass die Abschiebungen von Roma und anderen Minderheitenangehörigen aus Niedersachsen umge-setzt werden. Er rechtfertigt dies damit, dass sie nun mal ausreisepflichtig seien und „keine Gefahr für Leib und Leben“ bestehe. Abgeschobene Roma und Ashkali berichten dagegen, dass sie alltäglichen rassistischen Angriffen ausgesetzt sind. Sie landen in der Regel in Slums. Eine Chance auf eine einträgliche Arbeit besteht praktisch nicht. Dieser Situation steht nun auch Jetmir K. gegenüber.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen schließt sich der Forderung des AK Asyl Göttingen und der weiteren UnterstützerInnen nach einer Rückholung von Jetmir K. an.
Vor dem Hintergrund der Lage von Roma und andere Minderheitenangehörigen in Ländern des ehemaligen Jugoslawien und angesichts der historischen Verantwortung Deutschlands muss es ein Bleiberecht für Roma und Ashkali geben.
gez.
Sigmar Walbrecht, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Pressemitteilung des AK Asyl vom 07.08.2012
Pressemitteilung des AK Asyl vom 05.08.2012
Wie kann man einem Menschen ein Heimatrecht dort absprechen, wo er sein ganzes Leben verbracht hat? Wie ist denn Heimat wohl sonst zu definieren? Es ist unerträglich, wie mit Menschen umgegangen wird, die nicht in das Weltbild Minister Schünemanns und seiner willfährigen (und vorauseilend gehorsamen) Untergebenen passen. Leider verhalten sich auch andere Bundesländer gegenüber Roma-Familien nicht anders. Es scheint da einen unheilvollen Konsens der Verantwortlichen zu geben. Statt gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, dem Elend und der Perspektivlosigkeit dieser Familien ein Ende zu bereiten, sich der geschichtlichen Verantwortung zu stellen. Ich erwische mich bei der Hoffnung (als Agnostikerin), dass diese scheinbaren Christen eines Tages Rechenschaft ablegen müssen vor einer höheren Instanz, an die sie angeblich glauben!
Ich verstehe dass so, dass er zur Ausreise verpflichtet war, dennoch die Chance auf einen Aufenthaltstitel erhalten hat, wenn er seine Ausbildung beendet hätte.
Was ist daran inhuman?
Was ist falsch daran eine schulische oder berufliche Ausbildung für ein eigentlich nicht mögliches Aufenthaltsrecht zu erwarten. Nur diese lässt doch zukünftig eine wirtschaftliche und soziale Integration in Aussicht stehen. Welche Perskektive hat man sonst?
Die Anfeindungen gegen Personen (Menschen) des AK Asyl finde ich unerträglich.
Diese Amtspersonen üben beruflich geltendes Recht aus, welches parlamentarisch beschlossen wurde, somit mittelbar dem Wunsch der überwiegenden Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung entspricht und wo der Einzellfall immer gerichtlich überprüft wurde.
@ Annelie, den Wunsch, dass ein Mensch als private Person später einer höheren Instanz (Gott?!?) Rechenschaft ablegen müsse für rechtmäßiges Handeln in seinem Berufsleben finde ich grotesk und armselig.