Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat heute morgen an den niedersächsischen Innenminister appelliert, die für heute geplante Abschiebung des palästinensischen Flüchtlings Motasem N. aus Syrien nach Polen zu stoppen. Aus aktuellem Anlass appelliert der Flüchtlingsrat zugleich an das Land, Abschiebungen auf der Grundlage der Dublin III – Verordnung bis auf Weiteres auszusetzen und über den Bundesrat eine entsprechende Gesetzesinitiative auf den Weg zu bringen.
Der 33-jährige Flüchtling Motasem N. wurde heute morgen aus der Psychiatrie abgeholt, in die er wegen Suizidalität eingewiesen worden war, und soll auf Veranlassung der Ausländerbehörde des Landkreis Northeim in ärztlicher Begleitung unter Mitgabe von Medikamenten unter Inkaufnahme einer Familientrennung nach Polen überstellt werden. Seine Frau befindet sich ebenfalls in ärztlicher Behandlung.
Die Dublin III – Verordnung ist ein Vertragswerk, über das Europa die Verantwortung für Flüchtlinge an die Peripherie abschiebt. Dieses System organisierter Verantwortungslosigkeit hat den Aufbau einer riesigen Bürokratie zur Folge, die eine Verschiebung von Flüchtlingen kreuz und quer durch Europa organisiert. Es führt zu immer mehr Abschiebungen von Flüchtlingen aus Deutschland – auch in Länder, in denen ein faires Asylverfahren nicht zu erwarten ist, wo Flüchtlinge regelmäßig inhaftiert werden oder keine hinreichenden menschenwürdigen Existenzbedingungen vorfinden. Statt Menschen zu verschieben, sollte ein Ausgleich über Finanzhilfen der EU an diejenigen Staaten erfolgen, die mehr Flüchtlinge aufnehmen. Europa braucht ein solidarisches Aufnahmesystem, das Flüchtlinge schützt statt abschiebt.
Es ist ein Unding, dass Flüchtlinge aus Syrien überhaupt im Rahmen von Dublin III abgeschoben werden, während wir uns gleichzeitig bemühen, syrische Flüchtlinge bei uns aufzunehmen. Im konkreten Fall fehlt uns jedes Verständnis für das Vorgehen der Ausländerbehörde. In Dublin-Fällen ist das BAMF Herrin des Verfahrens, über den konkreten Vollzug der Abschiebung und die Prüfung, ob eine Abschiebung aufgrund von Krankheit bzw. unter Berücksichtigung des Schutzes der Familie stattfinden kann, entscheidet aber die Ausländerbehörde. Sie hätte es in der Hand, die Abschiebung zu stoppen, aber sie will die Abschiebung um jeden Preis durchsetzen.
Herr N. hat in Polen einen Asylantrag gestellt, daher soll Polen für die Durchführung des Verfahrens zuständig sein. Das Dublin-Verfahren wurde eingeleitet, und der Landkreis Northeim hat die Rückschiebung nach Polen für den 19.03.2014 angeordnet. Das Verfahren seiner Frau ist noch nicht abgeschlossen, daher kann sie noch bleiben.
Seitdem Herr N. über die geplante Abschiebung nach Polen informiert ist, verweigert er sämtliche ärztliche Maßnahmen (Medikationen, regelmässige wöchentlich Bluttransfusionen). Seine Frau hat bereits im Januar 2014 einen Suzidversuch unternommen, weil sie keinerlei Perspektive auf ein würdiges Leben sieht. Sie ist deshalb in therapeutischer Behandlung.
Am 13.03.2014 hat auch Herr N. versucht, sich das Leben zu nehmen, und wurde gemeinsam mit seiner Frau in die Asklepios Fachklinik nach Göttingen eingewiesen. Aus dieser Klinik wurde er heute morgen abgeholt und soll nun nach Polen überstellt werden, wo er wahrscheinlich in eine Psychiatrie eingewiesen wird.
Herr N. leidet an einer chronischen Hepathitis und an einer Thalassanämie, seine Frau ist traumatisiert und hochgradig suizidgefährdet. Sie möchten nicht getrennt werden. Der Landkreis Northeim möchte auf den Schutz von Ehe und Familie nur Rücksicht nehmen, wenn eine Heiratsurkunde vorgelegt werden könnte, was angesichts der derzeitigen Situation in Syrien wohl kaum möglich ist. Auf Nachfrage bestätigte der Landkreis Northeim, dass er keinerlei Unterlagen oder Hinweise besitzt, die Zweifel an dem Bestehen der Ehe begründen könnten. Obwohl die Eheleute nun eine eidesstattliche Erklärung über ihre Eheschließung vorgelegt haben, will der Landkreis Northeim auf den Zusammenhalt der Eheleute keine Rücksicht nehmen. Der Landkreis Northeim handelt unmenschlich. Er könnte die Abschiebung von Herrn N. zumindest bis zum Abschluss des Dublin-Verfahrens seiner Frau aussetzen.
Weitere Infos
- zum Fall der Familie N. bei fairbleib Göttingen: Tel. 0551 – 4886415 bzw. 0171 – 1457163
- zur Kritik an der Dublin – Verordnung siehe hier.
gez. Kai Weber
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4 Gedanken zu „Flüchtlingsrat appelliert an Landesregierung: Dublin-Abschiebungen stoppen!“