Hannover/Lüneburg. Ein Nervenarzt aus Lüneburg soll für Behörden Gefälligkeitsgutachten erstellt haben. Wie das TV-Politmagazin „Report Mainz“ am Montagabend berichtete, wird dem 75-jährigen Professor vorgeworfen, kranken Asylbewerbern die Reisefähigkeit und Lehrern gegen ihren Willen die Dienstunfähigkeit bescheinigt zu haben. In mindestens sieben Fällen habe Theo V. Asylbewerber nur kurz und oberflächlich untersucht, bevor er feststellte, dass ihrer Ausweisung keine psychische Störung entgegenstehe, sagte Kai Weber, Sprecher des Niedersächsischen Flüchtlingsrats, gestern. In Gerichtsverfahren sei V. von anderen Experten eine tendenziöse, wertende Begutachtung vorgeworfen worden.
Grünen-Politikerin Filiz Polat kommt es seltsam vor, dass Landkreise in den vergangenen Jahren immer wieder auf V. als Experten zurückgriffen. Sie vermutet, dass „das Innenministerium seine Hände mit im Spiel hat“. Dies wies Ministeriumssprecher Klaus Engemann am Dienstag entschieden zurück. „Wir empfehlen keine Gutachter, das entscheiden die jeweiligen Ausländerbehörden vor Ort selbst, sie haben dabei die völlige Freiheit, es gibt auch keinen landesweiten Pool von Gutachtern.“
Auch im Fall des politischen Flüchtlings Delgesh A. hatte die Ausländerbehörde des Landkreises Emsland Theo V. herangezogen. Er sollte beurteilen, ob der heute 31-Jährige abschiebefähig sei. „Ich war in Syrien verhaftet und gefoltert worden und habe in Deutschland Schutz gesucht“, sagt A. Die Misshandlungen hätten ihn psychisch krank gemacht. Doch weil ihm die Behörden nicht glaubten, kam Delgesh A. im Sommer 2009 nach Langenhagen in Abschiebehaft. „Mir ging es damals sehr schlecht, ich habe nichts mehr gegessen und hatte große Angst, zurück nach Syrien geschickt zu werden“, sagt A. Mehrere Ärzte bestätigen ihm, dass er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide – nur Theo V. nicht. Nach einem zehnminütigen Gespräch, bei dem er jeden Blickkontakt vermieden haben soll, kam der Professor zu dem Schluss, A. müsse nur ein wenig aufgepäppelt werden und könne dann abgeschoben werden. Eine posttraumatische Belastungsstörung läge seiner Ansicht nicht vor.
Das Landgericht Hannover stoppte die Abschiebung von Delgesh A. jedoch – und kritisiert an Gutachter Theo V., dass der „ohne eingehende Begründung das Vorliegen einer psychischen Störung ausschließt und sich im Übrigen in wertender Weise zu nicht medizinischen Fragen äußert.“ Die Ausländerbehörde habe ihn um jeden Preis abschieben wollen und deshalb Theo V. als Gutachter eingesetzt, weil dieser bekannt für seine Gefälligkeitsgutachten sei, meint A. „So ein Vorgehen kann Menschenleben zerstören“, sagt der 31-jährige Syrer – und fordert von den Behörden, ausschließlich objektive Gutachter einzusetzen.
Der Lüneburger Nervenarzt, der in den achtziger Jahren das dortige Landeskrankenhaus geleitet hat, ist zudem wegen der Begutachtung von Lehrern in die Kritik geraten. So hatte er etwa dem damaligen Lehrer Ernst-Joachim K., der aufgrund einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig war und vom Schuldienst freigestellt werden wollte, bescheinigt, er könne nach einer Kur wieder unterrichten.
Das Gesundheitsamt Uelzen hatte K. 2001 zu Theo V. geschickt, damit dieser ein Gutachten erstellen konnte. „Der Professor ist während des mehrstündigen Gesprächs gar nicht auf meine Beschwerden eingegangen und wirkte auf mich wie ein alter, vertrottelter Mann, der jegliche Qualifikation verloren hat“, erinnert sich Ernst-Joachim K. So habe Theo V. ständig aus dem Fenster geschaut, sei abgeschweift – und habe bei einem zweiten Besuch sogar K.s Frau eine Affäre mit einem anderen Mann unterstellt.
„Möglicherweise ist der Professor selbst krank“, sagt der ehemalige Lehrer, der nach dem Gutachten weiter in Bad Bodenteich unterrichtet hat. Er wirft den Behörden vor, sie wollten durch den gezielten Einsatz des Gutachters Pensionsansprüche vermeiden. „Gutachter müssen neutral sein und sollten laufend überprüft werden“, fordert der heute 65-Jährige deshalb.
Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Ina Korter, hat beim Kultusministerium angefragt, in wie vielen Fällen die inzwischen aufgelösten Bezirksregierungen und die Landesschulbehörde über die Versetzung von Pädagogen in den vorzeitigen Ruhestand entschieden haben und wie oft Lehrer gegen ihren Willen die Dienstunfähigkeit bescheinigt wurde. Sie fragt auch, nach welchen Kriterien die Gutachter ausgewählt werden. Eine Antwort will das Ministerium bis Anfang Mai vorlegen. Sprecherin Corinna Fischer teilte gestern allgemein mit, dass weder das Ministerium noch die Landesschulbehörde Einfluss auf die Gutachterwahl nehme. Die Entscheidung obliege allein den örtlichen Gesundheitsämtern.
21.04.2010 / HAZ Seite 6 Ressort: NIEDERSACHSEN
siehe hierzu auch den Bericht: Gefällige Gutachter – das Beispiel des Prof. Dr. Theo Vogel hier