Im Dezember 2016 hat UNHCR in seinem Bericht die dramatische und nochmals verschärfte Sicherheitslage in Afghanistan dargestellt und klargestellt, dass es – im Unterschied zu den öffentlichen Erklärungen des Bundessinnenministers de Maizière – keine „sicheren Gebiete“ in Afghanistan gibt. Die politische Konsequenz lag nahe, dass Abschiebungen nach Afghanistan nach der heftigen Kritik an der öffentlich inszenierten Sammelabschiebung im Dezember umgehend wieder eingestellt würden.
Genau das Gegenteil lässt aber nun ein aktuelles Papier befürchten, das Grüne aus zehn Landesregierungen unter dem Titel „Rückführungen nach Afghanistan“ verabschiedet haben. Dieses Papier sorgt nicht nur in der flüchtlingspolitischen Szene für heftigen Unmut und Unverständnis. Statt einen konsequenten Abschiebestopp nach Afghanistan zu fordern und eine klare Bleiberechtsregelung zu entwerfen, werden trotz vordergründig formulierter Besorgnis über die Sicherheitslage vielmehr „freiwillige“ Ausreisen nach Afghanistan sowie Abschiebungen faktisch bejaht. Zugleich wird der Handlungsspielraum der Bundesländer ohne Not argumentativ verkleinert.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. erwartet von den Grünen auf Bundes- und Landesebene, dass sie Abschiebungen nach Afghanistan aus menschenrechtlicher Perspektive grundsätzlich ablehnen und ihr Positionspapier zurückziehen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Grünen ausgerechnet jetzt in ihrem Papier eine „freiwillige Rückkehr“ nach Afghanistan bewerben und „zwangsweise Rückführungen per Abschiebung“ für unvermeidbar erklären.
Lediglich die Grünen in Niedersachsen haben das Positionspapier erfreulicherweise nicht mitunterzeichnet und ihre grundsätzliche Ablehnung von Abschiebungen nach Afghanistan sachkundig begründet. Angesichts der medialen Berichterstattung und Kritik aus den eigenen Reihen rudern nun auch die ersten grünen Landesverbände zurück. So bestätigten die Grünen in Schleswig-Holstein, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Bremen in den letzten Tagen ihre kategorische Ablehnung von Abschiebungen nach Afghanistan.
Indes ist die Positionierung der Grünen in anderen Bundesländern noch keineswegs geklärt. Die Landesgrünen in NRW und Hessen fordern zwar ebenso die Nutzung humanitärer Spielräume, betonen aber zugleich, dass es „kaum Ermessensspielraum der Bundesländer“ gäbe. Diese Aussage widerspricht aber der Praxis der letzten zwölf Jahre, in denen die Länder genau diese Spielräume informell genutzt haben und Abschiebungen nach Afghanistan (mit Ausnahme von Straftätern) faktisch ausgesetzt waren. Folgerichtig hat das Bundesland Bremen seinen rechtlichen Handlungsspiel erst kürzlich genutzt und allen in Bremen geduldeten afghanischen Flüchtlingen (ausgenommen Straftätern) ein Aufenthaltsrecht erteilt.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. fragt in einem Schreiben an die Grünen, warum die Grünen die Positionierungen Bremens und auch die Erwägungen des schleswig-holsteinischen Innenministers hinsichtlich eines Abschiebestopps nicht nutzen und stattdessen kleinmütig auf die Zuständigkeit des Bundes für die Bewertung der Sicherheitslage in Afghanistan abheben. Auch PRO ASYL hat die Grünen scharf kritisiert und sich mit einem Schreiben an die Mandatsträger der Grünen besorgt geäußert. Ist der Bundesinnenminister für die Grünen neuerdings die oberste Instanz in Menschenrechtsfragen?
Wir hoffen und erwarten, dass dieses fragwürdige Positionspapier nicht das letzte Wort der Grünen zum Thema bleibt. Es ist nicht zu spät, diese Position zu korrigieren und Abschiebungen nach Afghanistan unmissverständlich abzulehnen. Die Grünen müssen ihrer menschenrechtspolitischen Position treu bleiben, sich den nächsten angekündigten Sammelabschiebungen in das Kriegsland Afghanistan widersetzen und als Regierungspartei in 11 Bundesländern dafür sorgen, dass Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt werden.
Nachtrag: Laut Pressemeldungen soll das BMI die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan auf den 23. Januar festgelegt haben
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