Die niedersächsische Landesregierung gibt Entwarnung: Syrien sei weltlich, tolerant, modern.
Zitat Wirtschaftsministerium:
„Im Unterschied zu anderen arabischen Ländern ist Syrien ein weltlich orientiertes Land, in dem die verschiedenen Religionen und Nationalitäten weitgehend konfliktlos nebeneinander leben. Eine Entwicklung wie z.B. in Ägypten wird derzeit als unwahrscheinlich angesehen, da Präsident Assad bedeutend jünger ist als die anderen Machthaber in der arabischen Welt und somit dem Volk näher steht. Ein Generationswechsel vom Vater zum Sohn ist bereits vollzogen und hat bereits für eine Modernisierung des Landes gesorgt.“
Diese Verharmlosung der Verfolgung und Unterdrückung in der von Sicherheitsapparaten und Militärs geprägten autoritären Diktatur im Interesse guter Geschäfte schreit zum Himmel. Hat die Landesregierung nicht mitbekommen, dass es auch in Syrien eine Demokratiebewegung gibt, die allerdings von der Polizei schnell zusammengeschlagen wurde? „Syrien und Libyen werden die letzten Länder sein, in denen es zu Protesten kommt“, sagt Radwan Ziadeh, Gründer des Zentrums für Menschenrechtsstudien in Damaskus, der zurzeit an der Harvard-Universität in den Vereinigten Staaten lehrt. „Die Syrer haben Angst, weil sie wissen, dass die Armee sofort schießen wird, sollten sie sich auch auf die Straße wagen.“ (s. FazNet 28.02.2011) Wann wird aus dem „Präsidenten, der dem Volk näher steht“, ein autokratisch regierender Diktator?
Dass der 15-jährige Anuar Naso sich seit mittlerweile vier Wochen in syrischer Haft befindet, kümmert die Landesregierung ebenso wenig wie der Lagebericht des Auswärtigen Amts, in dem es u.a. heißt: „Die Sicherheitsdienste des Landes sind weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen. Sie sind verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft.“ An anderer Stelle: „Schon im normalen Polizeigewahrsam sind körperliche Misshandlungen an der Tagesordnung. Insbesondere bei Fällen mit politischem Bezug wird physische und psychische Gewalt in erheblichem Ausmaß eingesetzt. In den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste ist die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung noch größer. Hier haben weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang zu den Inhaftierten, deren Aufenthaltsort oft unbekannt ist.“ Schließlich: „Die Kurden werden … in der Pflege ihrer Tradition und Sprache stark beschränkt; Autonomiebestrebungen werden mit Härte verfolgt.“
Der am 01. Februar aus dem Landkreis Hildesheim abgeschobene 15-jährige Kurde Anuar Naso wurde am 25.02. in das Gefängnis nach Hasseke verlegt. Es ist den Angehörigen erlaubt worden, kurz mit ihm zu sprechen. Ob es während der bisherigen Haftdauer zu Misshandlungen gekommen ist, ließ sich wegen der Überwachung dieses Gesprächs durch die syrischen Behörden nicht feststellen.
gez. Kai Weber
Anhang:
- Die positive Bewertung der Delegationsreise des nds. Wirtschaftsministeriums wurde offenbar nachträglich korrigiert. Im Unterschied zu der per Mail verschickten Version (siehe hier) findet sich der letzte Satz aus dem oben wiedergegebenen Zitat im Netz nicht mehr, siehe hier
- Kritik von Flüchtlingsrat und PRO ASYL an der Reise: siehe Presseerklärung vom 24.02.2011
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